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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Stephan Grabmeier aus managerSeminare 296, November 2022
Um unser Leben für uns und unsere Kinder auf diesem Planeten zukunftsorientiert zu gestalten, müssen wir lernen, deutlich nachhaltiger zu leben und zu wirtschaften. Eine nachhaltige Entwicklung beinhaltet drei Aspekte, die in Balance zueinander stehen sollten: Wirtschaft, Soziales und Ökologie. 2015 traten die 17 Ziele für eine solche Entwicklung der UN-Staatengemeinschaft in Kraft: die Sustainable Development Goals (SDGs). Diese zielen darauf ab, die natürlichen Lebensgrundlagen für alle Menschen dieser Welt zu erhalten sowie Chancengleichheit und ein würdevolles Leben aller Menschen durch die Reduzierung von Ungleichheit und durch nachhaltiges Wirtschaftswachstum zu sichern. Angestrebt ist die Umsetzung binnen 15 Jahren im Rahmen der „Agenda 2030 for Sustainable Development“. Über die Hälfte dieses Zeitraums ist verstrichen, doch passiert ist bislang – viel zu wenig.
Dem Sustainable Development Report 2021 zufolge schneidet Deutschland im SDG-Index zwar nicht einmal besonders schlecht ab. Allerdings stagniert die Umsetzung ausgerechnet in dem Bereich, wo unternehmerisches Handeln und unternehmerische Verantwortung gefragt sind. Manchmal haben sich dort sogar Verschlechterungen eingestellt. Großer Handlungsbedarf besteht insbesondere bei der Frage der Dekarbonisierung und im Kampf gegen den Klimawandel. Auch bei nachhaltigen Produkten und nachhaltigem Konsum gibt es noch viel Luft nach oben. Das ist besorgniserregend. Denn wenn wir es schaffen würden, unsere Wirtschaft umweltneutral zu gestalten, kämen wir einen sehr großen Schritt voran, schließlich sind Industrie und Energiewirtschaft für mehr als die Hälfte des CO-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich.
Das Bild von nachhaltiger Verantwortung in deutschen Führungsetagen ist teilweise beschämend. Nach einer aktuellen Untersuchung der Wertekommission (2021) kennen nur die wenigsten Manager die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, die auch für die Wirtschaft gelten und die sich viele Firmen selbst als Richtschnur für ihr Handeln gegeben haben. Nur 40 Prozent der befragten 536 Manager gaben an, die SDGs zu kennen. Selbst im Topmanagement lag der Anteil nur bei 47 Prozent. In der deutschen Wirtschaft offenbart sich somit ein Bild der Ahnungslosigkeit in Sachen Nachhaltigkeit, was acht Jahre vor deren geplanter Erreichung ein kritischer Befund ist.
Staatliche Lenkungsregulatorik, wie es sie zum Beispiel durch die EU-Taxonomie, das Lieferkettengesetz oder die neue CSRD-Richtlinie gibt, ist wirkungsvoll und wichtig, damit Unternehmen Nachhaltigkeit fundamental in ihre Strategie und ihre Prozesse integrieren. Allerdings lässt sich nicht alles gesetzlich regeln. Unternehmen werden – selbst bei voller Anerkennung ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl – ein Problem nicht überwinden können: Sie haben es immer auch mit Werte- und Zielkonflikten zu tun. Sie müssen nachhaltig sein, aber auch effizient wirtschaften und produktiv sein. Das Gute ist: Beides ist möglich; und es gibt Pioniere, die das vormachen. In der Vergangenheit haben Führungskräfte die Herausforderung, die darin steckt, allerdings oft umschifft, indem sie Umweltbelange erst gar nicht ernsthaft im Rahmen wirtschaftlicher Entscheidungen berücksichtigt haben. Soll dies aber der Fall sein, dann braucht die Wirtschaft Leader, die Nachhaltigkeit zu einer Leitlinie ihres Handelns machen. Und das geht nicht ohne inneres Wachstum. Es braucht einen Bewusstseinswandel in den Führungsetagen.
Davon sind auch die schwedische Ekskäret Stiftung und die Unternehmensberatung The New Division überzeugt. Beide Partner haben sich in einem im April 2019 veröffentlichten gemeinsamen Manifest („Growth that matters Manifesto“) dafür ausgesprochen, den Fokus auf das „innere Wachstum“ zu lenken, um sich vom Streben nach äußerlichem Wachstum abkehren zu können. Denn statt immer noch komplexere und vermeintlich leistungsfähigere Technologien und Zivilisationen aufzubauen, gelte es nun, das Vorhandene klug und sinnvoll zu nutzen – in einer Art und Weise, die allen Menschen zugutekommt. Dafür brauche es Menschen, die dazu in der Lage sind, wirkungsvoll eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Nach Überzeugung der Projektpartner benötigen solche Menschen emotionale und kognitive Fähigkeiten, die über das hinausgehen, was wir in der Schule oder der klassischen Ausbildung gelernt haben. In einer zweistufigen Survey identifizierten die „Growth that matters Manifesto“-Autoren eine Reihe von Fähigkeiten, Talenten und Kompetenzen, die gezielt zu einer nachhaltigeren Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung beitragen könnten. Das Ergebnis sind 23 Skills aus fünf Kategorien, genannt Inner Development Goals (IDGs) – angelehnt an die SDGs.
Die Idee dahinter leuchtet ein: Nur wenn sich Entscheiderinnen und Entscheider in der Wirtschaft auch innerlich weiterentwickeln, werden sie dazu in der Lage sein, grundsätzlich umzudenken, ein neues Paradigma zu entwickeln und andere Entscheidungen zu treffen als die, die sie – auf eingetretenen Pfaden des Denkens und Handelns – bisher gefällt haben.
Zu den Inner Development Goals zählt zum Beispiel die Beziehung zu sich selbst: Führungskräfte müssen zunächst einmal einen klaren inneren Kompass ausbilden und sich selbst und ihrer eigenen Rolle bewusst werden, um sich mit Offenheit und Neugier auf neues Denken und Handeln einlassen zu können. Offenheit und Neugierde sind wichtige Voraussetzungen für Kreativität – und die braucht es für das Durchbrechen konventioneller Denk- und Handlungsmuster und die Entwicklung origineller Ideen und Innovationen, die nötig sind, wenn wir als Gesellschaft nachhaltig werden wollen. Wichtig ist den IDGs zufolge aber auch die Ausbildung bestimmter kognitiver Kompetenzen. Denn nur, wer kausale Beziehungen versteht, ist in der Lage, sich alternative Szenarien zum Bestehenden vorzustellen, kann Lösungen finden und entwickeln. Zu den wichtigen kognitiven Kompetenzen gehört die Fähigkeit, mit Komplexität umzugehen und ein Verständnis für die Wechselwirkungen zwischen den Systemen und deren Bestandteilen zu entwickeln. Auch kritisches Denken und die Fähigkeit zum Perspektivwechsel sind von Bedeutung, denn: Um ausgewogene Entscheidungen treffen zu können, die soziale und Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigen, ist es wichtig, sich mit den Sichtweisen und Interessen verschiedener Stakeholder zu beschäftigen – und an Widersprüchen nicht zu verzweifeln.
Kognitive Perspektivenübernahme bringt allerdings wenig, wenn Leader nicht auch fähig sind, auf einer tieferen Ebene mit anderen in Beziehung zu treten – was zum Beispiel impliziert, Fähigkeiten wie Empathie, Wertschätzung, Verbundenheit und Bescheidenheit zu stärken. Bescheidenheit etwa meint in diesem Zusammenhang, dass man sein Handeln nicht darauf ausrichtet, vor sich selbst oder anderen besonders gut dazustehen, sondern auf das in der jeweiligen Situation Notwendige. Auch die Fähigkeit, neue Erkenntnisse anzuerkennen und eigene Auffassungen zu hinterfragen und gegebenenfalls aufzugeben, ist eng damit verknüpft. Kurz: Es darf nicht darum gehen, recht zu haben – sondern darum, die Welt für alle besser zu machen. Weil sich nachhaltige Lösungen nur im Schulterschluss mit anderen finden lassen, sind darüber hinaus auch soziale Kompetenzen wie Co-Creation-Fähigkeiten, Kommunikationsfähigkeiten und die Fähigkeit, andere zu mobilisieren, essenziell.
Viel verlangt? Sicherlich. Deswegen sollten unter den Inner Development Goals auch persönliche Qualitäten wie Optimismus, Mut und Ausdauer nicht vernachlässigt werden. Um komplexe Probleme zu lösen, muss man am Ball bleiben, geduldig sein und darf nicht gleich das Handtuch werfen – auch wenn es dauert, bis die Anstrengungen Früchte tragen.
Erste vorbildliche Schritte zur Implementierung der IDGs sind bereits erfolgt: Costa Rica ist das weltweit erste Land, das im Dezember 2021 die IDGs ratifiziert hat und an ihrer Umsetzung auf staatlicher Ebene arbeiten will. Doch in Zukunft müssen die IDGs noch weiter in die Welt hinausgetragen werden. Bislang sind sie – in der Definition – vor allem ein Projekt des Westens: Die Teilnehmenden an den Surveys stammten zum größten Teil aus Schweden und dem restlichen Europa (zusammen 80 Prozent). Umso erfreulicher ist es, dass ein lateinamerikanisches Land nun eine Vorreiterrolle in der Umsetzung übernimmt. Aber: Neben Staaten kommt eben auch der Wirtschaft eine Schlüsselrolle zu. Das Konzept der IDGs ist pädagogisch angelegt. Den Unternehmen und deren Personalentwicklung kommt somit (neben öffentlichen Bildungsträgern wie den Schulen) eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der wichtigen neuen Kompetenzen zu. In meinen Projekten der Nachhaltigkeitsberatung spielen die IDGs in der Umsetzung hin zu einer nachhaltigen Unternehmenskultur immer mehr eine entscheidende Rolle.
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