Sara Kaufmann in Speakers Corner
Sara Kaufmann in Speakers Corner

„Unwirksame Führung lässt sich nicht wegtrainieren!“

​ Üblicherweise wird Führung als Handlung von Führungskräften gedacht. Aber dies ist viel zu kurz gedacht, findet Sara Kaufmann. Führung ist der Beraterin zufolge eine Integrationsleistung der drei Dimensionen Führende, Geführte und Organisation. Wenn Führung unwirksam bleibt, bringt es daher nur selten etwas, allein bei der Person der Führungskraft anzusetzen, etwa mit Coaching oder Training. Oft ist dem Problem weitaus angemessener, (auch) die anderen Dimensionen einzubeziehen.

Wann ist Führung unwirksam? Wenn man diese Frage ChatGPT stellt, bekommt man folgende Beispiele aufgelistet: Wenn Mikromanagement betrieben wird, Kommunikation fehlt, Konflikte ignoriert werden, ein Mangel an Anerkennung herrscht, der Fokus nur auf kurzfristige Projekte gerichtet ist … Doch wenn unwirksame Führung nur diese Formen annehmen würde, hätten Unternehmen deutlich weniger Probleme! Und ja, diese Probleme ließen sich mit einer guten Schulung der Betroffenen wegtrainieren.

Ich begegne in meiner Beratungspraxis aber meist viel komplexeren Problemen von Führung. Etwa, wenn Führungsimpulse gerade noch bis zur Teamgrenze, nicht aber vertikal oder horizontal über das Team hinaus wirksam werden. Oder wenn Unternehmenswerte wie „Vertrauen“ und „Transparenz“ – außerhalb von positiven Großwetterlagen – verdunsten und bereits zwischen der ersten und zweiten Führungsebene in ihr Gegenteil verkehrt werden. Oder wenn neu eingeführte digitale Prozesse in einem Paralleluniversum analog sabotiert werden. Und, ja, auch das erlebt man leider immer wieder: dass Weiterbildungsmaßnahmen für Führungskräfte nicht die erhoffte Motivation triggern, sondern Frustration auslösen, weil die im Seminar geschaute Leitlinienwelt nicht mit der in der Praxis gefühlten Wirklichkeit in Deckung zu bringen ist. Hier stehen wir vor Problemen, die nicht eindimensionaler Natur sind. Ich glaube vielmehr, sie setzen sich aus drei Dimensionen zusammen, nämlich: Führende, Geführte und die Organisation. Nur wer die drei Dimensionen adressiert, kann Führung mehr Durchschlagskraft verleihen.

Üblicherweise aber gilt: Führung wird als Handlung von Führungskräften gedacht. Wenn Führung nicht gut funktioniert, wenn etwa neue Ziele ausgelobt sind, aber deren Befolgung nicht stattfindet, oder wenn mehr Engagement gewünscht wird, aber dieses ausbleibt, oder wenn agilere Mitwirkung gewollt ist, aber alles beim Alten bleibt – in all diesen Fällen wird in der Regel versucht, die Führungskraft zu verändern. Sie wird also erneut oder besser oder vollumfänglicher oder regelmäßiger oder überhaupt erstmals trainiert. Oder sie wird sogar ausgetauscht. Immer jedoch bleibt damit unsichtbar und somit auch unthematisiert, welche Voraussetzungen Geführte und die Organisation erfüllen müssen, damit Führung überhaupt greift. Gerade so, als könnte man als Dirigentin oder Dirigent auch mit unvorbereiteten Musikerinnen und Musikern oder mit ungestimmten Instrumenten und ohne geeignete Partitur hervorragende Aufführungen erzielen.

Ich möchte dagegen die Lanze für ein neues Führungsverständnis brechen: Führung als eine Integrationsleistung der drei Dimensionen „Führende – Geführte – Organisation“. Ein Training ist unter diesen Bedingungen nur ein Baustein der Verbesserung des Führungssystems – und zwar je nach Problem nur ein kleiner Baustein –, um am Ende mehr Wirksamkeit zu erzielen. Schauen wir uns die Führungsbeiträge der beiden anderen Dimensionen einmal genauer an:

Geführte sind ein oft vernachlässigter Bestandteil des Führungsgeschehens, obwohl sie einen wesentlichen Beitrag zur Integrationsleistung beisteuern. Es braucht neben der (keineswegs selbstverständlichen) Bereitschaft, sich überhaupt führen zu lassen, vor allem die Geführten-Kompetenz, Impulse der Führungskraft aufzunehmen und in eigene Handlung zu übersetzen. Mitarbeitende sollen etwa Rückmeldung bei Problemen geben. Sie sollen Verbesserungsvorschläge einbringen oder relevante Erkenntnisse im Umgang mit anderen Systemen (Kunden, anderen Abteilungen, Lieferanten etc.) rückmelden, damit sich die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Führungskraft verbessert. Oder die Mitarbeitenden sollen in ihrem verantworteten Tätigkeitsbereich proaktiv selbst Probleme identifizieren, Lösungen entwickeln und sich dabei mit Kolleginnen und Kollegen abstimmen – oder auch gegen diese durchsetzen. Das alles setzt entsprechende Kompetenzen voraus. Wie gut sind Mitarbeitende auf all das vorbereitet? Wie sieht neben der Kompetenzentwicklung das Erwartungsmanagement aus, das übrigens schon mit Jobbezeichnungen gestartet wird? Und wie passen die Prozesse so zueinander, dass der Führungsbeitrag der Geführten tatsächlich greifen kann? Er greift zum Beispiel nicht, wenn Mitarbeitende ihre aufgabenübergreifende Verantwortung kaum wahrnehmen, weil das offizielle Mandat fehlt oder Anschlüsse im Team und darüber hinaus unklar sind.

Vermeintliche Führungsprobleme können auch mit Elementen der dritten Dimension verknüpft sein: Die Organisation führt, indem sie Rahmenbedingungen explizit oder implizit vorgibt. Explizit tut sie das durch Hierarchien, Strategien, Organisationsdesign, Anreizsysteme, Ablaufsysteme, technische Infrastruktur etc. Implizit geschieht es besonders durch die Organisationskultur, Entscheidungsprämissen, Werte, Normen oder Tabus. Führende und Geführte werden über explizit und implizit entworfene Strukturen mal direkter, mal indirekter geleitet und gesteuert. Ein Beispiel für stark steuernde Führungsbeiträge der Organisation wären zum Beispiel physische und digitale Workflows (etwa Fließband oder ERP-Systeme) oder Zeit- und Mengenvorgaben, die ziemlich genau vorgeben, wer was wann (wie) zu tun hat. Ein Beispiel für stark zurückgenommene Führungsbeiträge der Organisation ist die Arbeitsorganisation in agilen Teams. Aber auch hier werden mittels OKR und KPI, finanzieller Anreizsysteme, Meetingformate und Kommunikationsplattformen Strukturen etabliert, welche die Mitarbeitenden entsprechend anleiten und steuern.

Was bleibt gemäß dieses Modells dann überhaupt noch für die Führungskraft zu tun? Die Führungskraft ist dafür verantwortlich, dass Führung überhaupt stattfindet. Dass also alle Beiträge in der erforderlichen Qualität erfolgen, damit Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit gesichert ist. Je nach Kontext tut sie das, indem sie Mitarbeitende empowert oder Organisationsstrukturen für sich „steuern“ lässt, oder eben – wie ganz klassisch erwartet –, indem sie selbst beobachtet, entscheidet und delegiert bzw. steuert. Doch egal, welchen Weg Führungskräfte strukturell oder situativ einschlagen (müssen): Sie sind per se nicht der einzige Lieferant von Führungsbeiträgen und können häufig die Qualität und Wirkweise der anderen Dimensionen nicht persönlich und im Alleingang beeinflussen.

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Ich verstehe Führung nicht nur als das, „was Führungskräfte tun“ und auch nicht nur als „Führung von Menschen“, sondern als die gemeinsam in „3-D“ erbrachte Funktion, über Soll-Ist-Vergleiche das Funktionieren und Fortbestehen der Organisation in Zukunft sicherzustellen. Nicht nur erbringen alle drei Dimensionen diese Funktion, sie stehen dabei auch in Wechselwirkung miteinander. Und darum kommt es bei der Verbesserung bestehender Systeme darauf an, dass die drei Dimensionen des Führungssystems stimmig zueinander passen und sich gegenseitig verstärken. Veränderungen eines Elements haben immer auch Auswirkungen auf die anderen Elemente – allerdings nicht notwendig in der gewünschten Weise. Also wird der Erfolg der Optimierung einer Dimension abhängen von der Kongruenz mit und Verstärkung durch die anderen Dimensionen.

Und so wird es weiterhin Trainings geben, die die beteiligten Personen (neben den Führenden gegebenenfalls auch die Geführten) in ihren Rollen und Beiträgen zur Führung qualifizieren. Aber wer Führung in seiner Organisation weiterentwickeln will, sollte sich regelmäßig die Frage stellen: „Passt unser Betriebssystem zu den aktuellen Herausforderungen?“ Dafür werden neben Kompetenzen von Führenden und Geführten auch Strukturen und Prozesse in den Blick zu nehmen und zu adressieren sein. Wenn wir unwirksame Führung also nicht mehr nur als Kompetenzdefizit begreifen, sondern auch als Strukturproblem adressieren, wird unmittelbar an der organisationalen Anpassungsfähigkeit gearbeitet. Und die gute Nachricht ist: Wer Führung solcherart in 3-D bearbeitet, wird damit automatisch die Schlagkraft auch von Trainings (wieder) erhöhen.

<strong>Sara Kaufmann … </strong>

Sara Kaufmann …

… begleitet seit fünfzehn Jahren Führungskräfte, Teams und Organisationen im Rahmen von Veränderungsprozessen. Sie ist systemische Beraterin bei ChangePartner AG und verantwortet als Managing Partnerin den Geschäftsbereich Personal- und Organisationsberatung. Kontakt: change-partner.de

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