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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Nico Rose aus managerSeminare 320, November 2024
Von 2005 bis 2010 habe ich jedes Jahr 40 bis 60 Ausbildungstage in diversen Coachingmethoden absolviert, von systemisch über hypnotisch bis hin zu (gefühlt) intergalaktisch-esoterisch. Ich nenne diese Zeit augenzwinkernd meine Seminarjunkie-Phase. Während mein Bekanntenkreis zum Backpacking nach Bali geflogen ist, habe ich jede freie Stunde und jeden verfügbaren Euro in meine persönliche Entwicklung und die Befüllung meines Methodenkoffers investiert.
Nun ist es so: Wenn man eine Coachingausbildung absolviert und entsprechende Literatur konsultiert, dann wird einem fast ausnahmslos und kategorisch die Idee der Lösungsorientierung eingehämmert. Ich denke, der Sinn dahinter ist, sich dezidiert von verschiedenen Spielarten der Psychotherapie abzugrenzen – aber auch, dass man den Lernenden das Folgende beibringen möchte: Eine etwaige Lösung aus Sicht des Klienten ist das Ziel eines Coachingprozesses und definiert letztlich dessen Effektivität.
Obgleich diese Konzeption sicherlich eine gewisse Berechtigung hat, ist mir im Laufe meiner mittlerweile mehr als fünfzehn Jahre währenden praktischen Tätigkeit als Coach zunehmend klarer geworden, dass die Idee der Lösungsorientierung auch eine Reihe an Einschränkungen mit sich bringt. Die Metapher einer Lösung als gedachtem Ziel eines Coachingprozesses evoziert notwendigerweise Bilder, die dem echten, wuseligen, schmutzigen Leben, dem Leben außerhalb des geschützten Raumes einer Coachingausbildung in den meisten Fällen nicht gerecht werden.
Beim Wort Lösung mag man vielleicht zunächst an den Mathematik-Unterricht zurückdenken. Wenn man in der Trigonometrie damals verstanden hatte, das a + b notwendigerweise c ergibt, dann war die Sache geritzt. An so einem Punkt gibt es nichts mehr zu debattieren, die Lösung war klar und eindeutig. Etwas anderes kam nicht infrage. Überträgt man diese Bildwelt nun auf Coaching, so ergibt sich die Grundskizze jener Idee, die regelmäßig in entsprechenden Ausbildungen vermittelt wird: Am Anfang steht das Anliegen, das Problem des Klienten. Dieses Anliegen muss zunächst geschärft werden (Zielformulierung), um dann in einer Reihe von Interventionen co-kreativ auf eine Lösung hinzuarbeiten. Ob wirklich eine Lösung gefunden wurde, erkennt man – ein Stück weit tautologisch – daran, dass das Problem weg, ergo: gelöst ist. Im besten Fall sitzt die Klientin oder der Klient zum Schluss freudestrahlend vor dem Coach (Lösungsphysiologie), um voll motiviert in eine glorreiche Zukunft starten.
In den ersten Jahren meiner Tätigkeit als Coach war ich oft etwas frustriert, wenn sich genau dieser Zustand am Ende einer Coachingsitzung oder des gesamten Prozesses partout nicht einstellen wollte. Ich dachte damals bisweilen, ich hätte in so einem Fall meinen Job nicht wirklich gut gemacht. Die Idee der Lösungsorientierung hatte sich so tief in meine Erwartungshaltung eingegraben, dass ich es als schlechtes Zeichen wertete, wenn für die Klienten am Ende der gemeinsamen Reise noch nicht „alles klar“ war.
Heute, mit mehr Lebens- und Berufserfahrung auf dem Buckel, bin ich zuversichtlicher für die Zeit nach der Zusammenarbeit, wenn Klienten am Ende eine Art gefasste Gelassenheit an den Tag legen – und es darf durchaus auch noch ein Rest Verwirrung vorherrschen. Im Zen heißt es: „Verwirrung ist das Tor zur Erleuchtung.“ Nun ist dieser Zustand als Ergebnis eines Coachingprozesses möglicherweise etwas zu hoch gegriffen. Verwirrung darf aber mitunter als Indikator dafür gesehen werden, dass sich bisherige Gedanken- und Gefühlsmuster des begleiteten Menschen ein Stück weit verändert haben und dass sich in naher Zukunft etwas neu setzen möchte – was wiederum mit hoher Wahrscheinlichkeit neue Verhaltensweisen ermöglicht. Ein weiteres Bonmot aus dem Zen liefert eine Ahnung davon, was ich stattdessen als adäquaten Zielzustand nach einem erfolgreichen Coachingprozess verstehe. Es lautet: „Vor der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser holen. Nach der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser holen.“
Anders ausgedrückt: Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass Klienten nach dem Coaching keine Lösungen, sondern idealerweise bessere Probleme haben sollten. Den im Coaching erzielten Fortschritt erkennt man folglich nur eingeschränkt daran, dass etwaige Probleme gelöst wurden. Mitunter hat die Klientin nach dem Coaching sogar mehr Probleme als vorher. Wichtiger ist, dass die neuen Probleme besser sind als die alten. Was ist damit gemeint?
Ein Beispiel: Ich begleite seit einigen Jahren (fast) ausschließlich höhere Führungskräfte. Nach meiner Erfahrung suchen diese Menschen im Coaching erst gar nicht nach Lösungen. Wenn es so etwas wie eine Lösung für ihr Anliegen gäbe, hätten die Menschen diese mit Intelligenz unter Hinzunahme von Zahlen, Daten und Fakten schon alleine gefunden. Stattdessen müssen diese Personen regelmäßig Entscheidungen treffen – zumeist in hochkomplexen Situationen, in deren Rahmen von vornherein klar ist, dass jeder neue Schritt, so intelligent und gut durchdacht er sein mag, neue Probleme mit sich bringt. Den Erfolg des Coachings erkennt man im Wesentlichen daran, dass die betreffenden Personen ihre Entscheidungen mit einem hohen Maß Reflexion — und als Konsequenz: Selbstwirksamkeit und Zuversicht – treffen. Sich mit den Folgen der getroffenen Entscheidungen auseinandersetzen zu müssen, ist allerdings ein besseres Problem im Vergleich zu der Situation, sich noch mit der Entscheidungsfindung herumzuquälen.
Die Sache mit den besseren Problemen ist allerdings nicht exklusiv auf den Bereich Führungskräfte-Coaching beschränkt. Sie ergibt genauso viel Sinn im Karriere- oder Life Coaching. Ich habe mich beispielsweise früher – bei Licht betrachtet – für wenig liebenswert gehalten und daher auch eine Beziehung nach der anderen versemmelt. Durch die Auseinandersetzung mit meinen persönlichen Themen in der oben erwähnten Seminarjunkie-Phase ist das zunehmend besser geworden. Heute bin ich glücklich verheiratet und habe zwei Kinder. Die Probleme sind dadurch allerdings nicht weniger, sondern mehr geworden. Jedoch: Sich ab und zu mit der Gattin zu streiten oder sich über die Kinder aufzuregen, ist ein viel besseres Problem, als zu glauben, man hätte sowieso keine Liebe verdient. Ähnliches gilt für den Kontext Karriere-Coaching. Hat eine Klientin beispielsweise als Folge der Begleitung einen neuen Job angenommen, wird sie typischerweise mit einem Haufen an Problemen konfrontiert. Doch auch diese Probleme sind gewissermaßen höherwertiger als die Should-I-stay-or-should-I-go-Situation, mit der sie in den Coachingprozess eingetreten ist.
Eine Karriere (bzw. auch das Leben als solches) ist schlicht und ergreifend kein Problem, das wir lösen können. Stattdessen geht es immer wieder darum, Entscheidungen zu treffen und sich dann für diese Entscheidungen zu verantworten. Verantwortung zu tragen wiederum bedeutet, sich zukünftigen Problemen zu stellen. Wenn wir aber die richtigen Entscheidungen treffen – und dabei kann Coaching eine vortreffliche Hilfe sein –, erhalten wir über den Lauf einer Karriere und unserer Existenz an sich zunehmend bessere Probleme.
Lösungsorientierung ist eine nützliche Fiktion für den Ausbildungskontext und hilft Menschen dabei, sich mit den Grundzügen von Coachinginterventionen vertraut zu machen. Sie ist jedoch nur in Ausnahmefällen eine nützliche Haltung für echte Coachinganliegen mit echten Menschen im echten Leben. Nebenbei bewahrt einen der Fokus auf bessere Probleme ein Stück weit vor den in der Coachingszene nicht ganz selten anzutreffenden Allmachtsfantasien. Der Schlüssel zu erfolgreichem Coaching liegt ausnahmslos in den Ressourcen der Klienten. Während des Prozesses – und danach umso mehr.
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