Meryl Deep in Speakers Corner
Meryl Deep in Speakers Corner

„Diskriminierung ist teuer“

Wir leben, auch in Deutschland, immer noch in einer Welt, in der Menschen privat wie auch beruflich Diskriminierung erfahren. Das ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern kann uns auch wirtschaftlich teuer zu stehen kommen, sagt Meryl Deep, die vor ihrer Speaking-Karriere als Manager gearbeitet hat.

Wir leben in einer diversen Welt – ob wir das möchten oder nicht. Vielfalt liegt in der Natur begründet. Alles, was die Natur hervorgebracht hat, sei es im Tier- oder Pflanzenreich, ist geprägt von (Arten-)Vielfalt und Diversität. Auch wir Menschen fordern häufig Vielfalt und würden, beispielsweise im Supermarkt, auf die Barrikaden gehen, wenn das Sortiment nicht mehr davon geprägt wäre. Die Edeka-Gruppe hat vor Jahren in einer spannenden Aktion symbolisiert, wie ein Supermarkt aussehen würde, wenn nur deutsche Produkte vorhanden sind. Vor allem eines wäre dann zu beobachten: gähnende Leere in den Regalen.

Das Beispiel des Supermarktes ist dabei nur eines von vielen. Denken wir an die Automobilindustrie, die Modewelt oder das Angebot an Urlaubsmöglichkeiten: Wir Menschen schätzen und brauchen Vielfalt. Doch in Bezug auf die Menschen in unserer Gesellschaft ist die Haltung zum Thema Vielfalt oft eine andere. Wir leben, auch in Deutschland, immer noch in einer Welt, in der Menschen privat wie auch beruflich Diskriminierung erfahren – obwohl es das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt. Sie erfahren Diskriminierung aufgrund ihres Alters, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer sozialen Herkunft, ihrer religiösen Weltanschauung, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Dies jedenfalls sind die sieben Diversity-Dimensionen, die die Charta der Vielfalt auflistet und die alle im Arbeitsleben eine Rolle spielen. Ich werde mich gleichwohl im Folgenden vor allem auf die Dimension der sexuellen Orientierung beziehen, da ich mich selbst der Community der LGBTQIA+-Personen zurechne, also jener Menschen, die u.a. lesbisch, gay, bisexuell, trans, queer und intersexuell sind.

Die Boston Consulting Group kam in einer Erhebung 2021 unter ca. 8.800 Menschen weltweit (61 Prozent davon gehörten der LGBTQIA+-Community an) zu dem Ergebnis, dass sich in Deutschland und Österreich nur 72 Prozent dieser Personen im ersten Jahr nach Antritt eines Jobs am Arbeitsplatz geoutet haben. Grund dafür ist unter anderem die Sorge, dass sich die Karriere durch ein Outing verlangsamt, wenn man sie dadurch nicht sogar ganz beendet.

Die Besorgnis scheint gerechtfertigt, jedenfalls gibt laut einer Erhebung des DIW, des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (bit.ly/3V6S4OZ) jede dritte queere Person an, in den der Erhebung vorausgegangenen zwei Jahren Diskriminierung am Arbeitsplatz erfahren zu haben (mit queer meine ich übrigens im Folgenden alle Menschen, die zur Community LGBTQIA+ gehören). Dem DIW-Bericht zufolge gehört damit das Arbeitsleben zu den Bereichen, in denen queere Menschen „vergleichsweise häufig Diskriminierung erfahren“ – häufiger jedenfalls als beispielsweise im Kontakt mit der öffentlichen Verwaltung, der Polizei oder auf dem Wohnungsmarkt. Für die meisten Menschen ist der Montagmorgen ein schwieriger Tag nach einem erholsamen Wochenende, für Menschen aus der Queer-Community ist oft die gesamte Arbeitswoche deutlich schwieriger. Und das nicht nur aufgrund von Diskriminierungserfahrungen, die jene machen, von denen bekannt ist, dass sie der Queer-Community angehören. Auch die Sorge, mit der eigenen Identität aufzufliegen, kann jenen, die am Arbeitsplatz nicht geoutet sind, das Leben erheblich erschweren. Denn diese Mitarbeitenden müssen großen Aufwand betreiben, um ihre wahre Identität und Lebensrealität zu verbergen. Sie erfinden zum Beispiel Geschichten. Und sie passen in ihren Erzählungen erlebte Situationen so an, dass ihre eigene Identität verborgen bleibt. Dabei kann der ständige Druck, sich zu verstellen, sogar zu psychischen Erkrankungen führen. Diese treten einer weiteren Untersuchung des DIW zufolge (bit.ly/4c38IpJ) bei queeren Personen dreimal häufiger auf als bei anderen.

Selbstverständlich gäbe es genug ethische Gründe, der Diskriminierung ein Ende zu bereiten. Was vielen Unternehmen, denen das Thema egal zu sein scheint, aber möglicherweise nicht klar ist, ist, dass sie jeder Tag, den die Geschäftsführung verstreichen lässt, ohne etwas für Diversität und Vielfalt zu tun, Geld kostet. Ignoranz in Sachen Antidiskriminierung und Diversity kann langfristig die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen gefährden!

Nehmen wir das Beispiel Fachkräftemangel: Zahlreiche Betriebe klagen darüber, nicht mehr genug qualifiziertes Personal anzuziehen, beziehungsweise Mitarbeitende langfristig halten zu können. Bei vielen von ihnen scheint allerdings noch nicht angekommen zu sein, dass mehr als jede zweite Person ein Jobangebot ablehnt, wenn das Unternehmen Diversity nicht lebt, wie bei einer Umfrage der Job-Vermittlungs-App Truffls herauskam (truffls.de/de/whitepaper). Und trotz ihrer Klagen über den Fachkräftemangel scheint vielen Arbeitgebern nicht bewusst zu sein, wie sehr sie sich durch eine ignorante oder gar intolerante Haltung um Arbeitskräftepotenziale bringen. Zumal Arbeitnehmende aus der queeren Zielgruppe im Schnitt, wie beispielsweise die DIW-Erhebung zeigt, überdurchschnittlich hoch qualifiziert sind. Mit einer bewusst queer-freundlichen Positionierung würden merklich mehr Bewerbungen dieser Menschen auf den Schreibtischen von Unternehmen landen.

Die Zahlen aus der Forschung sprechen auch noch in anderer Hinsicht eine deutliche Sprache. So sind in Unternehmen, die eine starke Kultur der Gleichstellung verfolgen, die Innovationsbereitschaft und -fähigkeit von Mitarbeitenden sechsmal höher als in anderen Betrieben. Mehr noch: Laut der 2022 veröffentlichten Studie „Creating Value by Addressing Business Challenges with Diversity and Inclusion“ (pwc.to/4c5Gtql) treffen diverse und inkludierende Teams zu 87 Prozent bessere Entscheidungen als homogene Teams. Um 70 Prozent steigt die Wahrscheinlichkeit, dass neue Märkte erobert werden können, wenn Teams divers sind. Dies als Tüpfelchen auf dem i all jener Studien, die immer wieder zeigen, dass Mitarbeitende, die sich gut integriert fühlen, mehr Leistung erbringen und eine niedrigere Krankheitsquote aufweisen.

Wenn ein Unternehmen Wert auf die Umsetzung von Vielfalt legt, ergibt sich daraus ein Wettbewerbsvorteil und die Chance auf ein insgesamt deutlich verbessertes Ergebnis, wie die Studien zeigen. Um es auf den Punkt zu bringen: Diversität zu leben, bedeutet, den Umsatz zu steigern. Eine diskriminierende Kultur kostet dagegen bares Geld.

Im Grunde müssten bei Unternehmen demnach nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch aus ureigenen wirtschaftlichen Interessen sämtliche Warnlichter angehen, wenn Menschen sie als intoleranten Akteur am Arbeitgebermarkt wahrnehmen, bei dem sie sich nicht zeigen können, wie sie sind. Es ist infolgedessen schwer nachzuvollziehen, weshalb viele Unternehmen dieses große Potenzial noch nicht erkannt haben – oder es nicht erkennen wollen. Eines aber ist sicher: Die Unternehmen, die heute schon daran arbeiten, eine Kultur der gelebten Vielfalt zu etablieren, werden in Zukunft bestehen. Davon bin ich überzeugt.

Meryl Deep …

Meryl Deep …

… war mehrere Jahre in verschiedenen Managementpositionen tätig und ist heute Veranstaltungsmoderatorin und „Keynote-Speaking-Drag-Queen“ mit Sitz in Köln. Meryl Deep setzt sich für Anliegen der LGBTQIA+-Community ein und widmet sich in ihren Beiträgen vor allem den Themen Diversity und Changemanagement. Kontakt: meryldeep.com

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