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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Siegfried Kaltenecker aus managerSeminare 314, Mai 2024
Sich flexibler organisieren, beweglicher werden, schneller auf neue Trends reagieren, innovative Lösungen kreieren und diese rasch auf den Markt bringen — davon träumen heute viele Managerinnen und Manager. „Business Agility“ heißt die Zauberformel, die all das ermöglichen soll. Dass in den vergangenen Jahren mehr und mehr Beratungsmagier auf den Plan getreten sind, um den Traum von der agilen Organisation zu verwirklichen, überrascht daher kaum.
Für die Reise ins Schlaraffenland der unternehmensweiten Agilität bieten Beraterinnen und Berater gern spezielle Landkarten an. Diese versprechen Orientierung in der VUKA-Welt und eröffnen einen verheißungsvollen Lösungsweg durch den Problemdschungel, mit dem sich heute sehr viele Unternehmen konfrontiert sehen. Schaut man sich eine der populärsten Landkarten in Sachen agiler Transformation an, das sogenannte Scaled Agile Framework, kurz SAFe, dann könnte man allerdings leicht auf die Idee kommen, dass hier jemand im Drogenrausch eine Wandtapete bepinselt hat. Zu sehen ist eine Vielzahl von horizontalen und vertikalen Ebenen, unterschiedlichen Kreisen und Boxen, Pfeilen und Wellen – gewürzt mit verheißungsvollen Begriffen wie Customer Centricity, Enterprise Solution, Continuous Learning Culture oder Lean-Agile Leadership. Tatsächlich scheint die SAFe-Landkarte alles zu enthalten, was für eine erfolgreiche Navigation im Zeitalter der Agilität vonnöten ist: von interdisziplinären Teams mit fokussierten Führungsrollen über siloübergreifende Planungszyklen bis hin zur effizienten Umsetzung der jeweiligen Anforderungen, die maximale Kundenzufriedenheit garantiert.
So weit, so gut. Das Problem ist nur, dass diese Landkarte wenig mit realen Unternehmenslandschaften zu tun hat. Stattdessen wird ein idealtypisches Lösungsbild ausgemalt, ohne sich um die spezifischen Herausforderungen oder organisatorischen Kontexte zu kümmern. Man gibt beispielsweise detaillierte Verantwortlichkeiten, Meetings und Regeln vor, ohne im Geringsten auf die bestehenden Arbeitsweisen zu achten, geschweige denn auf die Unternehmenskultur. Statt komplexe Zusammenhänge angemessen zu adressieren, will SAFe die aktuellen Marktdynamiken durch einen komplizierten Ansatz in den Griff bekommen.
Und dies ist nicht der einzige Versuch, agile Transformation mithilfe eines standardisierten Frameworks zu managen. So sehr sich SAFe von anderen populären Skalierungsansätzen wie Large-Scale Scrum (LeSS), Holacracy oder dem Spotify-Modell unterscheidet: Gemeinsam ist all diesen Ansätzen, dass sie schablonenhafte Lösungsmuster einsetzen, um die unternehmerische Agilität voranzubringen. Sei es, wie im Fall von LeSS, um eine bessere Koordination mehrerer Scrum-Teams zu erreichen. Sei es, um eine kreisförmige Aufbauorganisation jenseits der klassisch-hierarchischen Pyramide zu verwirklichen, à la Holacracy. Oder sei es, um sogenannte Squads, Tribes, Chapters und Guilds skalierbar zu verknüpfen wie beim Spotify-Modell.
Die zu „Best Practices“ hochstilisierten Standards sind deswegen attraktiv, weil sie versprechen, Ordnung in die turbulente Welt zu bringen und die mit der unvermeidlichen Komplexität einhergehende Unsicherheit in Schach zu halten – viel mehr Sicherheit als mit einem Begriff wie „SAFe“ lässt sich wohl kaum suggerieren. In einem monströsen Flickwerk sind darin denn auch alle hippen Ansätze der vergangenen Jahrzehnte verarbeitet: Lean und Systems Thinking, Scrum und Kanban, Value Stream Mapping und Design Thinking. Und obendrauf gibt es noch ein bisschen agilen Feenstaub. Welcher Vorstand möchte sich da schon sagen lassen, nicht mit einem solchen Zauberkasten an einer erfolgreichen Zukunft arbeiten zu wollen?
Was aber tatsächlich passiert: SAFe und Co. verhelfen dem ollen Maschinenmodell der Organisation zu einem unvermuteten Revival. Zugleich nähren sie die ebenso altbekannte Steuerungsillusion, die sich gerade im Topmanagement ungebrochener Beliebtheit erfreut: Wir brauchen uns nur an die vorgegebene Landkarte zu halten und dem vorgezeichneten Lösungsweg Schritt für Schritt zu folgen, dann ist das gelobte Land der agilen Organisation zum Greifen nahe!
Eine solche Perspektive erfreut nicht allein die Manager, sondern auch die großen Beratungshäuser, denen die Frameworks knackige Umsätze bescheren. Ohne umfassende Trainingsprogramme, ohne einen breit gefächerten Strauß an Schulungen und Coachings ist eine agile Transformation nämlich nicht zu haben. Ganz zu schweigen von den satten Zertifizierungsgebühren, die für den breitenwirksamen Einsatz des jeweiligen Frameworks fällig werden. Das sorgt für fröhlich klingelnde Kassen – und hält außerdem das mit seiner Transformation beschäftigte Unternehmen auf Trab.
Dessen hehre Hoffnung: Wenn alle Fach- und Führungskräfte derart intensiv mit Agilität beschäftigt sind, kann der durchschlagende Erfolg nur eine Frage der Zeit sein. Doch die Langwierigkeit und Umständlichkeit agiler Transformationsprozesse, von der viele betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten, legt andere Schlussfolgerungen nahe. Nach einer oft mehrere Jahre andauernden Selbstbeschäftigung in Sachen Businessagilität darf man sich durchaus die Frage stellen, wessen Business hier eigentlich optimiert wird. Durchaus heilsame Fragen könnten hier sein: Was genau wollte die Geschäftsführung noch mal mit der agilen Transformation verbessern? Wie kommen wir in dieser Hinsicht eigentlich voran? Was haben wir unterwegs gelernt? Und wer oder was bewegt sich hier tatsächlich? Dieser kleine Fragenkatalog führt oft geradewegs in die Ernüchterung, von Kennern auch gern Death by Change Management genannt. Doch was verursacht diese oftmalige Nahtoderfahrung, die sich mit der Landkartenfalle und der Steuerungsillusion kongenial zum Trio Infernale unternehmerischer Verbesserung verbindet?
Eine der zentralen Wurzeln liegt meiner Erfahrung nach im Widerspruch, das Ziel der Businessagilität auf einem Weg erreichen zu wollen, der alles andere als agil ausgestaltet ist. Sobald ein vordefiniertes Framework eingesetzt wird, erscheint ein solches Vorgehen ja auch völlig überflüssig. Erstens ist die Lösung sowieso bereits definiert, also müssen wir uns erst gar nicht mit den tatsächlichen Problemen der Organisation herumschlagen – Check! Zweitens brauchen wir die Mitarbeitenden nur als brave Umsetzerinnen und Umsetzer, da uns ja weder interessiert, welche Arbeitserfahrungen sie haben, noch, wie ihnen eine agile Transformation helfen könnte – Check! Und drittens können sich die externen Super-Experten und Super-Expertinnen nun ungestört an die Ausarbeitung des großen Transformationsplans machen, der dann generalstabsmäßig umgesetzt wird – Check! Unternehmerische Agilität anzustreben, ohne dabei agil vorzugehen, gleicht jedoch dem Versuch, die eigene Fitness zu steigern, ohne sich dabei zu bewegen.
Dabei geht es auch anders. Statt auf ein fertiges Framework zu setzen und dieses der eigenen Aufbauorganisation überzustülpen, ist es viel sinnvoller, von spezifischen organisationalen Problemen aus zu denken. Mit Blick darauf können dann die Aktivitäten der Organisation schrittweise optimiert werden – einschließlich ständigen Feedbacks und stetiger Iteration. Die Wahrscheinlichkeit, eine Agilisierungsinitiative mit einer solchen, ihrerseits agilen Vorgehensweise in den Sand zu setzen, ist meiner Erfahrung nach deutlich geringer als die Wahrscheinlichkeit, das Unternehmen durch Einführung eines angeblich agilen Frameworks zu lähmen.
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