Second Life als Lernplattform - taugt das etwas? Dieser Frage ist Matthias Rückel, Spezialist für Live-Online-Kommunikation nachgegangen. Rückel hat das virtuelle zweite Leben auf seine didaktischen Potenziale hin durchleuchtet. Zu welchen Schlüssen er dabei gekommen ist, verrät er im Gespräch mit managerSeminare.
Herr Rückel, seit wann haben Sie eine zweite Existenz im zweiten Leben? Matthias Rückel: Ich bin schon vergleichsweise lange in Second Life aktiv, seit gut einem dreiviertel Jahr, noch vor der großen Medienwelle, die die virtuelle 3-D-Welt bekannt gemacht hat. Und ich muss sagen: Zunächst war ich ziemlich enttäuscht von den Weiterbildungsveranstaltungen, die dort geboten werden.
Wieso enttäuscht?Rückel: In Second Life wird derzeit viel mit Veranstaltungen experimentiert. Doch die Experimente stecken noch in einer Phase, in der vor allem Bekanntes aus der realen Welt in die 3-D-Welt übertragen wird. Da findet man dann dieselben Folienvorträge, die einen auch im echten Leben langweilen.
Womit viele vergrault werden, die aus einem ersten zaghaften Interesse an Lernangeboten via Second Life hineingeschnuppert haben?Rückel: Schon. Aber der derzeitige Entwicklungsstand ist normal. Jedenfalls, wenn man bedenkt, dass es im klassischen E-Learning eine ähnliche Entwicklung gab: Auch da ist zunächst das Bekannte auf das neue Medium übertragen worden, so dass CBTs oft digitalisierte Lehrbücher waren. Ein Problem, das mich selbst bisher davon abgehalten hat, mich in Second Life mit einem größeren Angebot aufzustellen, bestand vor allem darin, dass Teilnehmer bei virtuellen Veranstaltungen bisher nicht per Voice-, sondern nur per Text-Chat partizipieren konnten. Davon halte ich aus verschiedenen Gründen nicht viel. Allerdings tut sich in diesem Bereich zurzeit viel, das heißt, neue technische Möglichkeiten, um Sprachkonferenzen in Second Life abzuhalten, werden ausgerollt.
Doch wieso sollte man überhaupt in Second Life Weiterbildung anbieten, warum sollte man dort lernen? Wo ist da der Mehrwert?Rückel: Im Moment erschließt sich dieser Mehrwert bei vielen Veranstaltungsangeboten in Second Life tatsächlich nicht. Dennoch bietet die 3-D-Welt Vorteile, die kein klassisches E-Learning gewährleisten kann. Ein prinzipieller Unterschied besteht darin, dass die Teilnehmer anders als beim 'normalen' E-Learning vollständig in die virtuelle Welt eintauchen. Ein großer Vorteil ist, dass die Umgebung, in der sich der Lerner bewegt, in den Lernprozess eingebunden werden kann. Für Schüler gibt es z.B. Lernszenarien, bei denen sich der persönliche Avatar im alten Rom bewegt und sich so historisches Wissen aneignet. Solche Ideen lassen sich auch auf Weiterbildung und Business übertragen. IBM z.B. entwickelt jetzt in einer 3-D-Umgebung Businessprozesse, spielt sie nach und überprüft auf diese Weise, ob sie funktionieren, um sie ausschließlich dort zu trainieren.
Gibt es noch weitere Vorteile?Rückel: Einen weiteren Vorteil gegenüber anderen Formen synchroner virtueller Weiterbildung sehe ich darin, dass in Second Life mit Avataren, also virtuellen Stellvertretern, gearbeitet wird. Ein Avatar erleichtert es, persönliche Kontakte herzustellen. Das ist anders bei Videoübertragungen, die von vielen Teilnehmern als zu intim empfunden werden.
Noch ein Vorteil von Second Life ist, dass es sich um eine offene Plattform handelt, also eine, auf der sich zig Trainer, Dozenten, Programmierer treffen, sich austauschen und Tools entwickeln. Da ist eine Dynamik drin, bei der etwa ein Software-Hersteller, der 20 Entwickler beschäftigt, gar nicht mitkommt. Ruckzuck ist hier ein umfangreiches Arsenal an Interaktions- und Kommunikationstools entwickelt worden.
Gibt es Grenzen technischer und didaktischer Art?Rückel: Ja, natürlich. Es ist z.B. sehr aufwendig, einen Client zu installieren. Und auch die Handhabung ist nicht einfach. Wegen des doch recht großen technischen Aufwandes ist es daher wenig sinnvoll, in einem Blended-Learning-Szenario mit den Teilnehmern zwei Stunden in Second Life zu gehen. Man muss Second Life schon konsequenter als Lernplattform nutzen, damit sich der Aufwand lohnt.
Was haben Weiterbildungsanbieter überhaupt derzeit davon, sich mit ihrem Angebot in Second Life aufzustellen? Ist Bildung in der 3-D-Welt wirklich gefragt?Rückel: Bildungsangebote, die sich mit Second Life selbst beschäftigen, also mit Fragen der Programmierung usw., sind regelrecht überlaufen. Was zu-dem bereits häufig genutzt wird, ist Sprachunterricht. Da sind nette Szenarien möglich: z.B. in einem virtuellen Madrid mit einem virtuellen muttersprachlichen Coach an der Seite herumspazieren und dabei Spanisch lernen. In Zukunft dürfte auch für Verhaltens- und interkulturelle Trainings Potenzial da sein. Man könnte z.B. Avatare wunderbar kritische Situationen durchleben lassen.
Taugt der Auftritt in Second Life in Zukunft als zusätzliches geschäftliches Standbein für Trainer? Rückel: Was man in Second Life aus meiner Sicht mit Mehrwert gegenüber den bisherigen virtuellen Optionen abbilden kann, sind Formate wie größere Events und Kongresse, bei denen sich zwischenzeitlich Kleingruppen bilden, die dann wieder zusammenkommen. Solche Formate klappen im Internet sonst eher schlecht, weil die Oberflächen und Formate zu abstrakt sind und man z.B. oft gar nicht weiß, ob ein Diskussions-forum in Echtzeit stattfindet oder nicht. Aber solche Angebote bedeuten für den Veranstalter auch viel Arbeit: Er muss nämlich nicht nur den virtuellen, technischen Support bereitstellen, sondern auch den, den es bei einer Präsenzveranstaltung braucht: etwa Wegweiser aushängen, Empfangspersonal für die eintreffenden Avatare bereitstellen usw.
Generell sollte man als Anbieter nichts überstürzen, sondern schauen, ob die grafische Welt zur eigenen Firma passt. Dann sollte man überlegen: Was will ich überhaupt erreichen? Momentan ist zwar noch nicht die Zeit, Gewinn maximierend Angebote in Second Life umzusetzen, aber es ist die richtige Zeit, um Erfahrungen zu sammeln.