Schlauer lernen
Schlauer lernen

Was Hänschen nicht lernt …

Henning Beck erklärt, warum wir auch im Alter noch lernen können, aber eine andere Didaktik brauchen als junge Menschen.

Ich möchte Ihnen an dieser Stelle nicht übergriffig erscheinen, wenn ich Sie mit einer biologischen Wahrheit konfrontiere: Sie sind alt. Denn sehr wahrscheinlich haben Sie die Pubertät schon einige Zeit hinter sich gelassen und damit alle Vorteile eines plastischen, schnell lernenden Jugendgehirns eingebüßt. Schließlich ist es in der Neurowissenschaft ein offenes Geheimnis, dass menschliche Gehirne zwar lange brauchen, um ihre volle Leistungsfähigkeit zu erreichen (nämlich etwa 22 Jahre), um danach fortwährend an Rechen- und damit Lerngeschwindigkeit einzubüßen. Das war’s dann wohl mit dem Lernen im Alter – auch bei Ihnen. Denn ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: Ihr Gehirn befindet sich schon im Abbauprozess.

Doch gemach! Nur weil die Arbeitsprozesse im Gehirn im Alter langsamer ablaufen (was durchaus gut messbar ist), heißt das nicht, dass man im Alter prinzipiell schlechter oder weniger effektiv lernt. Gehirne sind nämlich niemals fertig entwickelt. Zwar erreicht die Geschwindigkeit der Denkprozesse tatsächlich mit Anfang 20 ihren Höhepunkt, doch nicht jeder Lernprozess ist geschwindigkeitsabhängig. Gewiss, eine neue Muttersprache zu lernen, das ist nach der Pubertät unmöglich – und auch wenn man virtuos und quasi perfekt Musik spielen oder Kunstturnen erlernen will, sollte man schon in der Kindheit beginnen. Doch höhere geistige Lernprozesse, Wissens- und Erfahrungserwerb, gelingen in fortgeschrittenem Alter ebenso gut wie in jungen Jahren. Es erfordert nur eine andere Didaktik.

Das Alter ist mitnichten eine Ausrede, um nicht mehr zu lernen, sondern im Gegenteil: Wer mehr lernt, bleibt umso länger geistig „jung“, sprich: fit. Allerdings muss man beachten, dass ältere Gehirne (und für die Wissenschaft beginnt „Alter“ in diesem Fall allerspätestens mit über 40) anders angesprochen werden müssen als jüngere Gehirne. Kleine Kinder lernen zum Beispiel durchaus sehr gut durch klare Regeln und verlässliche Strukturen, weil sie sich stark an Autoritätspersonen (beispielsweise den Eltern) orientieren. Spätestens in der Pubertät wird dieser Bezugsraum durch die gleichaltrigen Freunde abgelöst – Gruppenarbeiten und Ausprobieren mit anschließendem Feedback sind nun besonders zielführend. Nach der Pubertät sind Mischformen am besten: Man lässt Menschen Dinge ausprobieren, ermöglicht einen Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe – und wechselt dies immer mit Phasen der klar strukturierten und klassischen Wissensvermittlung (beispielsweise in Seminaren) ab.

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Je älter man wird, desto mehr tendiert man allerdings zum Theoretisieren in solchen Frameworks und Top-down-Erklärungen. Überhaupt ist es ein Bestreben des Gehirns, Gewohnheiten und bereits Gelerntes zu schützen. Jede neue Information könnte dem bisherigen Weltbild schließlich widersprechen. Genau deswegen probiert man weniger aus als in jungen Jahren. Es ist nicht ein langsames Gehirn als vielmehr die Gewohnheit im Denken, die einem schnellen Lernprozess oftmals im Wege steht. Erfolgreiches Lernen muss jedoch in jeder Lebensphase provozieren und überraschen. Zum Beispiel, indem man immer wieder Dinge ausprobieren und die Lernenden bewusst scheitern lässt, um sie aus eingefahrenen Denkmustern zu locken. Alle effektiven Lernprinzipien folgen diesem „Praxis – Theorie – Praxis“-Prinzip: Man probiert erst etwas aus, bekommt eine Erklärung, um diese anschließend wiederum anzuwenden. In dieser Hinsicht unterscheiden sich ältere Gehirne gar nicht mal so sehr von pubertierenden. Sie haben nur mehr Erfahrungen, um nicht jeden Quatsch auszutesten. Das muss nicht immer ein Nachteil sein.

Der Autor: Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „Das neue Lernen heißt Verstehen“. Kontakt: www.henning-beck.com

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