Schlauer lernen
Schlauer lernen

Raum fürs Lernen

Henning Beck erklärt, warum Raumwechsel gut fürs Denken und Lernen sind.

Erinnern Sie sich noch daran, wie die Klassenzimmer Ihrer Schulzeit aussahen? Oder die Hörsäle an der Uni, die Schulungsräume in der Ausbildung oder Seminarräume in Unternehmen? Das Grundprinzip ist nahezu immer gleich: Vorne steht jemand, und eine Gruppe sitzt davor und hört zu. Getreu dem Motto: Es gibt jemanden, der etwas weiß – und dieses Wissen wird in eine Richtung zu den Lernenden vermittelt. In der Wissenschaft würde man sagen: Solche Lernräume sind polarisiert, sie haben also eine Richtung. Die Frage ist nur, ist das auch die richtige Richtung – oder wie sollten Lernräume prinzipiell aussehen?

Die räumliche Umgebung hat einen maßgeblichen Einfluss auf unseren Lernprozess. Im Grunde sind alle Lernabläufe in unserem Gehirn räumliche Vorgänge, denn die Hirnregionen, die unser Gedächtnis aufbauen, sind auch daran beteiligt, eine mentale Landkarte unserer Umgebung zu erstellen. Wann immer Sie etwas lesen, hören, aufschreiben oder ausprobieren – das Gehirn kartiert neue Informationen immer in Mustern und Räumen. Hinzu kommt, dass der Raum selbst Teil der gelernten Information werden kann, ein Phänomen, das man als „Encoding Effect“ kennt. Wenn Sie beispielsweise Vokabeln immer auf Ihrem Balkon bei Sonnenuntergang lernen, werden Sie sich später leichter an die Vokabeln erinnern, wenn Sie bei Sonnenuntergang auf Ihrem Balkon sitzen. Merke: Echte Transferleistungen werden erst dann möglich, wenn man Räume wechselt. Nur dann lernen wir nicht nur, das Wissen fehlerfrei wiederzugeben, sondern auch, für Neues anzuwenden.

Nun denken wir nicht immer auf die gleiche Art und Weise, sondern unterschiedlich, je nach Aufgabe: Mal müssen wir konzentriert Sachen auswendig lernen, dann wiederum interaktiv mit anderen in Austausch treten. Andererseits brauchen wir auch Phasen, in denen wir aktiv nichts tun (zumindest keine neue Aufgabe fokussiert bearbeiten), um die aufgenommenen Infos zu verdauen und dem Gehirn die Möglichkeit zu geben, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Alle diese unterschiedlichen Arbeits- und Lernformen bräuchten idealerweise auch unterschiedliche Räume. Die Vorstellung, dass man in einem Raum immer gleich gut lernen kann, ist so irrsinnig wie die Hoffnung, im Homeoffice könnte man alle Arbeitsaufgaben gleich gut erledigen – denn erst Raumwechsel machen kreativ und anpassungsfähig. Schließlich wohnen Sie auch nicht in einem einzigen Raum, sondern trennen Küche, Toilette, Schlaf- oder Wohnzimmer.

Gute Lernumgebungen sollten ähnlich vorgehen: Klassische Schulungsräume haben durchaus ihre Berechtigung – für Lernphasen, in denen konzentriert an einem Thema gearbeitet wird. Daneben sind allerdings auch Räume nötig, in denen man kollaborativ mit anderen in Austausch tritt, präsentiert, diskutiert oder gemeinsam Ideen entwickelt. Diese Räume sollten strukturell weniger polarisiert aufgebaut sein: keine Frontalbeschallung, sondern ein Raum ohne Richtung, in dem überall Austausch entstehen kann. Ebenso scharf davon abgetrennt: Räume, in denen man pausieren und entspannen kann – schließlich kann man nur gut ausgeruht neues Wissen aufnehmen.

Übrigens: Das klingt alles neu und modern, ist aber uralt: Schauen Sie sich an, wie römische Häuserkomplexe oder mittelalterliche Klöster konzipiert wurden: Entspannungsgarten in der Mitte, drumherum eine Austauschzone (ein Kreuzgang beispielsweise) und davon abzweigend die Schreibstuben oder Gemächer. Dass Raumwechsel gut fürs Denken sind, ist also ein alter Hut – aber nicht weniger aktuell.

Der Autor: Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „Das neue Lernen heißt Verstehen“. Kontakt: ­www.henning-beck.com

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