Schlauer lernen
Schlauer lernen

Nur wer aufschiebt, kann gewinnen

Henning Beck erklärt, warum nicht das chronische Aufschieben von Dingen unser Problem ist, sondern das Sofort-erledigen-Wollen.

Wer heute als produktiv gelten will, der optimiert seinen Arbeitsablauf, nutzt To-do-Listen, fokussiert sich auf das Wesentliche und arbeitet alles effizient ab. Leider spielt unser Gehirn bei dieser hehren Zielsetzung nicht mit – und schweift ab. Das Gehirn ist sogar Weltmeister im Abschweifen und Lustverlieren, und wenn Sie nicht alle paar Sekunden Ihre Aufmerksamkeit auf etwas Interessantes und Schönes richten (also konkret: diese Kolumne), sind Sie gedanklich ganz woanders. Kein Wunder, dass viele Sachen unerledigt bleiben, schließlich schieben wir Dinge gerne mal auf die lange Bank. So kommt es zu dem, was man „Prokrastinieren“ nennt, das chronische Aufschieben von Dingen, weil man im konkreten Moment etwas anderes für wichtiger erachtet. Sie können einen ganzen Haufen an Ratgeberliteratur kaufen, der Ihnen helfen will, weniger zu prokrastinieren und die Dinge schneller abzuarbeiten. Doch auch hier lauert eine Gefahr: das Gegenteil vom Aufschieben, das „Präkrastinieren“ nämlich, das sofortige Erledigen von Dingen, die eigentlich eines Aufschubs bedürften.

Was paradox klingt, ist konkret im Labor messbar. Sollen Menschen zum Beispiel einen schweren Eimer ans Ende eines Ganges tragen, greifen viele Menschen zu einem Eimer, der näher bei ihnen steht, als zu einem Eimer, der kurz vor dem Ziel platziert ist. Eigentlich bescheuert, denn nun trägt man einen Eimer länger ins Ziel. Aber Menschen tun sich offenbar schwer damit, an unerledigten Dingen vorbeizugehen und den leichteren Weg zu nehmen. Nicht nur beim Eimerschleppen, sondern auch bei geistigen Tätigkeiten werden Menschen Opfer dieses Denkfehlers: Wir hassen unerledigte Dinge so sehr, dass wir sie schnell wegarbeiten, statt wirklich zu priorisieren. Das verschlimmbessert die Leistung allerdings. Denn wir erledigen Dinge auch sofort, die eventuell durch etwas Aufschub besser gelöst worden wären – vor allem deswegen, weil manche Problemlösung davon profitiert, wenn man vorher noch mal drüber schläft.

Ich weiß zum Beispiel nicht, wie viele E-Mails ich in der Hitze des Gefechtes schon abgeschickt habe, bloß um sie schnell „weg zu haben“ (und wie oft ich es bereute, zu schnell auf den „Senden“-Knopf gedrückt zu haben). Seitdem habe ich mir angewöhnt, dass ich vor dem Absenden von E-Mails noch mal einen Moment warte – bisher hat der Inhalt immer davon profitiert, weil mir eine noch bessere Idee kam.

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Wer Opfer des Soforterledigens wird, bei dem laufen Aufgaben oft durcheinander. Jeder neue Task konkurriert mit den schon bestehenden, wird eventuell vorgezogen und überfordert uns irgendwann. Digitale Techniken machen das Problem nicht besser, sondern verschärfen es sogar. Genau das ist die Paradoxie unserer Welt: Wir denken, das Aufschieben wäre das größte Problem unserer Effizienz. Weit gefehlt – der Megatrend ist die Sehnsucht nach dem schnellen Abarbeiten. Niemals hatten wir Menschen bessere Technologien, um Zeit einzusparen und Dinge schneller zu erledigen. Und was machen Menschen mit der gewonnenen Effizienz? Sie setzen sie ein, um in derselben Zeit noch mehr Dinge zu erledigen. Noch nie hat technischer Fortschritt zu mehr Freizeit und Muße geführt – sondern immer dazu, dass wir noch gehetzter sind. Kunststück, wenn ein Teil unserer geistigen Einstellung darin besteht, nach Problemen zu suchen, die wir am besten sofort abhaken können. Wir rühmen uns, schnell und effizient Aufgaben abarbeiten zu können – dabei ist es die clevere Balance aus Aufschieben und Soforterledigen, die uns wirklich leistungsfähig macht. Bevor Sie also das nächste Mal auf die Schnelle eine Aufgabe vorziehen, halten Sie kurz inne. Manche Leistung gewinnt dadurch, dass sie etwas reifen darf.

Der Autor: Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „Das neue Lernen heißt Verstehen“. Kontakt: ­www.henning-beck.com

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