Schlauer lernen
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Die Hyperpersonalisierung

Henning Beck über die Vor- und Nachteile der Hyperpersonalisierung.

Preisfrage zu Beginn: Was ist der typische Musiksound der 2010er-Jahre? Es ist schon seltsam: Im Radio läuft immer der „beste Mix der 70er, 80er, 90er – und das Beste von heute“. Jedes Jahrzehnt ist klar herauszuhören, jede junge Generation hatte ihren eigenen Musikstil. Übrigens auch jede junge Protestbewegung. Ist Ihnen aufgefallen, dass bei „Fridays for Future“ keine Protestlieder gesungen werden wie noch von den 68ern oder der Umweltbewegung der 80er? Der Grund ist subtil: Seit den späten 2000ern gibt es verbreitetes Streaming. Seitdem hat jeder Mensch seinen eigenen Musikgeschmack, seinen eigenen Sound auf den Ohren. Ab 2010 zerfasert die Mainstreammusik in eine immer schwerer identifizierbare Unübersichtlichkeit. Ich bin sicher: In zwanzig Jahren wird es keine Retro-Shows über die typischen 2010er- oder 2020er-Jahre geben, so wie wir heute belustigt auf die 70er- oder 90er-Jahre zurückschauen.

Warum ist das wichtig? Weil es den vielleicht größten Megatrend unserer Medienwelt beschreibt: die Hyperpersonalisierung. Sie können sich heute praktisch zu jeder Zeit passgenau den Content anschauen, den Sie gerade wollen. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite separieren Sie Meinungen und Kulturräume voneinander. Gesellschaften leben schließlich davon, dass man auch mal aus seiner Komfortzone herausschaut. Wer sich jedoch in seiner Selbstgefälligkeit immerfort mit seinen Lieblingsinhalten selbst bespiegelt, dem fällt es immer schwerer, irgendwann auf gute Ideen zu kommen. Wir „vertiktoken“ unsere Gedankenwelt: Jeder bekommt das, was zu ihm passen soll. Wenn man das übertreibt, zerteilt man den Geschmack einer Gesellschaft.

Auf der anderen Seite bietet diese Entwicklung eine grandiose Chance, Menschen ebenjene passgenauen Inhalte zu geben, die sie brauchen. Eines der größten Probleme der Bildung ist schließlich die Tendenz, eine Lösung für alle anbieten zu wollen. Je größer die Gruppe oder die Klasse ist, die eine Lehrkraft oder ein Weiterbildner betreuen muss, desto weniger individuell kann diese Betreuung sein.

Wie wäre es, wenn man die Stärke moderner digitaler Technik deswegen für ein individuelles Angebot nutzt? Zumindest ist das die große Vision zahlreicher IT-Firmen: einen persönlichen KI-Tutor zu entwickeln, der (wie ein guter Freund) immer parat steht, um einen auf einer Lernreise zu begleiten. Das große Versprechen von generativer KI (wie ChatGPT, Gemini oder Llama) ist schließlich nicht, dass man ein paar E-Mails zusammenfasst, sondern dass man das Individuelle skalierbar macht.

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Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jeder seinen eigenen KI-Lernkumpel hat, der erst den Wissensstand abfragt, in einem sokratischen Dialog anschließend Wissenslücken erkennt, einen persönlichen Lernplan inkl. Lernmaterialien erstellt, beim gemeinsamen Lernen erkennt, wie der Lernfortschritt ist und daraufhin den Lernpfad neu justiert. Erste Unternehmen arbeiten daran und konzipieren solche digitalen Lernwelten. Dass man dadurch das physische Lernumfeld nicht ersetzen kann, ist klar. Denn einen direkten und ko-kreativen Austausch, das Präsentieren von Wissen, das Ausarbeiten neuer Lösungen, das wird auch in Zukunft einen menschlichen Austausch erfordern. Doch vielleicht könnten digitale Tools den Bereich abdecken, der in der Bildung am kompliziertesten ist: die passgenaue Ansprache.

Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „12 Gesetze der Dummheit“. Kontakt: ­henning-beck.com

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