Schlauer lernen
Schlauer lernen

Der Sinn von Allgemeinbildung

Henning Beck erklärt, warum das Lernen von vermeintlich unsinnigen Dingen – wie es etwa in der Schule geschieht – doch sinnvoll ist.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Schulzeit – und was für unsinnige Dinge Sie lernen mussten? Irgendwelche Integrale von Polynomen berechnen, den „Faust“ lesen, das Dreiklassenwahlrecht aus dem Kaiserreich lernen? Was für ein Unsinn, denn die wirklich wichtigen Dinge haben Sie wohl kaum in der Schule erfahren: Wie man einen Mietvertrag richtig ausfüllt, welche Versicherungen im Leben wichtig sind, wie man fürs Alter vorsorgt. Man kommt von der Schule und ist ein weltfremder Fachidiot. Statt Deutsch und Physik wäre doch Programmieren und Finanzwissen viel alltagstauglicher.

So kann man argumentieren, aber so verkennt man, was Bildung wirklich ausmacht. Viel wichtiger als das konkrete Ausbilden für einen Wissensinhalt ist es, den Leuten das Denken beizubringen. Wer im Matheunterricht die Nullstelle einer Funktion berechnet, mag genau das niemals in seinem Leben anwenden. Aber man trainiert währenddessen Fähigkeiten wie logisches Denken, das Abstrahieren in Mustern, das symbolische Schlussfolgern, das ablenkungsfreie Konzentrieren so gut wie nirgends sonst. Unterschätzen Sie nicht, dass das Gehirn solche Metafähigkeiten wunderbar auf alle möglichen Dinge im Leben übertragen kann. Von der Steuererklärung bis zur Altersvorsorge: Immer wieder kommt es darauf an, saubere Schlussfolgerungen zu ziehen oder einen Inhalt zu abstrahieren.

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Ein schönes Beispiel ist das Schulfach „Programmieren“, das immer wieder gefordert wird. Sie können gerne lernen, wie man in C++ oder Python programmiert. Nichts ist dagegen zu sagen. Sie trainieren logisches Denken und symbolisches Abstrahieren. Doch die Zukunft wird nicht von denen gestaltet, die gut programmieren können. Im Gegenteil, der Programmierer ist ein aussterbender Beruf. Schon jetzt erleben wir, wie Künstliche Intelligenz Programme (unter Anleitung) selbst gestalten kann. Computer werden bald ihre eigenen Programme schreiben.

Was nicht ausstirbt, ist die Fähigkeit, sich zu überlegen, wie und für was man programmiert. Die besten Programmierer, die ich kenne, haben in ihrer Kindheit mit Lego gespielt. Sie haben trainiert, in Modulen und Bauklötzen neue Welten aufzubauen. Genau das ist der Sinn von Bildung, egal ob in der Schule oder im Beruf: Am Ende müssen Menschen mit eigenständigen Denkmethoden Probleme lösen können. Dafür darf man ihnen aber nicht alles haarklein vorkauen, sondern sie müssen selbst ausprobieren: in Fallstudien, anhand von Beispielen oder neuartigen Problemen.

Wenn ich nach Frankfurt reinfahre, komme ich an einem Legoladen vorbei. Dort stehen im Schaufenster aber keine Ritterburgen oder Pirateninseln, die man nach Gutdünken auf-, ab- und umbauen, sprich kreativ nutzen kann. Sie finden dort ein Empire State Building oder einen Sportwagen, den man nach Anleitung mit Legoklötzchen nachbauen kann. Wenn man dieses Denken auf Bildung überträgt, beendet man genau das, was dieses Land stark macht: mit eigenen Ideen und Kreativität etwas Neues zu entwickeln. Wer Menschen zu viel Anleitung gibt, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie später unselbstständig denken. Wir werden in zehn Jahren vor Problemen stehen, die wir heute noch gar nicht kennen. Genau dann braucht man aber auch Leute, die grundlegende Fähigkeiten des menschlichen Denkens anwenden können, um anpassungsfähig zu sein. Genau das ist der Sinn von Allgemeinbildung.

Der Autor: Henning Beck ist Neurowissenschaftler, und zwar einer der verständlichen. In Vorträgen und Seminaren vermittelt er die spannenden Themen des Gehirns. Sein aktuelles Buch heißt „Das neue Lernen heißt Verstehen“. Kontakt: ­www.henning-beck.com

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