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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Sophie Dériaz im Interview mit Christian Julmi aus managerSeminare 322, Januar 2025
Herr Julmi, Sie haben die erste repräsentative Studie zur Bedeutung der Arbeitsatmosphäre in Deutschland durchgeführt. Was ist das wichtigste Ergebnis?
Christian Julmi: Wir forschen schon eine Weile zur Arbeitsatmosphäre – deshalb war uns klar, dass das Thema eine hohe Bedeutung hat. Wenn man mit Menschen spricht, wird man dahingehend bestätigt. Dennoch gab es bislang keine Studien darüber, wie wichtig die Arbeitsatmosphäre wirklich ist. Das ist dann auch unser zentrales Ergebnis: Auf einer Skala von eins bis zehn haben die Befragten die Wichtigkeit einer guten Atmosphäre im Schnitt mit fast neun Punkten bewertet. Für die Wahl des Arbeitgebers etwa ist sie für viele Menschen nach dem Gehalt der wichtigste Faktor. Damit haben wir nicht gerechnet.
Ein verwandter Faktor, dem gemeinhin viel Bedeutung beigemessen wird, ist die Unternehmenskultur. Wie unterscheidet sich denn die Arbeitsatmosphäre von der Unternehmenskultur?
Wir haben die Beobachtung gemacht, dass viele die Begriffe „Arbeitsatmosphäre“ und „Unternehmenskultur“ synonym betrachten. Allerdings gibt es zwischen den beiden Konzepten einige Unterschiede. So ist die Unternehmenskultur ein eher abstraktes Sujet; ein Konzept, was sich auf das Denken und Verhalten der Organisationsmitglieder auswirken kann und für das ganze Unternehmen gilt. Die Arbeitsatmosphäre ist hingegen viel lokaler, sie ist eben kein abstraktes Konstrukt, sondern ein spürbares Phänomen. Atmosphären sind omnipräsent, anders als eine Unternehmenskultur, die man vorgeben und leben kann, die aber für manche Abteilungen weiterhin völlig irrelevant bleibt.
Worauf zahlt eine gute Arbeitsatmosphäre ein?
Wir haben uns die Wirkung der Arbeitsatmosphäre auf vier Faktoren angeschaut: Wohlbefinden, Zufriedenheit, Motivation und Arbeitsleistung. Im Rahmen unserer Studie haben wir herausgefunden, dass sich eine gute Arbeitsatmosphäre auf alle untersuchten Faktoren positiv auswirkt. Ein interessantes Finding: Die Atmosphäre beeinflusst ganz konkret, welche Leistungen die Mitarbeitenden bringen. Wenn die Atmosphäre gut ist, stimmt die Leistung, wenn sie schlecht ist, haben die Leute Probleme, Leistung zu erbringen. Die Arbeitsatmosphäre ist somit tatsächlich ein harter Faktor, der unmittelbar mit dem Erfolg eines Unternehmens in Verbindung steht.
Gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern, was die Bedeutung der Arbeitsatmosphäre angeht?
Ja, da haben wir einen bedeutsamen Unterschied gefunden. Zwar finden sowohl Männer als auch Frauen die Atmosphäre sehr wichtig, wenn man sich jedoch nur die Frauen anschaut, ist die Arbeitsatmosphäre für sie der wichtigste Faktor, noch vor dem Gehalt und dem Verhalten der Führungskraft – Faktoren, die wiederum für Männer eine höhere Bedeutung haben als die Arbeitsatmosphäre. Gleichzeitig sind Frauen jedoch weniger zufrieden mit der Atmosphäre bei ihrem aktuellen Arbeitgeber und nehmen sie fast doppelt so häufig als toxisch wahr. Diese Bedeutungs-Wahrnehmungskluft zwischen den Geschlechtern bezeichnen wir als Gender Atmosphere Gap.
Wie erklären Sie dieses?
Dem Anschein nach handelt es sich dabei um die Konsequenz eines strukturellen Problems: Wir halten es für wahrscheinlich, dass aufgrund von geschlechtsspezifischen Vorurteilen anders mit Frauen umgegangen wird und sie sich häufiger in einer toxischen Atmosphäre beweisen müssen. Ein Beispiel für eine solche Situation ist das Double-Bind-Dilemma von Frauen in Führungspositionen – sind sie durchsetzungsstark, werden sie als wenig authentisch und sympathisch wahrgenommen. Sind sie hingegen fürsorglich und freundlich, spricht man ihnen die Führungskompetenz ab.
Wie beeinflusst der Führungsstil die Atmosphäre?
Der Führungsstil ist wesentlich. Wie wesentlich, merkt man etwa, wenn ein neuer Chef kommt: Die Atmosphäre in der Abteilung ändert sich von heute auf morgen. Für eine gute Arbeitsatmosphäre zu sorgen, ist demnach eine zentrale Führungsaufgabe. Dafür gibt es allerdings kein Schema, das man anwenden kann. Wichtig ist zuerst einmal, zu verstehen, wie man von den Mitarbeitenden wahrgenommen wird. Denn gerade Führungskräfte haben häufiger ein Selbstbild, das von der Fremdwahrnehmung stark abweicht. Ich sehe Führungskräfte daher nicht nur als großen Einflussfaktor, sondern auch in der Pflicht, aktiv an der Atmosphäre zu arbeiten.
Dazu müssen sie diese aber erst einmal greifbar machen …
Genau, sie müssen ein gutes Verständnis für die Atmosphäre im Unternehmen entwickeln. Dazu müssen sie vor allem mit den Menschen sprechen, ihnen zuhören und schauen, welche Muster und Übereinstimmungen sich in ihren Aussagen finden lassen. Darüber hinaus benötigen sie ein Verständnis für die Kontexte. Es gilt, genau zu wissen, was beispielsweise eine Überwachungsatmosphäre ausmacht und was die Gründe sind, warum sich solche Atmosphären entwickeln.
Für Führungskräfte ist es vermutlich leichter, sich ein Bild von der Arbeitsatmosphäre zu machen, wenn alle Mitarbeitenden im Büro sind, als wenn sie im Homeoffice arbeiten.
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Als Führungskraft bekommt man ein Gespür für Atmosphären durch das Beobachten der Mitarbeitenden. Häufig entwickelt sich das gerade in Situationen, in denen man kein konkretes Meeting oder Gespräch mit einem Ziel hat, sondern sich zwischen Tür und Angel begegnet. Das hat man im Homeoffice nicht, da man sich virtuell nur sehr gezielt trifft und austauscht. So ist es für Führungskräfte tatsächlich deutlich schwerer, die Arbeitsatmosphäre in ihrem Team einzuschätzen. Ich bin ein Freund des hybriden Arbeitens und halte es durchaus für möglich, auch remote eine gute Arbeitsatmosphäre aufzubauen, allerdings ist es auch richtig, dass das gemeinsame Arbeiten im Büro eine stärkere gemeinsame Atmosphäre schafft.
Wo können Unternehmen ansetzen, die ihre Arbeitsatmosphäre verbessern möchten?
Führungskräfte sind der Dreh- und Angelpunkt. Es gilt, sie zu befähigen, ihre eigene atmosphärische Wirkung einschätzen zu können und ihr Selbst- und Fremdbild in Einklang zu bringen. Das ist für mich persönlich der wichtigste Punkt für eine gute Atmosphäre, aus Sicht der Führungskräfte formuliert: zu verstehen, wie man selbst eigentlich wirkt. Das klingt vielleicht trivial, weil wir gerne von uns selbst denken, dass wir wissen, wie wir wirken, aber gleichzeitig kennen wir alle eine Person, bei der es offensichtlich ist, dass sie ganz anders wirkt, als sie denkt. Warum sollte das bei uns anders sein? Ich glaube, wir alle wirken nicht so, wie wir denken, dass wir wirken. Da können Unternehmen ansetzen – mit gezielter Führungskräfteentwicklung. In jedem Fall muss ich, wenn ich als Führungskraft an der Atmosphäre etwas verändern will, erst mal verstehen, an welchem Punkt ich gerade stehe. Hier kommen die Mitarbeitenden ins Spiel – es gilt, ihnen einen sicheren Raum zu geben, in dem sie sich frei äußern können. Bei der Arbeitsatmosphäre geht es darum, was intersubjektiv nicht stimmt; nur wenn die Leute das Gefühl haben, frei sprechen zu dürfen, können Probleme offengelegt werden. Anschließend gilt es, diese Problemfelder individuell und kontextspezifisch anzugehen, denn so unterschiedlich, wie Atmosphären sind, so verschieden sind letztendlich auch die Lösungen, um sie zu verbessern.
Die gesamte Studie kann unter msmagazin.info/322Arbeitsklima heruntergeladen werden.