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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Reinhold M. Karner aus managerSeminare 313, April 2024
Jedes Jahr schlüpfen unzählige Caretta-Caretta-Schildkröten aus ihren Eiern und taumeln im Mondlicht der Südtürkei unbeholfen der Wasserlinie entgegen. Im Kampf gegen Seevögel, Haie, Motorboote und menschliche Feinde erreichen geschätzt nur ein bis zwei von tausend Jungtieren das Erwachsenenalter. Zum Glück sorgt die Natur vor und lässt Jahr für Jahr allein im türkischen Belek 70.000 kleine Schildkröten ins Meer krabbeln. Was in der Natur eine probate Strategie ist, um die Population aufrechtzuerhalten und das Überleben der Spezies zu sichern, kann in der Wirtschaft nicht dauerhaft funktionieren. Die Natur ist nur für sich selbst verantwortlich. Die Wirtschaft aber ist den Menschen verpflichtet. Und je mehr Menschen es gibt und je komplexer sich deren Lebensumstände gestalten, desto weniger Verschwendung kann sich die Wirtschaft leisten, desto effizienter muss sie sein. Aus dieser Perspektive kann die gegenwärtige Startup-Kultur nur als Irrweg gesehen werden. Ein Irrweg, der mehr Ressourcen verbrennt, als sinnstiftende Disruptionen zu erzeugen.
Stellen Sie sich vor, Sie würden als Produzent stets 80 bis 90 Prozent Ausschuss produzieren oder als Landwirtin eine Missernte nach der anderen einfahren. Statt den Ruin zu riskieren, würden Sie in solch einem Fall sicherlich alles daransetzen, die Dinge so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen, um profitabel zu wirtschaften. Entgleiste Erfolgsmaßstäbe der Startup-Szene scheinen von diesem gesunden Menschenverstand jedoch weit entfernt zu sein. Hier ist Erfolg die Ausnahme, Scheitern die Norm.
Dabei wird das Startup-Ökosystem oft als Motor für Innovation und Wirtschaftswachstum gepriesen. Es rege die Kreativität an und fördere die Entwicklung neuer Technologien, heißt es. Doch hinter der glänzenden Fassade verbirgt sich eine düstere Realität: 80 bis 90 Prozent der Startups überleben keine zehn Jahre, viele nur 18 bis 24 Monate. Doch obwohl es sich dabei um ein tiefgreifendes strukturelles Problem und einen kollektiven Albtraum handelt, scheint das massenhafte Startup-Sterben niemanden zu alarmieren.
Dabei ist der Schaden für die etablierte Wirtschaft enorm, wenn ständig neue, unerfahrene Unternehmer und Unternehmerinnen mit unausgereiften, „disruptiven“ Ideen den Markt überschwemmen und den fairen Wettbewerb untergraben. Die aktuelle Startup-Kultur verursacht überproportionale Kollateralschäden in der Wirtschaft. Zeit, Kapital und andere Ressourcen, die in diese gescheiterten Projekte investiert wurden, sind unwiederbringlich verloren. Von soliden Unternehmen dringend gesuchte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in zum Scheitern verurteilten Abenteuern gebunden. Bei den Gründerinnen und Gründern selbst verursacht das Scheitern unterdessen oft Leid und Traumata. Es führt zu einer Risikoaversion und zu Schäden an unternehmerischem Potenzial, am Selbstvertrauen, an Karrieren, Existenzen, Gesundheit und Familien.
Die Aufrechterhaltung einer funktionierenden Wirtschaft ist zu wichtig, um sich das alles leisten zu können. Startups sind nur dann gut, schön und wichtig, wenn sie gut durchdacht, seriös und fundiert an entscheidenden Dingen erfolgreich arbeiten. Wer ein Startup gründet, sollte dies tun, um einen langfristig nützlichen Beitrag zu leisten – im Bewusstsein, dass ernsthaftes Unternehmertum viel Mühe erfordert.
Die Medien sind voll von Erfolgsgeschichten, die den Aufbau eines erfolgreichen Startups als Klacks darstellen. Diese selektive Berichterstattung verstärkt den Hype und führt bei jungen Unternehmerinnen und Unternehmern zu unrealistischen Erwartungen. Sie suggeriert, dass jeder mit einer scheinbar guten Idee und etwas Risikobereitschaft das Zeug zum nächsten Unternehmensgiganten hat. Die Realität sieht anders aus: Auf jeden Erfolg kommt ein Vielfaches an nicht erzählten Misserfolgen. Da diese aber nicht erzählt werden, findet eine Glorifizierung der bestehenden Startup-Kultur statt. Man träumt vom schnellen Geld, vom Ruhm, von der baldigen Milliardenbewertung des eigenen „Unicorns“, die in der Realität nur zu 0,00006 Prozent eintrifft. Auch der schnelle Exit, der erfolgreiche Verkauf der eigenen Startup-Beteiligung, der einen zum Multimillionär macht, findet in der Realität nur in 0,005 Prozent der Fälle statt. Diese Disparität zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit führt zu einer toxischen Verzerrung, die unerfahrene Gründerinnen und Gründer in riskante Unternehmungen treibt, die sie finanziell Kopf und Kragen kosten.
Apple-Gründer Steve Jobs hat dazu in seiner Biografie klar Stellung bezogen: „Ich kann es nicht ausstehen, wenn Leute sich selbst als ,Unternehmer‘ bezeichnen, wenn sie in Wirklichkeit nur versuchen, ein Startup aufzubauen, um es dann zu verkaufen oder an die Börse zu bringen, um entsprechend abzukassieren, um daraufhin anderswo weiterzumachen. Sie sind nicht bereit, die Arbeit auf sich zu nehmen, die für den Aufbau einer echten Firma notwendig ist. Dies ist die schwerste Aufgabe, die es im Geschäftsleben gibt. Auf diese Weise trägt man wirklich etwas bei und fügt dem Vermächtnis derer, die vor einem da waren, etwas hinzu.“
Mit der erschreckend hohen Misserfolgsquote von über 80 Prozent sind Startups keine Leuchttürme des Erfolgs, sondern eher das Mahnmal einer fehlgeleiteten Kultur. Diese Statistik entlarvt die grassierende Realitätsverweigerung, die einem unverantwortlichen Optimismus Vorschub leistet und gleichzeitig die harten Fakten des Unternehmertums ignoriert. Was rund um die derzeitige Startup-Kultur genährt wird, ist die gefährliche Illusion, dass das Scheitern etwas völlig Harmloses ist, während der Wert krisenfesten, langfristig erfolgreichen Unternehmertums unterschätzt wird.
Dabei geht es auch anders. Eine Transformation hin zu einer soliden Gründungskultur, die am Ende den Erfolg wieder zur Norm erhebt, wäre kein Hexenwerk. Für ein zukunftsfähiges Gründerökosystem müssen Realismus, Nachhaltigkeit und wahre Werte als Leitprinzipien etabliert werden. Erfolg zu haben, ist keine große Kunst. Die große Kunst ist es, den Erfolg langfristig zu halten. Dies ist eine permanente Herausforderung, die nach ganz eigenen Spielregeln und Mechanismen funktioniert, vor allem folgenden vier:
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