Wenn wir das Wort Potenzial benutzen, nickt jeder wissend, weil jeder zu wissen scheint, was gemeint ist. Aber was ist gemeint? Bei dieser Frage finden wir vielleicht noch einen Konsens. Noch relevanter ist aber die Frage: Woran machen wir unsere Beurteilungen fest, dass jemand über mehr oder weniger Potenzial verfügt? Worauf basiert diese Einschätzung eigentlich?
Der Überlegung, dass mit Potenzial so etwas wie noch nicht entfaltete Möglichkeiten und Anlagen gemeint ist, werden vermutlich viele zustimmen können. Aber wenn sie noch nicht entfaltet sind, woran sieht man dann, dass sie da sind? Potenzialbeurteilung ist immer eine mehr oder weniger langfristige Prognoseerstellung - und Prognosen sind bekanntlich schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen, wie mal ein kluger Mann bemerkt haben muss. Die Prognoseerstellung darüber, wie sich ein Mensch entwickeln wird, gehört vermutlich zu den Formeln, bei denen wir eine Reihe von Unbekannten zu berücksichtigen haben.
Welcher Logik folgt unsere Zuschreibung von Potenzial? Die Aussage 'Das ist halt ein Guter, auch in seinen jungen Jahren schon!' mag im Einzelfall richtig sein, befriedigt aber nicht als Konzept. Die Zuschreibung von Verhaltenseigenschaften ('Der hat eine hohe soziale Kompetenz, das spricht für ein gutes Potenzial') vermag uns auch nicht richtig zufrieden zu stellen, denn eigentlich haben wir uns ja nur den gegenwärtigen Status angeschaut. Was sollten wir letztlich auch sonst tun? Aber haben wir Potenzial gesehen? Offenbar nicht, denn es ist auch der Fall denkbar, dass wir sagen: 'Der hat eine hohe soziale Kompetenz, aber kein Potenzial mehr.'