Die soziale Marktwirtschaft ist tot, das denken viele Deutsche. Grund dafür haben sie: In einer globalisierten Welt, in der sich Staaten gegenseitig mit attraktiven Steuern, mit Lohndumping und der Verfügung über die Ökologie unterbieten, erscheint sie als ein anachronistischer Luxus, als aussichtsloser Alleingang innerhalb der eigenen kleinen Grenzen. Die Kosten für den Schutz der sozial Schwachen, so fürchten viele, werden ins Unermessliche steigen, und trotzdem werden die Armen ärmer und die Reichen immer reicher. Beim Schutz von Klima und Umwelt ist es ähnlich: Wenn andere immer mehr Naturflächen zerstören und Treibhausgase in die Luft blasen, erscheint es geradezu widersinnig, im Inland auf billige Energie zu verzichten und der Industrie teure Auflagen zu machen.
Was für den einen als hilf- und nutzloser Aktionismus gegenüber einer übermächten Weltwirtschaft ist, erscheint dem anderen als Staatsdirigismus, als paternalistische Bevormundung, die mit Marktwirtschaft nichts zu tun hat. Und es hiesigen Firmen unnötig schwer macht: Denn Steuern und Auflagen zum Arbeitnehmerschutz sind ein Wettbewerbsnachteil, wenn Konzerne einfach ins nächste Land ziehen können, in dem sie leichter Gewinne erzielen können.
Wer jetzt aber sagt, dass wir uns deshalb das Soziale unserer Marktwirtschaft sparen und die Unternehmen sozusagen vom Zügel lassen müssen, hat nicht verstanden, wofür Ludwig Erhard vor mehr als 60 Jahren gekämpft hat. 'Ich will für mein Schicksal selbst verantwortlich sein. Sorge du, Staat, dafür, dass ich dazu in der Lage bin', sagte der Erfinder der sozialen Marktwirtschaft. Was Erhard damit meinte, war nicht, dass sich der Staat aus allem heraushalten sollte, auch nicht, dass sich jeder nur um seinen eigenen Vorteil kümmern soll. Im Gegenteil, was er beschreibt, ist – bei allem Eigennutz – die Verantwortung von uns allen für uns alle.