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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Anna und Nils Schnell aus managerSeminare 312, März 2024
Die Welt schaut ins Silicon Valley. Die dortigen Tech-Konzerne geben vor, wie die Welt arbeitet. Scharenweise zieht es Beraterinnen und Berater, Unternehmerinnen und Unternehmer jedes Jahr dort hin, um sich inspirieren zu lassen oder etwas abzuschauen. Als wir im Jahr 2018 zu unserer globalen Modern Work Tour aufgebrochen sind, haben wir uns gerade deshalb gegen das Valley und die USA entschieden. Zumindest vorerst. Stattdessen reisten wir in 54 andere Länder, um einen wirklich internationalen Eindruck von der Zukunft der Arbeit zu erhalten und frische neue Beispiele jenseits der altbekannten zu finden.
Aber am Ende der Reise zieht es auch uns in das berühmte Tal. Wir sind zugegebenermaßen neugierig – angesichts dessen, dass die Medien nach der Pandemie über Massenkündigungen und auch die schlechte Arbeitskultur bei manchem Vorreiter von New Work berichteten. Die Stimmung im Valley wird als kritisch beschrieben. Das wollen wir uns selbst anschauen.
Leider bestätigen sich die Berichte teilweise tatsächlich. Denn die meisten Kontaktleute aus den im Silicon Valley ansässigen großen Weltkonzernen ziehen ihre zugesagten Treffen mit uns am Ende doch zurück. Nur mit einem Ansprechpartner vom Weltmarktführer Nvidia können wir uns austauschen – jedoch inoffiziell und ohne Namensnennung.
Die Begründung für die Absagen und die Geheimhaltung verrät viel darüber, unter welcher Anspannung man im Tal derzeit steht: Mehrfach hören wir, dass sich die Personen, die eigentlich Interesse an einem Treffen mit uns hatten, einfach nicht trauten, etwas zu tun, das nicht unmittelbar arbeitsbezogen ist. Und zwar aufgrund der Kündigungswellen, die gerade durchs Silicon Valley schwappen. Generell, so auch unser Eindruck, scheint gerade jeder hier zu versuchen, nicht zu den Zehntausenden zu gehören, die schon am nächsten Tag vor die Tür gesetzt werden.
Dass der innovative Geist und der Modern-Work-Esprit, den man im Silicon Valley vermutet, trotz allem noch zu finden ist, erleben wir allerdings auch. Etwa bei unserem Treffen mit dem charismatischen Q Hamirani, der beim Tech-Unternehmen Paper als Chief People Officer arbeitet.
In gewohnter Manier findet unsere Zusammenkunft nicht im Büro, sondern in einem Café in Palo Alto statt, umgeben von schicken Boutiquen, fancy Restaurants und dem Flair einer heilen Welt, zumindest dem äußeren Anschein nach. Q erzählt uns etwas, von dem wir angetan sind: Er sagt seit einiger Zeit alle regulären Meetings ab. Seine Begründung: „Sie sind einfach nicht produktiv genug. Häufig trifft man sich, ohne dass es sein müsste.“ Wenn es nach ihm ginge, würde es im ganzen Unternehmen keine regulären Meetings mehr geben. Wobei: Keine Meetings sind auch keine Lösung, meint Q, aber sie sollten eben genau dann stattfinden, wenn man sie braucht. So könne man situativ auftretende Schwierigkeiten gemeinsam mit den Mitarbeitenden viel schneller angehen, als es im Turnus regulär stattfindender Meetings möglich wäre. Dringendes und Wichtiges bekommt so tatsächlich Vorrang. Und statt aufgrund eines vollen Terminkalenders nicht verfügbar zu sein, kann Q sich nun wahrhaft agil auf die Anliegen seiner Kolleginnen und Kollegen und seiner Mitarbeitenden einlassen.
Wir finden die Strategie vernünftig: Wenn man ausschließlich auf wirklich nötige Ad-hoc-Meetings setzt und auf alle anderen verzichtet, entstehen neue Zeitfenster. Und man kann seine Wochenstruktur so gestalten, dass sie den Arbeitsanforderungen besser gerecht wird. „Das fühlt sich am Anfang komisch an, doch dann spürt man den Mehrwert jeden Tag“, sagt Q.
Bei unserem Trip ins Silicon Valley statten wir auch der renommierten Stanford University einen Besuch ab – und freuen uns riesig, dort auf Professor Gregory LaBlanc zu treffen und ihn zur Zukunft der Arbeit ausquetschen zu können. Kaum einer hat so viele Einblicke in die Weltkonzerne der sogenannten Bay Area wie er.
Gregory macht deutlich, dass sich Weiterentwicklung in Unternehmen grundlegend ändern muss. So seien klassische Entwicklungswege in den meisten Fällen immer noch vertikal gestaltet – und damit nur für wenige Menschen überhaupt eine echte Möglichkeit. Gregory schlägt stattdessen die Gamifizierung des Corporate Development und Talentmanagements vor: „Wie wäre es, wenn wir Entwicklung im Unternehmen mehr wie ein Videospiel verstehen? Jede Person kann verschiedene Level freischalten und sich je nach individuellem Interesse in bestimmte Richtungen weiterentwickeln – mit allen dazugehörigen Herausforderungen.“
Menschen sollten sich also beruflich je nach Lebensphase, persönlichem Interesse und aktuellen Wirtschaftstrends immer wieder neu ausrichten können. Das bringe nicht nur Spaß, man führe die Menschen damit auch besonders gut an mehr Selbstverantwortung in der Weiterentwicklung heran, zeigt sich Gregory überzeugt. Für Unternehmen bedeutet eine solche „Verspieltheit“ natürlich, dass sie ihren Mitarbeitenden mehr Optionen bieten müssen. Aber sie profitieren auch. Schließlich steigt so die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeitenden auch dann im Unternehmen bleiben, wenn sie sich anders weiterentwickeln wollen, als es ehemals im Einstellungsverfahren besprochen worden war.
... ist eine moderne Walz, auf der das Unternehmerpaar Anna und Nils Schnell (Beratungsfirma MOWOMIND) innovative Unternehmen weltweit besucht hat. Auf ihrem „Abenteuer Arbeit“ bereisten sie mehr als 55 Länder und führten Gespräche mit über 260 Vordenkern und Vordenkerinnen, aus denen sie neun Modern-Work-Prinzipien ableiteten. Zu den ersten Etappen ihrer Reise ist bei managerSeminare der Artikel „Agile Weltreise – New Work global“ (managerseminare.de/MS265AR03) erschienen und im Gabal Verlag das Buch „Die Modern Work Tour – Eine Weltreise in die Zukunft unserer Arbeit“. Über ihre Erlebnisse informieren Anna und Nils Schnell auch auf ihrem Youtube-Kanal „The Schnells“.
Uns jedenfalls leuchtet der Win-win-Effekt der Idee ein. Dass sich im Leben Wünsche ändern und auch die Vorstellungen davon, was ein sinnvoller Job für einen ist, ist schließlich völlig normal. Da liegt es auf der Hand, flexible Wechselmöglichkeiten im Unternehmen umsetzbar zu machen; es könnte echtes Empowerment hervorrufen. Unternehmen wären schön blöd, wenn sie hierfür keinen Raum bieten und daher gute Mitarbeitende verlieren würden.
Ein besonderes Vergnügen ist es für uns auch, die weltberühmte d.school des Hasso Plattner Institute of Design at Stanford zu besuchen. Dort führen wir mit dem Head of Learning Collaboration Ariel Raz eine spannende Diskussion über Raumgestaltung für besseres Lernen und besseres Kollaborieren. Lehrerinnen und Lehrer, Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter aus aller Welt kommen an die d.school, um von den neuesten Erkenntnissen dieser Kreativschmiede zu lernen.
Ariel zeigt uns bei einer Führung durch die Räumlichkeiten der d.school die Prototypen für Lernräume der Zukunft. Es sind große helle Räume, die auf uns im ersten Moment recht leer und irgendwie auch uninspiriert wirken. Die Mitte des Raumes ist frei, Steh- und Sitztische, Arbeitsmaterialien und hilfreiche Technik sind geordnet an der Seite aufgereiht. Als Ariel uns aber die goldene Regel hinter dem Raumkonzept erklärt, geht uns ein Licht auf: „Vor jeder Lerneinheit wird der Raum so eingerichtet, wie es für den jeweiligen Lernstoff und die Lernenden Sinn macht. Nach jeder Lerneinheit wird der Raum wieder komplett aufgeräumt.“ Auf diese Weise würden nicht nur die Lehrenden den Raum gestalten. Vielmehr haben, so Ariel, immer auch die Lernenden Einfluss darauf, wie der Raum gestaltet wird, damit sie am besten lernen können. „Das hilft enorm, ein bewusstes Lernverständnis zu entwickeln.“ Wir als Lern- und Lehrprofis freuen uns riesig über diesen simplen, aber effektiven Ansatz.
Dass der kreative Geist im Silicon Valley nach wie vor nicht erloschen ist, spüren wir auch bei unserem Treffen mit Eunyun Park, einem Jury-Mitglied unseres internationalen Modern Work Awards. Eunyun, HR- und Organisationsentwicklungsexpertin sowie strategische Startup-Beraterin und Investorin, hat einen wunderbar pragmatischen Tipp für uns, wenn wir unsere Kreativität und unseren Innovationsgeist auf Trab bringen wollen. Eunyun behält nicht nur im Blick, welche bisher utopisch wirkenden technischen Trends sich gerade abzeichnen, sie liest auch regelmäßig Science-Fiction-Bücher. Ihr Beispiel zeigt uns: Trotz aller Schwierigkeiten hat man im Silicon Valley noch nicht den Mut und Pioniergeist verloren. Hier ist es noch immer möglich, in Experimente mit völlig offenem Ausgang zu investieren und auch an abseitig erscheinenden technischen Lösungen zu arbeiten. Wir jedenfalls reisen inspiriert ab – und freuen uns jetzt schon auf unser nächstes Science-Fiction-Buch.
Unser finaler Bericht von der Modern Work Tour wird dann nächstes Mal aus Südafrika kommen.