Für alle Fragen rund um unsere Webseite, unsere Medien und Abonnements finden Sie hier den passenden Ansprechpartner:
Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Markus Väth aus managerSeminare 324, März 2025
Kaufen Sie bei Edeka? Soweit ich das vor einiger Zeit mitbekommen habe, ist es nicht nur Ihr gutes Recht, sondern geradezu Ihre moralische Pflicht, als guter Demokrat oder gute Demokratin bei Edeka einzukaufen. Die Handelskette machte vor einigen Monaten von sich reden, als sie sich im Vorfeld der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen in großformatigen Anzeigen – etwa in der Wochenzeitung „Die Zeit“, in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und in sozialen Medien – gegen „rechts“ beziehungsweise gegen die AfD positionierte.
Die besagten Anzeigen zeigten jede Menge verschiedener beziehungsweise verschiedenfarbiger Gemüse- und Obstsorten, mit einer Ausnahme: blau, kombiniert mit der Überschrift „Warum bei Edeka Blau nicht zur Wahl steht“ – und einer Erklärung im Kleingedruckten. Blaue Lebensmittel, hieß es dort, seien „ein natürlicher Warnhinweis der Natur, der uns sagt: Achtung! Ich könnte unverträglich sein!“. Blau sei ein „Feind gesunder Vielfalt“. Für Rezipienten, die den Wink mit dem Zaunpfahl immer noch nicht verstanden (das Parteilogo der AfD ist blau), wurde es am Schluss noch konkreter: „Lasst uns also zu den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September die Warnhinweise richtig lesen – und für ein verträgliches Miteinander sorgen“, forderte der Text auf.
Es kam, wie es kommen musste: Manche Kommentatoren befürworteten die Aktion, die AfD bedankte sich für die Wahlkampfhilfe, einige Edeka-Kaufleute hielten dagegen. Tusch, Vorhang, Ende der Vorstellung.
Um den Anfang zu finden, muss man zeitlich ein Stück weit zurückgehen: Als vor einigen Jahren der American Business Roundtable, eine Art Kaffeekränzchen der 200 mächtigsten Unternehmenslenker Amerikas, die Epoche des „Stakeholder-Kapitalismus“ ausrief, wurde das allgemein als Fortschritt begrüßt. Auf einmal entdeckten US-CEOs angeblich ihr Herz für die Mitarbeiter, die Lieferanten, die Bürger und den Planeten ganz allgemein – eben eine ganze Menge „Stakeholder“, die in und um ein Unternehmen agieren. Und auch das neoliberale Weltwirtschaftsforum sprang auf den Zug auf und vertrat auf einmal linke, fast sozialistische Werte: faire Löhne, höhere Steuern, Umweltschutz, das Begrenzen von Schäden der industriellen Produktion sowie eine Neubewertung von Eigentum.
Man erinnere sich: Zuvor bekannte man sich noch zum „Shareholder-Kapitalismus“, also dem unbedingten Vorrang der Aktionäre vor allen anderen Stakeholdern. Darin enthalten war die implizite Forderung eben dieser Aktionäre an die Unternehmen: „The business of business is business.“ Oder um es mit dem Style-König der Freien Demokraten zu sagen: Business first, Haltung second.
Der Fall Edeka zeigt nun sehr schön, dass man sich vom aktuellen Stakeholder-Kapitalismus schon wieder entfernt und in die nächste Stufe eingetreten ist: Wirtschaft mit Haltung und Moral, besser bekannt als „Woke Capitalism“. „Woke“ ist ein bereits in den 1930er-Jahren geprägter Begriff und bedeutet so viel wie „aufgewacht, wach, aufmerksam“. Der Begriff Woke hat im Grunde ein ehrenwertes Anliegen: Menschen sollen sich bewusster mit Dingen wie Rassismus, Geschlechterfragen oder der Unterdrückung von Minderheiten auseinandersetzen. Nur im Übertrag dieser Forderungen an Unternehmen knirscht es, und das aus gutem Grund.
Der Soziologe Max Weber prägte einst den Begriff der „Gesellschaftssphären“. Es gebe, so Weber, die Sphäre des Politischen, der Wirtschaft, der Kunst, der Religion und so weiter. Dabei strebe jede Sphäre einem Kernwert zu, der sie definiert: In der Politik strebt man nach Macht, in der Wirtschaft nach Geld, in der Kunst nach Ästhetik und in der Religion nach Transzendenz. Das sei gut und richtig so; jede Sphäre habe ihre Berechtigung und alle Sphären sollten sich ausgleichen – keine dürfe zu mächtig werden. Eine Dominanz der Religion endet im Gottesstaat, eine Dominanz der Wirtschaft in ungezügeltem Kapitalismus und so weiter.
Was wir mit dem Einzug des „Woke Capitalism“ erleben, ist nun aber eine solche Sphären-Dominanz. Und zwar die der Religion. Das mag überraschen, doch letztlich dient die erdrückende Betonung von Haltung, Moral, Purpose, Diversität, Gender und so weiter den Menschen (und damit den durch sie geprägten Organisationen) im Grunde als Ersatz für überkommene, als nicht mehr zeitgemäß wahrgenommene religiöse Institutionen. Man feiert seine Messe nicht mehr in Kirchen und Kathedralen. Man feiert sie vor dem Kühlregal einer Handelskette mit der „richtigen“ Haltung. Oder man feiert sie durch die Setzung des Gendersternchens. Dadurch erkauft man sich – buchstäblich – ein gutes Gewissen und muss nicht einmal auf harten Holzbänkchen knien.
Wie überall gilt: Die Dosis macht das Gift. Und der „Woke“-Gedanke, so richtig er in seinen Anfängen war, vergiftet inzwischen die Wirtschaftssphäre mit seinem moralischen Absolutheitsanspruch. Sollte ein Unternehmen auf Nachhaltigkeit achten? Ja, das sollte es. Sollte ein Unternehmen seine Mitarbeiter fair bezahlen? Ja, das sollte es. Der Spaß hört dann auf, wenn man als Unternehmen in seinem moralischen Furor glaubt, sich über andere erheben zu können. Der Fall Edeka zeigt deshalb die ganze Arroganz einer auf Moral gepolten Wirtschaft.
Wirtschaft und Unternehmen existieren nicht, um Menschen sittlich oder politisch zu erziehen. Unternehmen sind dafür da, qualitativ gute Produkte zu einem vernünftigen Preis unter annehmbaren Bedingungen für Mensch und Planet herzustellen. Warum das so wichtig ist? Haltung signalisiert nicht nur eine moralische Richtung, sie kann auch – wie im Falle der „Woke“-Bewegung – eine Gesellschaft spalten. Damit geht sie zu weit, und Unternehmen sollten sich gut überlegen, ob sie alles auf diese moralische Karte setzen sollten. Wir erinnern uns an Max Weber: In der Wirtschaft geht es um Geld – und das ist gut so. Unternehmen täte es gut, einen Schritt zurückzutreten und ihren Haltungsfetisch neu zu prüfen. Sonst müssen wir ihnen wirklich wieder zurufen: „Yes, the business of business is business!“
Markus Väth …
Sie möchten regelmäßig Beiträge des Magazins lesen?
Für bereits 10 EUR können Sie die Mitgliedschaft von managerSeminare einen Monat lang ausführlich testen und von vielen weiteren Vorteilen profitieren.