Marcus Minzlaff in Speakers Corner
Marcus Minzlaff in Speakers Corner

„Haltung entscheidet nicht“

​Haltung ist etwas Unverzichtbares, Grundsätzliches. Um in bestimmten Kontexten zurechtzukommen, brauchen wir eine entsprechende Haltung, keine Frage. Aber reicht diese Haltung dann auch aus? Leider nein, sagt Management Consultant Marcus Minzlaff. Haltung allein hilft wenig, wenn nicht noch etwas Entscheidendes hinzukommt.​

„Haltung entscheidet nicht.“ Dass diese Worte einmal über meine Tastatur kommen würden, hätte ich auch nicht gedacht. Denn oft verfechte ich vehement, wie wichtig Haltung ist. Daher will ich die Überschrift auch gar nicht als einfache Gegenrede verstanden wissen zu all den klugen Aussagen und Beiträgen zum Thema Haltung. Aber: Die Aussage „Haltung entscheidet“ ist zu kurz gedacht, wir übersehen dabei etwas Wichtiges.

Dazu ein Einblick in meinen Beratungsalltag. Kürzlich klagte eine Kundin: „Unser Top-Management spricht immer von Augenhöhe, Eigenverantwortung, agilem Mindset. Was wir gerade erleben, ist aber das komplette Gegenteil. Die Daumenschrauben werden angezogen, das Management gibt Kommandos. Bei schönem Wetter ist „agile Haltung“ super, aber sobald die Lage schwieriger wird, agieren sie doch wieder anders. Total unglaubwürdig!“ Unglaubwürdig? Ich fragte mich: Was wäre, wenn die Aussagen des Managements zur eigenen Haltung nicht nur vorgeschoben sind? Wenn sie nicht angelesen und zur Schau getragen sind, nur weil es gerade en vogue ist? Wenn sie also tatsächlich stimmten? Was wäre, wenn in dem, was die Kundin erzählt, ein wichtiger Hinweis steckt? Nämlich auf etwas, was es braucht, um das Potenzial, das unserer Haltung zugrunde liegt, auch realisieren zu können?

Haltung ist etwas Grundsätzliches. Etwas, aus dem heraus wir Menschen agieren und zu dem wir immer wieder zurückkehren. Unser Körper hat eine Haltung. Sie bestimmt, wie wir stehen und sitzen, und welche Bewegungsmuster wir haben, zum Beispiel wenn wir laufen. Mental ist das ähnlich: Unsere Werte, Überzeugungen und unsere Sicht auf die Welt sind grundlegend für unser Verhalten. Haltung ist somit so etwas wie unser Default Setting. Unsere Haltung steckt den Rahmen dessen ab, was wir tun. Bei alldem ist Haltung nicht unveränderlich. Sie entwickelt sich weiter. Und das tut sie im Einklang mit der Entwicklung unserer Sicht auf die Welt. Dabei ersetzen wir nicht einfach unsere bisherigen Haltungen und Verhaltensweisen durch neue, sondern wir gewinnen zusätzliche Perspektiven und Handlungsoptionen. Das heißt: Wir erweitern unser Repertoire. So werden wir immer besser darin, in Komplexität zu agieren. Bisherige Haltungen bleiben allerdings in uns abgespeichert, auch wenn wir sie zwischenzeitlich als überholt ablehnen mögen.

Eine super Sache also. Nur taugt eine reife Haltung allein bis zur nächsten Krise – und dann wird es spannend. Sobald wir richtig unter Stress geraten, müssen wir uns bewähren: Wie gut gelingt es uns dann, das volle Potenzial unserer Haltung auszuschöpfen? Wie gut schaffen wir das, wenn es drunter und drüber geht und wenn einfache Antworten nicht taugen? Welchen Anteil haben dann beispielsweise regressive Verhaltensmuster, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, die den komplexen Herausforderungen aber nicht mehr gerecht werden?

Zur Veranschaulichung ein Schwenk in meinen persönlichen Alltag: Als Vater habe ich eine klare Idee, wie ich als Elternteil sein und wie ich meine Kinder mit Güte beim Aufwachsen zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten begleiten möchte. So weit die Haltung im Sinne meines „Potenzials“. Und dann die Realität, erst letzte Woche wieder: Ich bitte meine Tochter, mir beim Aufräumen in der Küche zu helfen. Zehn Minuten übellauniges Gemecker später, wie ungerecht es sei, dass ausgerechnet sie (und nicht ihre Schwestern) helfen müsse, werfe ich sie entnervt aus der Küche. Nicht ohne lautstarke Ankündigung von Sanktionen, dass ich sie nicht vom nächsten Handballtraining abholen würde. Ich verfalle also in regressive, autoritäre Muster und agiere mit Strafen, Drohungen etc. Menschlich nachvollziehbar, pädagogisch ausbaufähig. Meine Haltung zu Erziehung? Ist definitiv eine andere. In vielen anderen Momenten kann ich auch sehr gut das, was meine Haltung ausmacht, in die Erziehung einbringen, aber unter akutem Stress gelingt das nicht immer.

Führungskräfte in Organisationen sind mittlerweile nonstop unter Stress. Das bringt neue Herausforderungen mit sich: Wie gelingt es, die Organisation strategisch auszurichten, wenn wesentliche ökologische und soziale Grundlagen wie im Zeitraffer wegbrechen? Wenn hoher Handlungsdruck und ein oft noch unklares Zielbild da sind? Hier gilt natürlich zunächst einmal: Die reifste Haltung hilft nichts, wenn diese nicht zu den Umständen passt. Wenn wir also keine Sicht auf die Welt und kein Wertegerüst haben, das den heutigen Herausforderungen in der Welt gerecht wird. Ist dies nicht vorhanden, dann gibt’s da auch nichts zum Zugreifen. Aber: Wir mögen ein noch so zeitgemäßes, den aktuellen Bedingungen entsprechendes Wertegerüst haben, es kann trotzdem sein, dass dies in unserem Verhalten keine Rolle spielt. Weil wir nicht darauf zugreifen können.

Wer seine Werte tatsächlich leben will, der oder die kann das nur tun, wenn die innere Verfassung dazu passt. Oder, anders ausgedrückt: Wir agieren immer nur so gut, wie es unsere innere Verfassung zulässt, nach der Gründerin des Generative Facilitation Institute Christine Wank: „You're only as good as your inner state.“ Die innere Verfassung zu trainieren, ist somit ein genauso entscheidender Schlüssel wie die Haltung selbst. Ausgehend von diesem Gedanken sollten wir uns immer wieder fragen, was gerade in uns vorherrscht: Neugierde oder Verschließen? Mir andere Perspektiven zumuten oder aus dem Dialog rausgehen, wenn es „unerträglich“ wird? Mitgefühl oder Ausgrenzung? Mit dem Herzen verstehen wollen oder schnelle Bewertungen fällen? „Die sind halt noch nicht so weit, die haben das agile Mindset noch nicht“, höre ich oft, wenn es darum geht, warum manche Teams sich gegen andere Arbeitsweisen sträuben. Offen gesagt: Ich frage mich dann meist, wie „agil“ die Haltung ist, die derlei Aussagen hervorbringt. Mut oder Angst? Neues riskieren oder Analysen starten, aus denen abgeleitet werden kann, was das Richtige zu tun ist? Andere mitnehmen wollen, damit man nicht allein dasteht? Alles davon ist legitim. Aber die erstgenannten Fähigkeiten braucht es heute viel mehr als bisher. Sind sie nicht vorhanden, können wir das Potenzial unserer Haltung unter den heutigen Bedingungen eines volatilen, komplexen und ungewissen Umfeldes nicht nutzen.

Es geht daher darum, diese „inneren Muskeln“ zu trainieren. Vor allem Mut, Mitgefühl und Neugierde sind Fähigkeiten, die uns aus reaktiven Mustern – Flucht, Kampf, Starre – heraushalten. Die uns friedlich und mit innerer Ruhe den – manchmal haarsträubenden – Realitäten ins Auge blicken lassen. Herrscht an ihnen Mangel, dann kann dies Führungskräfte in regressive Verhaltensweisen zurückfallen lassen, obwohl sie es eigentlich besser wissen, wollen und könnten. Gut möglich, dass genau dies auch im Fall des Unternehmens jener Kundin geschehen ist, die über die scheinbare Unaufrichtigkeit der Haltung der Führungskräfte in ihrer Organisation klagte.

Was letztlich den entscheidenden Unterschied macht, ist unser Verhalten. Das aber ergibt sich erst aus der Haltung plus unserem inneren Zustand. Erst wenn wir an unserem inneren Zustand arbeiten, können wir mit unserer Haltung auch in schwierigen Zeiten wirksam sein.

<strong>Marcus Minzlaff …</strong>

Marcus Minzlaff …

… ist Management Consultant beim Beratungsunternehmen HR Pioneers. Sein Schwerpunkt: mit Führungskräften und Teams in Transformationsprozessen einen eigenen Entwicklungspfad zu gestalten, der einem zunehmend komplexeren und volatileren Umfeld gerecht wird. Die hier vorgestellte These, dass Haltung nicht allein hilft, hat er gemeinsam mit seiner Kollegin Esther Römer – ebenfalls HR Pioneers – entwickelt. Kontakt: hr-pioneers.com/hrp_team/marcus-minzlaff/ 

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