Für alle Fragen rund um unsere Webseite, unsere Medien und Abonnements finden Sie hier den passenden Ansprechpartner:
Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Klaus Eidenschink aus managerSeminare 321, Dezember 2024
Prägnanz gewinnen: Warum es ein kategorisches Nein braucht, um notwendige Konflikte zu befördern
Klarheit vs. Korrekturbedarf: Wie die Konfliktkommunikation am Verneinungs-Pol wirkt
Wählen statt Widerspruch: Was den Sog des Neins ausmacht und wie man ihm entkommt
Enttäuschbarkeit lernen: Warum es ein Risiko ist, einseitig auf Verneinung zu verzichten
Regulationskompetenz prüfen: Welche Reflexionsfragen zeigen, wie es um die Konfliktfähigkeit steht
Mitarbeitergespräch. Es ist der dritte Anlauf eines Projektleiters, eine Gehaltserhöhung auszuhandeln. Er hat, da sind sich alle einig, in den vergangenen zwei Jahren Überragendes geleistet, wurde aber bislang immer von seiner Chefin vertröstet. Auch diesmal hält sie ihn mit geschicktem „Ja, aber …“ hin – egal, welche Argumente er bringt. Je mehr er versucht, auf die Chefin einzugehen, desto mehr reagiert sie mit unverbindlichem Entgegenkommen „Vielleicht könnten wir ja ins Auge fassen …“. Am Ende weiß er selbst nicht mehr, ob seine Vorstellungen nicht doch überzogen sind.
Dazu, dass der Konflikt zwischen beiden zu keinem Ergebnis führt, trägt nicht nur die Chefin bei, die absichtlich vage bleibt, sondern auch der Projektleiter, der das mit sich machen lässt. Viele Menschen haben die ungünstige Hoffnung, dass es möglich sei, Konflikte ohne Streit auszutragen. Unter erwachsenen Menschen sollte sich doch mit Vernunft, Argumenten und Einsicht alles lösen lassen – oder? „Sachlich bleiben“, lautet der Appell, der dem erhitzten Gemüt entgegengehalten wird. Das funktioniert oft aber nur in dem Sinne, dass schwelende Konflikte zwar nicht eskalieren, aber auch nicht richtig ausgetragen werden. Sie tauchen gewissermaßen in den Untergrund ab, wo sie umso länger erhalten bleiben. Ihre klärende Funktion können sie damit nicht erfüllen.
Um zu verstehen, wie das gemeint ist, sei kurz an das Konfliktverständnis erinnert, das ich in dieser Serie darlege. Demnach sind Konflikte kein vermeidbarer Fehler in der menschlichen Interaktion, sondern allgegenwärtig, wo immer unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen. Oft sind sie sogar notwendig, um differierende Standpunkte deutlich zu machen, oder um eine alte Ordnung aufzulösen und durch eine neue zu ersetzen. Wie sich Konflikte entwickeln, ob sie sich aufheizen oder beruhigen, entscheidet sich entlang von insgesamt neun Polaritäten (mehr dazu s. Kasten). Eine davon – die zwischen „verneinend“ und „wählend“ – soll im Folgenden vorgestellt werden. Wie bei den anderen Polaritäten dieser Serie, markiert der eine Pol eine Fixierung, während der andere Möglichkeiten offen hält.
Sollen Konflikte ihre Arbeit machen können, müssen sie prägnant werden. Das heißt in Bezug auf die genannte Polarität, dass mindestens eine Partei explizit machen muss, dass sie verneint. So eine Fixierung ist riskant, denn sie lässt Konflikte tendenziell eskalieren, weswegen viele sie lieber vermeiden. Im Eingangsbeispiel passiert genau das: Der Konflikt kann nicht beruhigt werden, weil der Mitarbeiter zwar sagt, was er will – eine Gehaltserhöhung –, aber nicht, was er nicht will: hingehalten werden. Es wäre anders gelaufen, wenn er, statt auf die Chefin einzugehen oder ihre Hinhaltemanöver hinzunehmen, klar gesagt hätte: „Kein Vielleicht mehr! Ich werde ab jetzt zu allem Nein sagen, was nicht aus einer deutlichen Gehaltserhöhung besteht. Mich abzuspeisen wird nicht mehr funktionieren.“
Den Beiträgen dieser Serie liegt ein systemtheoretisches Verständnis zugrunde, das Klaus Eidenschink u.a. in seinem Buch „Die Kunst des Konflikts“ ausführt. Demnach sind Konflikte …
Ob sich Konflikte ausweiten oder abschwächen und welche Form sie dabei konkret annehmen, lässt sich nach Eidenschink anhand von insgesamt neun Polaritäten zeigen, die im Laufe dieser Serie thematisiert werden (s. Grafik). Im aktuellen Teil geht es um den sogenannten Reaktionsmodus auf der Sozialdimension, genauer: um den Gegensatz von verneinender und wählender Haltung. Im Fokus steht die Frage, ob wir uns in der Konfliktkommunikation auf einen Widerspruch fixieren oder ob wir offen für ein „Ja“ oder „Nein“ bleiben.
So ein konfrontativer Widerspruch ist nicht immer einfach, vor allem wenn ein Ungleichgewicht in der Fähigkeit der Streitparteien besteht, rhetorisch und argumentativ geschickt zu formulieren, wenn es Abhängigkeiten gibt, wenn Widersprechen moralisch verpönt ist oder wenn Erpressungs- und Drohpotenziale in der Luft liegen. Ein Nein, welches auch unter Druck ein Nein bleibt, ist aber unerlässlich, wenn sich etwas daran ändern soll, dass die Gegenpartei – wie die Chefin aus dem Beispiel – die ruhig vorgetragenen Argumente nicht hören will oder kann, oder wenn kommunikative Hinweise mutwillig übersehen oder bagatellisiert werden.
Dabei ist es in der Konfliktdynamik niemals so, dass ein Pol immer richtig und der andere immer falsch ist. Auch in Bezug auf ein fixierendes „Nein“ bzw. ein offenhaltendes „Vielleicht“ gilt, dass beides günstig oder ungünstig sein kann. Es gilt, den Konflikt danach zu untersuchen, was er braucht. Um hier kompetent zu entscheiden, ist es hilfreich, die funktionalen und dysfunktionalen Aspekte an allen Polen in den Blick nehmen.
Das große Plus am Pol „Verneinung“ ist die Klarheit, die damit in die Konfliktkommunikation einzieht. Die Konfliktlinie zeigt sich, und es wird deutlich, wo und wie sich die Parteien gegenüberstehen. Damit entsteht keine Gleichheit der Kräfte, aber so etwas wie Augenhöhe. Dass Konfliktparteien trotzdem häufig ein klares Nein vermeiden, selbst wenn es nötig wäre, hat mit Gefühlen wie Ohnmacht, Angst, Minderwertigkeit, Verlust, Demütigung, Scham oder Schuld zu tun. Oft rechnet man sich auf konstruktivem Weg auch mehr Chancen aus oder hält das für den moralischeren oder gesellschaftlich akzeptierteren Weg. Aber wenn – wie im Eingangsbeispiel – die Konzilianz, Geduld und Abwägung einer Partei durch die andere ausgenutzt wird, ist ein fixiertes Beharren auf dem Nein durchaus funktional.
Entscheidend ist, dass auch die Gefahren dieser Widerspruchskommunikation für die Selbstregulation der Beteiligten im Blick bleiben. Das ist deshalb so wichtig, weil die Verneinung eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Selbststabilisierung der Konfliktparteien hat. Das Gegen-etwas-Sein kann je nach Situation regelrecht identitätsstiftend wirken. Bei Kindern lässt sich dieses Reinsteigern ins Nein in Reinform beobachten, aus dem sie oft auch dann nicht wieder herausfinden, wenn es für den weiteren Konfliktverlauf ungünstig ist. Damit wird auch erklärbar, wieso die Konfliktdynamik im Reaktionsmodus einen Sog in Richtung Eskalation entwickelt: Jedes Nein fördert das nächste, weil sich keiner mehr in dem wiederfindet, was die Gegenseite sagt, und so ständig Bedarf entsteht, die vermeintlichen Unterstellungen der anderen („Das habe ich doch gar nicht gesagt!“) richtigzustellen.
Dieser Korrekturbedarf ist für das Verstehen von Konflikten essenziell: Viele Menschen halten es nicht aus, etwas stehen zu lassen, was aus ihrer Sicht falsch bzw. falsch verstanden worden ist. Damit „eignen“ sie sich bestens für das soziale System Konflikt. Für Organisationen und deren Kommunikationskultur kommt daher der Frage, wie und durch welche sozialen Regeln sie die Widerspruchskommunikation gestalten, eine enorme Bedeutung zu: Ist Widerspruch eher verpönt? Wird er sanktioniert und führt er offen oder verdeckt zu Ausgrenzungen oder Benachteiligungen? Dann hat das zur Folge, dass Konflikte entweder nicht geführt werden, obwohl sie wichtig wären; oder sie werden besonders scharf und eskalierend geführt und verselbstständigen sich dabei in dysfunktionaler Weise.
Das ist der eigentliche Grund, warum Führungskräfte für Widerspruch und Kritik offen sein sollten: Denn nur dann können sie dazu beitragen, dass Konflikte funktional bleiben und hilfreich sein können. Wenn beispielsweise in einer Organisation als informelle Regel gilt, dass Kritik grundsätzlich auch hierarchieübergreifend erlaubt und gewünscht ist, müssen die Führungskräfte sie nicht persönlich nehmen, quasi als Majestätsbeleidigung. Die Normalisierung von Widerspruch schafft für soziale Systeme also einen gewissen Schutz davor, dass sich Konflikte auf der psychischen Ebene verfestigen. Anders gesagt: Sie können kommunikative Phänomene bleiben, bei denen man sich auch im Fall einer ernsten Auseinandersetzung wechselseitig an die Regel erinnern kann, dass der Konflikt ja eigentlich willkommen ist. Dies erleichtert im weiteren Konfliktverlauf dann auch sehr die Entscheidung zwischen einer wählenden und einer verneinenden Konfliktkommunikation.
Sich vom Widerspruch zu lösen, fällt den meisten Konfliktparteien also eher schwer. Dennoch haben alle Beteiligten grundsätzlich die Macht, jederzeit (wieder) zu „wählen“: das heißt, sich zu entscheiden, das Gegenüber so zu verstehen, dass man zumindest Teile davon bejahen kann. Denn genau darin sind alle Konfliktbeteiligten frei: Sie müssen nicht widersprechen, sie können sich zwischen „Ja“, „Vielleicht“, „Unentschieden“ und vielen weiteren Möglichkeiten entscheiden.
Was aber muss geschehen, damit der Konflikt überhaupt wieder die Option „wählend“ bekommt? Es geht an diesem zweiten Pol nicht darum, „Ja“ statt „Nein“ zu sagen, denn das wäre bloß die Umkehr desselben Reaktionsmusters. Es geht um die Befreiung vom Sog zum Nein. Darin steckt der Hinweis, was Menschen zu ausgewogeneren Antworten motiviert: Die meisten finden nämlich das Gefühl, einem Konflikt zu dienen, alles andere als angenehm. Sie kennen den Reflex, aus dem heraus man konfrontativ antwortet – und es dann bereut. Die meisten kennen auch den inneren Druck, gleich antworten zu müssen. Damit bleibt jedoch die Energie daran gebunden, dem anderen zu beweisen, dass man nicht gesagt hat, was dieser verstanden hat.
Um eine Antwort zu finden, was Menschen ihren Widerspruch aufgeben lässt, müssen wir sowohl die psychische wie die soziale Ebene betrachten. Ein entscheidender erster Schritt besteht darin, das eigene Erleben nicht mit der Realität zu verwechseln. Denn nur in diesem eigenen Erleben werden Menschen so, dass man glaubt, ihnen widersprechen zu müssen – obwohl sie in Wirklichkeit vielleicht ganz anders sind. Einen Ausstieg aus dem Korrekturdruck findet man, indem man bewusst damit rechnet, dass der andere anders ist, als man ihn sieht.
Dies auch und gerade in Kommunikationskontexten tun zu können, in denen der innere Druck zum Widerspruch besonders hoch ist, darf man darüber hinaus durchaus als Form von Emanzipation oder Selbstermächtigung sehen. Wer widersprechen muss, ist unfrei. Wer das Gegenüber darauf festlegt, wie man es wahrnimmt, wird zum Sklaven der eigenen Annahmen, die häufig der eigenen Stabilisierung dienen und der Abwehr unangenehmer Empfindungen wie Scham, Schuld, Trauer und Entwertung. Auch darum eskalieren Konflikte: weil Menschen oft lieber den Kampf im Außen wählen als schlechte Gefühle im Inneren.
Für die Bearbeitung von Konflikten ist es daher oft besonders wichtig, die Aufmerksamkeit der Streitenden auf den inneren Konflikt zu lenken, der den Widerspruch im Außen nötig macht. Seelische Selbststeuerung im Reaktionsmodus ist jedoch alles andere als einfach. Gerade wenn für die Betroffenen etwas auf dem Spiel steht, scheitert sie oft, weil der Sog des Neins nicht mehr reguliert werden kann. Aus diesem Grund ist es in Organisationen bedeutsam, Rahmenbedingungen zu setzen, die ein Sich-Verbeißen im Nein-Sagen erschweren. Eine wichtige Rolle spielen dabei zeitliche Begrenzungen: „Bis 12 Uhr haben wir Zeit zu diskutieren, dann wird entschieden.“ Auch Meetingregeln wie „I disagree and commit“ begrenzen das Nein-Sagen, indem sie ein Ja im Verhalten herbeiführen.
Ebenso wichtig ist es, auch dem „Nein“ in Organisationen Orte zu geben, in denen es eingehegt wird: in Lessons-learned Meetings, Mitarbeitergesprächen oder Konfliktmoderationen. Lassen Organisationen hingegen dem Genörgel freien Lauf, ufern Konfliktsysteme dysfunktional aus. Querulantentum in sozialen Kontexten wirkt destruktiv. Und „Nein“ ist wie ein Virus: Er steckt an. Daher gilt es zu unterscheiden, wo Kritik erlaubt ist und wo sie zum Selbstzweck wird und nur den psychischen Bedürfnissen der Betroffenen dient, aber nicht den Sachfragen.
Dazu lohnt es sich, hinzuschauen, welche persönlichen Fähigkeiten für die beiden Pole „Verneinend“ und „Wählend“ notwendig sind. Fangen wir beim vermeintlich Einfacheren an: dem Nein-Sagen. Vermeintlich deshalb, weil Menschen sich damit schwerer tun, als man meinen möchte. Das liegt im Wesentlichen an vier Faktoren.
So glauben viele, dass andere bei einem Nein ihre Wertschätzung aufgeben, gekränkt sind oder wütend werden. Sie haben also Angst, dass Beziehungen leiden, und entscheiden sich lieber dazu, nötige Sachkonflikte zu umgehen. Andere verbinden Widerspruch damit, dass man anderen schadet: „Das kannst du denen doch nicht zumuten. Die halten das nicht aus!“ Nein wird hier also mit Schuld verbunden. Wer sich jedoch erzählt, dass er anderen mit seinen eigenen Grenzen wehtut, wird diese tendenziell ignorieren und tun, was die anderen wollen. So kollabiert der Konflikt, statt seine Funktion zu erfüllen.
Der dritte Faktor ist, wenn Nein mit Scham gekoppelt wird: „Wenn du Nein sagst, nimmt dich eh keiner ernst.“ Scham ist ausgesprochen wirksam, weil sie sozial isoliert und die ganze Person erfasst. Wer also früh für seine Autonomiebestrebungen beschämt wurde, wird wichtige Konflikte erst gar nicht wahrnehmen. Die vierte Variante, warum Widerspruch schwerfällt, ist dann gegeben, wenn Nein mit Ohnmacht verknüpft wird: „Das führt zu nichts, die anderen setzen sich sowieso durch.“ Aus so einer Ohnmachtsperspektive ist es sinnlos, in Nein zu investieren, weil man es nicht mit Kraft und Aggression aufladen kann bzw. glaubt, dass man es nicht kann. Ohnmächtige Neins sind eine Einladung an den anderen, sich durchzusetzen.
Oft schwingt noch ein weiterer Grund mit, warum manche nicht Nein sagen können: weil sie erwarten, der drohenden Konfliktverschärfung nicht gewachsen zu sein. Wer hier Regulationskompetenz aufbauen möchte, muss sich mit seiner inneren Kraft anfreunden und lernen, dass Aggression eine Form des Kontakts unter Menschen ist. „Ich sage Nein, weil ich dich liebe“ ist der Merksatz dazu, um auf diesem Weg voranzukommen und sich von den verknüpften Ängsten nicht abhalten zu lassen.
Carl-Auer 2023, 29,95 Euro.
Mit systemtheoretischem Blick entwickelt Klaus Eidenschink ein Modell zum Verständnis von Konflikten und ihren systemimmanenten Dynamiken. Beschrieben wird, wie sich Konflikte selber erhalten, zwischen welchen Polen und in welchen Dimensionen sie sich bewegen – und welche Kompetenzen wir brauchen, um von Fall zu Fall entscheiden zu können: Sollte ich den Konflikt sogar schüren, anzetteln und auskämpfen? Oder sollte ich ihn doch lieber beruhigen? Und wie gehe ich bei beiden Optionen variantenreich und emotional intelligent vor?
Unter diesem Link finden sich alle bisher erschienenen Teile der Konfliktserie. Im ersten Teil geht es um sieben Prinzipien, die Konflikte prägen. In den folgenden Teilen geht es um die insgesamt neun Polaritäten, entlang derer sich Konflikte entweder aufheizen oder entspannen.
Man sieht, dass mangelnde Regulationsfähigkeit am Pol „Verneinend“ immer mit unangenehmen Gefühlen einhergeht. Die Bereitschaft, sich mit eben diesen Gefühlen zu beschäftigen, ist daher der ausschlaggebende Faktor, um Konfliktkompetenz aufzubauen. Dafür brauchen die meisten Menschen Hilfe durch Coaching oder Therapie. Will man es mit Selbstreflexion versuchen, sind folgende Fragen nützlich:
Hat man einmal mit Widerspruch angefangen, ist es viel naheliegender, damit weiterzumachen, als abzuwägen, ob man widerspricht, zustimmt oder etwas dazwischen wählt. Widerspruchskommunikation vereinfacht das Leben. Darum ist Konflikt so häufig. Um diesem Sog zu widerstehen, Nein an Nein zu reihen, ist die wichtigste Kompetenz Enttäuschbarkeit. Das klingt merkwürdig, wird aber klar, wenn man überlegt, was passiert, wenn man in einem Konflikt sagt „Vielleicht ist ja an dem, was du sagst, was dran“ oder „Ich verstehe, um was es dir im Grunde geht“. Wer das tut, geht das Risiko ein, dass die Gegenseite das ausnutzt „Ah, endlich gibst du es zu“. Mit einer ähnlich einlenkenden Antwort – „Ja, aber an dem, was du so sagst, ist ebenfalls viel Wahres dran“ – kann man jedenfalls nicht rechnen.
Das Risiko, das im einseitigen Verzicht auf Verneinen liegt, braucht auf der psychischen Seite die Fähigkeit, sich nicht als Verlierer zu sehen („Jetzt bin ich der Dumme!“), wenn die andere Konfliktpartei weiter am Verneinungspol bleibt. Die Zuversicht, dass sie ebenfalls den Modus wechselt, ist nur aufrechtzuerhalten, wenn man sich durch Enttäuschungen nicht beeindrucken lässt. Wer aus einer Antwort ableitet, dass es doch keinen Sinn hat, auf das eigene Nein zu verzichten, landet schnell wieder in der Symmetrie des Widerspruchs.
Sachlich bleiben, Argumente liefern, auf das Gegenüber eingehen – damit sollte es doch möglich sein, einen Konflikt ohne Streit auszutragen. Eine vergebliche Hoffnung, sagt Klaus Eidenschink. Demnach braucht es manchmal ein klares Nein. Wenn der Konflikt deswegen eskaliert, kann er wenigstens seine Funktion erfüllen.
Ein Kernelement aller Konfliktkompetenzschulungen besteht demnach darin, es als normal zu erkennen, dass unterschiedliche Rollen und Funktionen in Organisationen einander enttäuschen müssen. Jobwechsel innerhalb der Organisation sind dafür hilfreich, weil sie erfahrbar machen, wie sehr unterschiedliche Meinungen und Interessen den Alltag als Organisationsmitglied dominieren. Man kann sich dabei aussuchen, welche Enttäuschung man bereitet und erträgt, aber nicht, ob es welche geben wird. Es gilt, die eigene Empathie für Interessen anderer auch dann aufrechtzuerhalten, wenn Nachteile drohen.
All diese Gedanken lassen sich auch von der anderen Seite aus betrachten. Wie reagiert man selbst, wenn die Kollegin plötzlich „Friedensangebote“ macht? Glaubt man ihr oder neigt man dazu, es als Trick zu interpretieren? Lässt man sie schmoren, um zu testen, ob sie es ernst meint? Was tut man, wenn sie sich gleich wieder zurückzieht und in den etablierten Streit zurückfällt? An solchen Überlegungen lässt sich ablesen, wie stark man selbst dazu neigt, andere an die Wand fahren zu lassen, wenn diese versuchen, die Tür zu finden. Um das eigene Verhalten am Pol „Wählend“ zu reflektieren, lassen sich folgende Fragen nutzen:
Zusammenfassend kann man sagen, dass kompetente Konfliktregulation die Fähigkeit braucht, sowohl bestimmt und konsequent „Nein“ sagen als auch bestimmen zu können, ob und wann man zwischen „Ja“ und „Nein“ wählt. Darüber hinaus sind Enttäuschbarkeit und Bereitschaft, auch dann die Situation aus dem Blickwinkel der Gegenpartei zu sehen, wenn man dazu überhaupt keine Lust verspürt, die Kompetenzen, die man sich anschaffen sollte, wenn man in Konflikten frei bleiben will.
In managerSeminare-Ausgabe 323 geht es um den Leitprozess „Aktionsmodus“ und damit um die Frage, wie sich das Miteinander von Senden und Erkunden im Konfliktgeschehen ausformt.
Sie möchten regelmäßig Beiträge des Magazins lesen?
Für bereits 10 EUR können Sie die Mitgliedschaft von managerSeminare einen Monat lang ausführlich testen und von vielen weiteren Vorteilen profitieren.