Führung

Liebe Konflikte
Liebe Konflikte

Der Tiger und seine Beute

Konflikte sind wie Tiger. Sie ergreifen ihre Beute am Nacken und schleifen sie durch die Gegend. Um sinnvoll mit ihnen umzugehen, tun wir gut daran, ihre Eigenarten zu verstehen und uns darauf einzustellen. Im zweiten Teil der Serie „Liebe Konflikte“ beschreibt Klaus Eidenschink die erste von neun Polaritäten, von denen Konfliktdynamiken geprägt sind. Darin geht es um die Frage: Worauf richtet der Konflikt seine Aufmerksamkeit?

Preview

Aus klein wird groß: Warum sich Konflikte so leicht ausweiten

Spezifisch vs. generalisiert: Wie sich Konflikte entlang von gegensätzlichen Polaritäten entwickeln

Problemlösung und Lösungsprobleme: Wie die Eigendynamik von Konflikten neue Widersprüche generiert

Deeskalation oder Konfliktvermeidung? Warum die Generalisierung von Konflikten manchmal notwendig ist

Selbstregulierung an zwei Polen: Welche Kompetenzen Streitende für funktionale Konflikte brauchen


Cover managerSeminare 313 vom 22.03.2024Hier geht es zur gesamten Ausgabe managerSeminare 313

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Meeting. Sie haben sich gründlich vorbereitet, um eine Produktvariante vorzuschlagen, mit der Sie den Kundennutzen erhöhen und die Wettbewerbsfähigkeit ausbauen wollen – und das ohne relevante Mehrkosten. Sie tragen Ihre Argumente ruhig vor, unterlegen sie mit validen Daten und fühlen sich überzeugt und überzeugend. Kaum sind Sie mit der Präsentation fertig, schnauft der Kollege aus dem Vertrieb: „Das ist mal wieder typisch. Ihr von der Entwicklung tut so, als ob das eine Verbesserung wäre, und unterschlagt dabei, dass dieses Feature unsere Gewährleistungsfälle, unsere Qualitätsposition und auch unsere Marge massiv beeinträchtigen wird. Was Ihr Erhöhung des Kundennutzens nennt, ist in Wahrheit die schleichende Abkehr von unserer Produkt- und Markenstrategie!“

Was ist in diesem fiktiven, aber keineswegs unrealistischen Fall geschehen? Offenbar haben Sie mit Ihrem Vortrag die berühmte Mücke ins Meeting getragen, die unversehens zum Elefanten mutiert. Etwas, das klein – also spezifisch – angefangen hat, hat sich – generalisiert – zu einer großen Sache entwickelt: Aus der Änderung eines Produktdetails ist eine Generalfrage über die Ausrichtung des Unternehmens geworden.

Aus klein wird groß

Dass kleine Themen zu großen werden, und Konflikte damit eskalieren lassen, passiert im Berufsalltag ständig. Etwa wenn aus der Frage, ob das Team dem Zeitpunkt zustimmt, bis zu dem ein bestimmtes Ergebnis vorliegen soll, ein Streit darüber wird, ob die Art der Planung im Unternehmen nicht grundsätzlich reformiert werden müsste. Oder wenn ein Mitarbeiter seiner Chefin einen Gehaltserhöhungswunsch unterbreitet, und sich das Gespräch zur Abrechnung über angebliche Minderleistungen auswächst.

Aber warum ist das so? Und was genau passiert, wenn der Streit seinen Fokus von etwas Spezifischem auf etwas Generalisiertes verschiebt? Darum geht es in diesem Teil der Serie über „Liebe Konflikte“. Für die Antwort auf diese Frage ist es wichtig, zu verstehen, wie Konflikte nach dem hier dargelegten Verständnis funktionieren (s. Kasten).

Wie funktionieren Konflikte?

Den Texten dieser Serie liegt ein systemtheoretisches Verständnis zugrunde, das Klaus Eidenschink u.a. in seinem Buch „Die Kunst des Konflikts“ ausführt. Demnach sind Konflikte …

  • … keine zu vermeidende Panne im menschlichen Miteinander, sondern etwas, was einfach da ist, überall wo Interessen und Sichtweisen aufeinandertreffen. Konflikte sind daher auch oft nicht zu lösen, sondern nur (vorübergehend) zu beruhigen. Bisweilen müssen sie sogar verschärft werden, um ihre Funktion zu erfüllen.
  • … notwendig, um bestehende Verhältnisse zu labilisieren und zu erzwingen, dass neue Möglichkeiten erkundet und realisiert werden.
  • … unkalkulierbar und daher auch nicht kontrollierbar. Vielmehr folgen sie eigenen Regeln, sie „bestimmen“ gewissermaßen selbst, was als Nächstes passiert, wobei sie den Konfliktbeteiligten immer wieder die Wahl geben, eskalierend oder deeskalierend weiterzumachen.

Ob sich Konflikte ausweiten oder abschwächen und welche Form sie dabei konkret annehmen, lässt sich nach Eidenschink anhand von insgesamt neun Polaritäten zeigen, die im Laufe dieser Serie beschrieben werden (s. Grafik). Im aktuellen Teil geht es, im sogenannten Aufmerksamkeitsmodus, um den Gegensatz von generalisierter und spezifischer Konfliktkommunikation. 

Quelle: managerseminare.de; Klaus Eidenschink

Demnach sind Konflikte nicht etwas, das wir Menschen haben, sondern umgekehrt: Sie haben uns. Sie sind wie Tiger, die sich ihre Beute schnappen und durch die Gegend schleifen, wie es ihnen passt. Denn diese Konflikte führen ein Eigenleben, das heißt, wir bestimmen nicht ihren Verlauf, vielmehr entwickeln sich Konfliktdynamiken meist unerwartet und entlang von eigenen Strukturen.

Eine wichtige Rolle in der Ausformung von Konflikten spielen Polaritäten: Ob sich Konflikte abschwächen oder verstärken, entscheidet sich von Moment zu Moment immer wieder neu, wobei die Konfliktkommunikation an jedem Punkt „wählt“, ob sie entweder eskalierend oder deeskalierend „weitermacht“. Und eine dieser Entscheidungspolaritäten (von insgesamt neun), die den Ablauf und die Erscheinungsform von Konflikten bestimmen, ist die von spezifisch vs. generalisiert.

Konflikte entfalten sich entlang von Polaritäten

Wie sich die Entscheidung zwischen diesen Polen auswirkt – und warum es die konfliktverschärfende Generalisierung so viel einfacher hat als die konfliktmildernde Spezifizierung, lässt sich am eingangs vorgestellten Meeting-Beispiel zeigen, in dem der Kollege aus dem Vertrieb nicht bei dem vorgeschlagenen Produktdetail bleibt, sondern die viel größeren Fragen der Strategie und der Zusammenarbeit von Abteilungen aufwirft. Damit schürt er den Konflikt in mehrfacher Hinsicht. So macht es eine solche Pauschalattacke schwierig, angemessen zu reagieren. Die meisten Menschen werden sich automatisch unverstanden fühlen und sich sowohl in ihrer Kompetenz infrage gestellt als auch mit unzutreffenden Unterstellungen belegt sehen.

Die Ausweitung der Kampfzone hat neben der emotionalen auch eine inhaltliche Seite: Das eine Thema (der Entwicklung) entpuppt sich durch die Konfrontation mit unterschiedlichen Perspektiven (Vertrieb, Controlling, Marketing, Strategie) als ein ganzes Bündel von Themen und Interessen, die nicht einfach isoliert betrachtet und behandelt werden können. Wenn an einem Detail geschraubt wird, werden andere, die damit vernetzt sind, ebenfalls verändert, die Zahl der möglichen Widersprüche steigt. Wenn statt einem Thema auf einmal eine Fülle davon zur Debatte stehen, macht das schon aus Wahrscheinlichkeitsgründen weitere „Neins!“ erwartbar.

Problemlösungen sind immer auch Lösungsprobleme. Das heißt, Lösungen werfen neue Probleme auf, deren Lösung wiederum neue Probleme aufwirft usw. Wir alle kennen das, wenn sich herausstellt, dass an einem scheinbar begrenzten Problem „viel mehr dranhängt“.

Ein weiterer Faktor, der zur Konfliktverschärfung beiträgt, resultiert daraus, dass fachliche Problemlösungen immer auch Lösungsprobleme sind. Das heißt, Lösungen werfen neue Probleme auf, deren Lösung wiederum neue Probleme aufwirft usw. Wir alle kennen das, wenn sich herausstellt, dass an einem scheinbar begrenzten Problem „viel mehr dranhängt“. Der Konflikt eskaliert aber nicht nur, weil er immer weitere Kreise zieht. Hinzu kommt, dass dadurch auch immer mehr unterschiedliche Lösungsansätze aufeinandertreffen, was zu neuen Widersprüchen führen kann, weil Menschen je nach Perspektive andere Lösungsprobleme bevorzugen.

Die Lösungen der einen sind die Probleme der anderen

Wenn aber die Lösungsideen der einen Konfliktpartei neben den Lösungsideen der anderen stehen, ist eine Einigung nur noch möglich, wenn eine Seite ihren Standpunkt aufgibt. Das tut sie aber umso weniger, je wichtiger ihr die eigenen Lösungsideen sind. Der Widerspruch verfestigt sich dann, und beiden Parteien bleibt nur noch, die eigene Wahl anzupreisen oder die der anderen Partei zu kritisieren. Eine paradoxe Situation entsteht, in der beide erwarten, dass die jeweils andere Seite tut, was sie selbst nicht tun wollen: nämlich den eigenen Standpunkt aufgeben. Diese paradoxe Struktur – in die wir Menschen bemerkenswert oft geraten – ist eins der Elemente, die dafür sorgen, dass Konflikte an dieser Polarität ein so stabiles Eigenleben führen.

Aus zwei Widersprüchen – jedes Lager widerspricht dem anderen – wird also ein Konflikt, in dem beide Lager gleichzeitig versuchen, einander mit Argumenten zu überzeugen, und beide in ihrer Hoffnung frustriert werden. Das kann, vor allem, wenn der Konflikt unter Fachleuten stattfindet, sehr lange so weitergehen. Die Streitenden variieren dann die Argumente, wechseln die Bezüge, nehmen unterschiedliche Schwachstellen in der Argumentation des anderen ins Visier, ohne jedoch entscheidende Gewinne zu erzielen.

Die Eigenlogik des Konflikts führt dazu, dass die Beteiligten zunehmend in Grundsatzfragen einsteigen. Die sachlichen Themen werden ausgeweitet und Legitimation und Qualifikation des anderen zunehmend infrage gestellt. So schürt der Konflikt sich selbst – bis zu einer Schwelle, ab der alles abgelehnt wird, was vom anderen kommt, weil es vom anderen kommt.

Dabei entfaltet sich ein regelrechter Sog, die Argumente grundsätzlicher, umfassender, allgemeiner werden zu lassen. Die Eigenlogik des Konflikts führt dazu, dass die Beteiligten zunehmend in Grundsatzfragen einsteigen. Die sachlichen Themen werden ausgeweitet und Legitimation und Qualifikation des anderen zunehmend infrage gestellt. So schürt der Konflikt sich selbst – bis zu einer Schwelle, ab der alles abgelehnt wird, was vom anderen kommt, weil es vom anderen kommt. Die Streitenden begegnen dann nicht mehr nur einzelnen Behauptungen oder Verhaltensweisen kritisch, vielmehr wird alles, was gesagt wird, verneint. Aus „An dem Punkt irrst du dich“ wird ein „Du verstehst einfach nichts davon!“.

Konflikte beeinflussen

Was lässt sich aus dem Bisherigen lernen? Wir haben erfahren, dass sich Konflikte u.a. daran ausdifferenzieren, worauf sie ihre Aufmerksamkeit richten, also wie eng oder weit sie den Fokus fassen. Die Frage, wie sich die Kommunikation zwischen den Polen spezifisch und generalisiert orientiert, entscheidet über die weitere Dynamik des Konflikts.

Damit ist zugleich eine Möglichkeit gefunden, wie sich Konflikte beeinflussen lassen – wobei hier sehr bewusst von „beeinflussen“ die Rede ist, denn die Funktionsweise von Konflikten lässt nicht zu, sie völlig zu lösen, zu kontrollieren oder gar zu steuern. Hier sei noch mal an das Bild vom Konflikt als Tiger erinnert: Auch er entzieht sich der willentlichen Kontrolle, auch er verschwindet nicht einfach, nur weil man es will. Und wie Tiger ihre Beute packen, nutzen Konflikte letztlich uns Menschen. Wir haben nur Einfluss darauf, in welchem Maß wir uns benutzen lassen.

Mehr zum Thema

Klaus Eidenschink: Die Kunst des Konflikts  – Konflikte schüren und beruhigen lernen.

Carl-Auer 2023, 29,95 Euro.

Mit systemtheoretischem Blick entwickelt Klaus Eidenschink ein Modell zum Verständnis von Konflikten und ihren systemimmanenten Dynamiken. Beschrieben wird, wie sich Konflikte selber erhalten, zwischen welchen Polen und in welchen Dimensionen sie sich bewegen – und welche Kompetenzen wir brauchen, um von Fall zu Fall entscheiden zu können: Sollte ich den Konflikt sogar schüren, anzetteln und auskämpfen? Oder sollte ich ihn doch lieber beruhigen? Und wie gehe ich bei beiden Optionen variantenreich und emotional intelligent vor?

Klaus Eidenschink: Liebe Konflikte

msmagazin.info/LiebeKonflikte

Unter diesem Link finden sich alle bisher erschienenen Teile der Konfliktserie. Im ersten Teil geht es um sieben Prinzipien, die Konflikte prägen, und deren Verständnis hilft, Konflikte besser zu verstehen, klüger zu handhaben – und ihren Nutzen zu würdigen.

Schauen wir nun auf die Pole spezifisch vs. generalisiert, dann folgt daraus dreierlei:

  • Spezifisch zu sprechen, deeskaliert Konflikte mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit. Generalisiert zu sprechen – wozu die Eigendynamik von Konflikten tendiert –, trägt zu ihrer Eskalation bei.
  • Beides, Eskalation und Deeskalation, kann sowohl hilfreich als auch schädlich sein. Wer einen funktionalen Konflikt beruhigt, der richtet Schaden an. Wer einen dysfunktionalen Konflikt schürt, tut dies ebenso.
  • Es braucht folglich die Fähigkeit, zwischen funktionalen und dysfunktionalen Konflikten zu unterscheiden. Ebenso ist die Kompetenz gefragt, je nach Bedarf punktgenau zu streiten oder auch Grundsatzdebatten anzuzetteln.

Diese Sichtweise widerspricht dem landläufigen Rat, in Konflikten auf Generalisierungen wie „immer“, „nie“, „alles“ oder „nichts“ zu verzichten. Denn das hieße ja, dass es grundsätzlich richtig ist, spezifisch zu sprechen. Das stimmt allerdings nur, wenn man Konflikte deeskalieren möchte. Dann kann man versuchen, die Aufmerksamkeit vom Generellen hin zum Spezifischen zu verlagern, etwa indem man danach fragt, wo genau sich die Parteien uneins sind, welche Vor- und Nachteile die jeweiligen Standpunkte haben oder auch, wo es thematische Gemeinsamkeiten gibt. Gemeinsamkeiten in den Fokus zu bringen und das Trennende einzugrenzen, ist für Entspannung unabdingbar.

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Warum Deeskalieren falsch sein kann

Aber so einfach ist es nicht mit der Konfliktkompetenz. Den Fokus auf dem Spezifischen zu halten, kann nämlich auch einer ungünstigen Konfliktvermeidung gleichkommen. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. Ein Geschäftsführer – wie so oft ein Mann – hat seit Jahren eine rechte Hand – wie so oft eine Frau –, die alles für ihn organisiert, immer erreichbar, immer präsent. Im Coaching thematisiert sie ihre Überlastung. Dabei stellt sich aber heraus, dass ihr spezifisches Anliegen – Abgabe von Aufgaben – gar nicht das ist, was ihr im Magen liegt. Schlimmer wiegt für sie, dass sie beim Geschäftsführer kein Gehör gefunden hat. Das gesamte Set-up der Zusammenarbeit, so wird ihr klar, stimmt nicht. Würden die Aufgaben wegfallen, hätte sie immer noch die Zuarbeiterinnenrolle, mit der sie so unzufrieden ist. Ihr wird bewusst, dass sie den Konflikt generalisieren und ihrem Chef sagen muss: „Wir haben ein Grundsatzproblem!“

Eine Generalisierung muss also nicht schlecht sein, Konflikte brauchen das manchmal, um das große Ganze in den Blick zu nehmen, die Abhängigkeiten zu klären und einen Überblick zu bekommen, was alles integriert werden muss. Der Konflikt sorgt somit dafür, dass alles auf den Tisch kommt – damit es anschließend Stück für Stück abgearbeitet werden kann.

Eine Generalisierung muss nicht schlecht sein, Konflikte brauchen manchmal eine Eskalation, um das große Ganze in den Blick zu nehmen. Der Konflikt sorgt somit dafür, dass alles auf den Tisch kommt – damit es anschließend Stück für Stück abgearbeitet werden kann.

Dass Generalisierungen ein notwendiges Mittel sind, um etablierte Strukturen zu verflüssigen, lässt sich gut an der Gender-Debatte zeigen, in der sich Frauen gegen die faktische Dominanz der Männer in Summe wenden. Es geht also ausdrücklich nicht um Einzelfälle, sondern um generelle Fragen. Wenn dabei in einzelnen Aspekten und gegenüber konkreten Personen „über das Ziel hinausgeschossen“ wird, ist dies auf der Grundlage dieser Überlegungen geradezu notwendig. Denn es ist die Funktion dieses Konflikts, die etablierte Bevorzugung von Männern gegenüber Frauen in Unternehmen aufzubrechen, und das geht nur, wenn man nicht primär im Detail spricht, sondern Grundsätzliches in Frage stellt.

Generalisierungskompetenz entwickeln

Wie gezeigt, können beide Aufmerksamkeitspole sowohl günstig als auch ungünstig sein. Umso wichtiger ist die Fähigkeit, beide nach Bedarf in die Konfliktkommunikation einzuspeisen – oder es sein zu lassen. Aber wie lässt sich diese Kompetenz entwickeln? Schauen wir zunächst zum konfliktschürenden Pol: Vielen fällt es schwer, den Schritt in eine größere Konfliktdynamik zu machen. Das betrifft zum Beispiel Führungskräfte, die die Befähigung von Mitarbeitenden beurteilen müssen. Das ist zwar ein Kernprozess von Unternehmen, die schließlich wissen müssen, ob eine Person fachlich geeignet ist. Dennoch zögern viele Verantwortliche, das Können von Mitarbeitenden grundsätzlich, also über konkrete Anlässe hinaus, infrage zu stellen, weil sie das Kränkungspotenzial, aber auch die Verteidigungsreden der anderen Partei schon ahnen. Auch dass der Konflikt schnell von der Sach- auf die Beziehungskonfliktebene wechseln kann, ist bekannt und füllt Ratgeberbibliotheken.

Konfliktdynamisch gesehen, geht es nicht darum, dass kein Konflikt, sondern dass der richtige Konflikt entsteht.

Schaut man konfliktdynamisch auf die Sache, geht es aber nicht darum, dass kein Konflikt, sondern dass der richtige Konflikt entsteht, damit man ihn funktional wieder beruhigen kann. Wer sich dessen bewusst ist und antizipiert, dass es zum (scharfen) Diskurs kommen kann oder sogar muss, braucht nur noch Vertrauen in die eigene Argumentationskraft und den Willen, nicht (länger) falsche Kompromisse zu machen. Und muss zugleich aufpassen, nicht zu überdrehen oder den Pol für eigene Interessen zu missbrauchen. Denn nur zu gerne glauben wir, dass die Meinung der anderen generell nichts taugt, um uns gar nicht erst mit der Kritik beschäftigen zu müssen. Auch wer Angst hat, selbst falschzuliegen, hält die Konfliktthemen lieber breit, damit der Irrtum nicht offenbar wird. Zur Überprüfung der eigenen Generalisierungskompetenz helfen folgende Reflexionsfragen:

  • Kann ich Freundlichkeit und Bestimmtheit gleichzeitig in mir aufrufen, nach dem Muster „Ich schätze dich persönlich, aber in dieser Sache sind wir unterschiedlicher Meinung“?
  • In welchem Maß kann ich die Unterstellung, ich sei nur aus persönlichen Gründen anderer Meinung, aufrichtig zurückweisen?
  • In welchem Maß kann ich die Kompetenz von jemandem grundsätzlich infrage stellen, ohne Gefahr zu laufen, einem harten Diskurs aus dem Weg zu gehen?
  • Bin ich selbst gefährdet, ein strittiges Sachthema auszuweiten und andere Punkte ins Spiel zu bringen, wenn mir eine sachliche Niederlage droht?
  • In welchem Ausmaß kann ich meine eigenen Standpunkte infrage stellen und variieren, ohne Angst zu bekommen, mich zu verlieren?

Wie geht spezifisch?

Auf der „spezifischen“ Seite der Aufmerksamkeitspolarität geht es vor allem darum, das konkrete Thema im Blick behalten zu können. Konfliktdynamiken sind asymmetrisch gebaut und verleiten zu der Vermutung, wenn man sich in einem Punkt uneinig ist, dass das auch in anderen Punkten gilt. Das muss aber nicht sein, und auch in einem generalisierten Sachkonflikt ist es irgendwann an der Zeit, wieder spezifisch zu werden. Das ist nicht immer einfach, vor allem, wenn ein Punkt erreicht ist, an dem alle die jeweils andere Partei für ahnungslos halten. Zwei Kompetenzen sind dafür wichtig: Man muss erstens Gefühle „einklammern“ können: nicht abschalten, leugnen oder übertünchen – sondern sie erleben, ohne sie jedoch verhaltenswirksam werden zu lassen. Das geht in Anwesenheit Dritter (Moderatoren, Freunde, Anwälte) oft leichter als allein. Zweitens muss man den Willen haben, zu lernen. Denn nur selten hat eine Konfliktpartei sachlich vollkommen recht. Je mehr man sich jedoch als Experte bzw. Expertin in einer Sache fühlt, desto schwieriger ist es, offen dafür zu bleiben, dass auch andere Relevantes einbringen können.

Drei Zündstoff-Gedanken

  • Konflikte wachsen sich häufig von spezifischen Detailfragen zu großen Generalabrechnungen aus. Das liegt an der Eigendynamik von Konflikten, die aus emotionalen, inhaltlichen und kommunikativen Gründen dazu neigen, thematisch immer weitere Kreise zu ziehen. Damit wächst die Zahl möglicher Widersprüche, es entsteht ein regelrechter Sog, Argumente grundsätzlicher, umfassender, allgemeiner werden zu lassen. Bis ab einem gewissen Punkt alles abgelehnt wird, was von der Gegenseite kommt, weil es von der Gegenseite kommt.
  • Trotzdem ist es falsch, zu glauben, dass Pauschalisierungen und Generalisierungen unbedingt zu vermeiden sind, obwohl das in vielen Konfliktratgebern empfohlen wird. Die Eskalation ist manchmal hilfreich oder sogar erforderlich, denn sie hat die Funktion, alles auf den Tisch zu bringen, was zum Konflikt gehört. Sie hilft also, das große Ganze in den Blick zu nehmen, was die Voraussetzung dafür ist, dass es Stück für Stück abgearbeitet werden kann.
  • Je nach Situation können sowohl Eskalation als auch Deeskalation richtig oder falsch sein. Konfliktparteien müssen lernen, wann es richtig ist, Konflikte durch Generalisierung zu schüren oder durch Spezifizierung zu beruhigen. Dabei müssen sie doppelt aufpassen: dass sie nicht generalisieren, um sich nicht mit Kritik auseinandersetzen zu müssen; und dass sie spezifischen Diskussionen nicht aus dem Weg gehen, um innere Konflikte zu vermeiden.
Quelle: managerseminare.de; Klaus Eidenschink

Spezifische und deeskalierende Kommunikation erfordert es also, die Kompetenz anderer anzuerkennen und Respekt vor ihren Lösungsideen zu entwickeln. Daher braucht es oft längere Phasen von Vertrauensaufbau, bevor Konfliktsysteme ihr Ende durch eine Sachklärung finden können, sowie Suchbewegungen, um Gemeinsamkeiten zu finden. Sich auf tiefergehende Sachdiskussionen einzulassen, hat aber auch eine emotionale Komponente, vor allem wenn Selbstwert-, Bindungs- und Selbstbestimmungsfragen ins Spiel kommen. Das kann alte seelische Muster und innere Konflikte aktivieren, die den Spielraum verengen und zu unpassenden und überflüssigen „Neins“ führen. Um zu vermeiden, dass unaufgearbeitete psychische Themen der Spezifizierungskompetenz im Weg stehen, helfen folgende Reflexionsfragen:

  • Bei welchen Themen mache ich meinen Selbstwert von der Zustimmung anderer Menschen zu meiner Meinung abhängig?
  • Bei welchen Themen schwindet mein Vertrauen, dass bei sachlichem Widerspruch die Beziehung zum anderen erhalten bleibt?
  • Bei welchen Themen komme ich innerlich in Berührung mit (vermuteten) Unzulänglichkeiten, Ängsten oder Schuldgefühlen?
  • Kann ich es tolerieren, wenn ich als jemand dastehe, der bzw. die eine Idee hatte, die nichts taugt oder nicht akzeptiert wird?
  • Kann ich Nähe und Verbundenheit auch dann aufrechterhalten, wenn ich merke, dass ich falschliege und mein Gegenüber recht hat?

Betrachtet man Konflikte auf der Sachebene im Aufmerksamkeitsmodus, zeigt sich, dass sowohl die Generalisierung als auch die Spezifizierung von Konflikten nützlich sein können. Die Beeinflussung von Konflikten in Richtung des einen oder anderen Pols erfordert aber auch Kompetenzen, die entwickelt werden können. Dazu gehört nicht zuletzt, Klarheit über die eigenen Möglichkeiten und Einschränkungen zu gewinnen.

In managerSeminare 315 geht es um die Frage: Welche (und wie viele) Perspektiven finden Eingang in den Konflikt?

Der Autor: Klaus Eidenschink berät und coacht Führungskräfte – insbesondere das Topmanagement großer Konzerne – in Fragen der Konfliktklärung, des Changemanagements und bei komplexen Entscheidungen, zudem führt er Coach- und Trainerausbildungen durch. Hintergrund seines Beratungsstils sind u.a. Ausbildungen und Erfahrungen in humanistischen Psychotherapieverfahren, Systemtheorie sowie Organisations- und Führungspsychologie. Kontakt: eidenschink.de

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