Lars Vollmer in Speakers Corner
Lars Vollmer in Speakers Corner

„Kultur frühstückt nicht“

​„Culture eats strategy for breakfast“ – Der berühmte, Peter Drucker zugeschriebene Satz soll auf den Punkt bringen, dass ​Unternehmenskultur für den Erfolg einer Organisation noch wichtiger ist als eine gute Geschäftsstrategie – weshalb sich moderne Manager vor allem um Kulturentwicklung kümmern müssen. Klingt klug, ist dem Unternehmer Lars Vollmer zufolge aber ausgemachter Blödsinn. Denn in dem beliebten Bonmot stecken schwerwiegende Denkfehler.

„Culture eats strategy for breakfast.“ – Ein Satz mit Wumms. Er soll von Peter Drucker stammen. Drucker – so mutmaße ich mal ohne Beweisführung – ist der meistzitierte „Management-Guru“ der Welt, der „Vater des modernen Managements“, visionärer Erfinder von Wissensmanagement oder „Management by Objectives“. Schon während meiner Promotionszeit waren Peter Druckers Bücher Pflichtlektüre. Mein Doktorvater war ein Fan und legte jedem Doktoranden ans Herz, sich doch bitte mal in „The Practice of Management“ oder „The Effective Executive“ reinzulesen.

„Culture eats strategy for breakfast.“ – Ein Satz wie eine Hymne. Eine Hymne, die seit vielen Jahren rezitiert wird. Zum Beispiel von Personalmanagern , von New-Work-Anhängern, von Rebellinnen der Arbeitswelt und Agilisten. Aber nicht nur von diesen, selbst Topmanager überall auf der Welt stimmen die Hymne regelmäßig an. Meist schwingt dabei folgende Interpretation mit: „Unternehmenskultur ist für den langfristigen Unternehmenserfolg noch wichtiger als eine gute Geschäftsstrategie, deshalb müssen sich moderne Manager vor allem um Kulturentwicklung kümmern, Strategie ist zweitrangig.“

Eine internationale Studie des US-amerikanischen Beratungshauses Heidrick & Struggles Consulting scheint diese Aussage wie die Faust aufs Auge zu bestätigen. Diese Erhebung will nämlich herausgefunden haben, dass Unternehmenskultur der bedeutendste Einflussfaktor auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Unternehmen ist. Jedenfalls hätten das 33 Prozent der befragten CEOs so eingeschätzt. (Zwei Jahre zuvor waren übrigens nur sieben Prozent der Bosse dieser Meinung. Ob da wohl die gleichen gefragt worden waren?)

Aber der Knaller kommt erst noch: Nur 16 Prozent der Topexecutives erklärten in der Studie, dass Kundenfokus und hohe Qualität zu den wichtigsten Faktoren der Unternehmenskultur gehören. Und gar nur noch sechs Prozent gaben dem Faktor „Leistungsorientierung“ ihre Stimme (zwei Jahre zuvor waren es noch 31 Prozent gewesen). Bei diesen Ergebnissen springt sofort mein kleiner Polemikgenerator an, und ich frage mich, ob das Topmanagement der Deutschen Bahn oder der Lufthansa wohl zu den 500 befragten Unternehmen gehörte. Bei denen hat man jedenfalls derzeit den Eindruck, dass Kundennutzen und Qualität der Leistung nicht besonders weit oben auf der Prioritätenliste stehen, während gleichzeitig kaum ein Tag vergeht, an dem sich die Vorstandsmitglieder dieser Unternehmen nicht öffentlich für ihre ach so herausragende Unternehmenskultur loben.

Zugegeben: Ich laufe vermutlich Gefahr, die Erkenntniskraft der Studie zu überspannen. Sie sagt ja nicht aus, dass Unternehmenskultur der wichtigste Einflussfaktor auf den Unternehmenserfolg ist – auch wenn das die Studienmacher so suggerieren. Sie sagt lediglich, dass die meisten der befragten CEOs das meinen. Alles, was die Erhebung leistet, ist also, Aufschluss über die Denkweise der Topmanager zu geben – die womöglich Peter Drucker mit seinem Zitat maßgeblich beeinflusst hat?

Ehrlich gesagt: Sein berühmtes Zitat von der frühstückenden Kultur kam mir schon immer seltsam vor. Ich konnte mir nämlich nie recht vorstellen, dass Drucker Kultur als Gestaltungsgegenstand ansah und wirklich über die Geschäftsstrategie stellte. Nach der Lektüre der Heidrick-&-Struggles-Studie beschloss ich, der Sache endlich mal nachzugehen und herauszufinden, in welchem Kontext Peter Drucker den berühmten Satz eigentlich gesagt oder geschrieben hat. Meinte er es wirklich so, wie es heute interpretiert wird? Oder handelt es sich vielleicht doch eher um ein Missverständnis? Wollte Drucker womöglich etwas anderes zum Ausdruck bringen?

Also habe ich gesucht. Und was habe ich gefunden? Nichts! Das Frühstückszitat stammt offenbar überhaupt nicht von Drucker. Weder findet es sich in einem seiner Bücher oder Aufsätze, noch – so scheint es – hat er diesen Satz je in einem Vortrag oder einem Interview ausgesprochen. Möglich, dass ich nicht gründlich genug gesucht habe, aber die Website des Drucker-Instituts erscheint mir für diese Behauptung dann doch als glaubwürdige Quelle.

Ich gebe zu: Dieses Rechercheergebnis hat mich regelrecht erleichtert. Der Satz, so virtuos er sprachlich auch gestaltet ist, im Englischen ebenso wie im Deutschen; dieser Satz, der gleichsam eingängig kurz und durch die Metapher dennoch vielsagend und gehaltvoll erscheint; ja, dieser Satz, von wem auch immer er stammt – Peter Drucker hat ihn jedenfalls nie formuliert. Ein Glück. Denn, ich erlaube mir zu werten: Dieser Satz – in seiner kunstvollen Schlichtheit – ist schlicht Quatsch. „Culture eats strategy for breakfast“ baut auf einer Trivialisierung auf und führt in die Irre. Er führt in die Irre, weil er suggeriert, man könne Unternehmenskultur und Geschäftsstrategie gegeneinander ausspielen. Er führt in die Irre, weil er die Wechselwirkung von Strategie und Kultur außer Acht lässt. Und er führt in die Irre, weil er suggeriert, beide Faktoren seien gleichermaßen entscheidbar.

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Hinter dem Satz steckt die Vorstellung, ein Unternehmen „habe“ eine Kultur – geradeso so, wie es auch über andere Elemente verfügt, etwa über eine Struktur, über Prozesse oder eben eine Strategie. Kultur – betrachtet als ein Organisationselement neben vielen – erscheint somit als etwas, über das man entscheiden kann. So, wie man über den strategischen Kurs des Unternehmens entscheiden kann, was zweifelsfrei der Fall ist. Doch Kultur ist nicht entscheidbar. Kultur ist ein Muster der Kommunikation, das sich in einer Organisation weitgehend eigenständig und ungesteuert ausbildet, über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Das Erfahrungswissen der Organisationsmitglieder wird, sofern es sich bewährt hat, zu Überzeugungen, Werten, Regeln und Normen. Man kann auch sagen, es wird zu – oft auch unausgesprochenen oder gar unbewussten – Übereinkünften darüber, was wie in der Organisation zu tun ist und was nicht.

Die Kultur dient den Organisationsmitgliedern somit als Entscheidungsprämisse. Insofern kann man Strategie nicht als von der Kultur losgelöstes Element betrachten, und auch umgekehrt nicht. Welche Strategie ein Unternehmen verfolgt, das wird durch seine Kultur – also die Entscheidungsprämissen, denen die Organisationsmitglieder folgen – beeinflusst. Insofern ist auch die Strategie Teil der Kultur. Umgekehrt wirkt die Strategie, für die man sich entschieden hat, auf das Arbeitsklima und die Stimmung im Unternehmen ein. Denn übt die Strategie im Markt und bei der Belegschaft Resonanz aus, werden Wertschöpfung und Kundennutzen wahrscheinlicher – und in der Konsequenz auch der Unternehmenserfolg. Das wiederum führt oft dazu, dass die Unternehmenskultur (hier vor allem verstanden als Stimmung/Atmosphäre/Arbeitsbedingungen) von vielen Akteuren subjektiv als positiv bewertet wird.

Kultur und Strategie sind somit keine Antipoden. Im Gegenteil: Sie hängen untrennbar zusammen, bedingen einander. Deswegen gilt, wer auch immer das vermeintliche Drucker-Zitat verfasst hat: Kultur frühstückt nicht! Kultur deckt den Tisch und räumt ihn wieder ab.

Lars Vollmer …

Lars Vollmer …

… ist promovierter Ingenieur, Honorarprofessor, Unternehmer und Gründer des Unternehmens Intrinsify. Kontakt: intrinsify.de

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