In Sachen Coaching ist die europäische Einheit noch lange nicht erreicht. Während die Branche in manchen Ländern auf dem Weg zur Professionalisierung bereits weit fortgeschritten ist, stehen andere Staaten ganz am Anfang ihrer Coaching-Geschichte. Einzige Gemeinsamkeit: Nirgendwo ist Coaching auf dem Rückzug. So das Ergebnis einer aktuellen internationalen Vergleichsstudie aus dem Hause Bresser Consulting.
Auch in Europa gibt es noch Entwicklungsländer. Jedenfalls in Sachen Coaching. Während die Beratung in den Staaten West- und Nordeuropas sehr verbreitet und in ihrer Professionalisierung weit vorangeschritten ist, haben vor allem die ehemaligen kommunistischen Länder noch viel aufzuholen. Das lässt sich aus dem aktuellen European Coaching Survey des Unternehmens Bresser Consulting aus Köln ablesen. An der Untersuchung unter Ägide von Firmenchef Frank Bresser haben Coaching-Verbände, Coaching-Anbieter und Universitäten aus insgesamt 35 europäischen Ländern partizipiert. Darunter alle 27 EU-Staaten, die drei EU-Beitrittskandidaten Kroatien, Mazedonien und Türkei sowie die Nicht-EU-Staaten Island, Norwegen, Russland, Schweiz und Ukraine. „Grundidee war es, in jedem Land eine Organisation zur Teilnahme an der Umfrage einzuladen, die am besten geeignet schien, möglichst objektive, vollständige Informationen zur Coaching-Situation in ihrem jeweiligen Land zu geben. In der Regel lief dies auf einen (oder den) führenden nationalen Coaching-Verband hinaus“, erklärt Bresser. Wo es einen solchen Verband nicht gab, wurden stattdessen führende Coaching-Provider und/oder Universitäten befragt. Erhellend ist die Studie besonders für international tätige Coaches und die Personalentwickler international tätiger Unternehmen.
70 Prozent aller Coaches sind in Großbritannien und Deutschland aktiv
Laut Erhebung sind in Europa ca. 16.000 bis 18.000 Coaches aktiv (weltweit: etwa 50.000). Doch während allein 70 Prozent davon auf Großbritannien und Deutschland entfallen (wo 30 Prozent der EU-Bevölkerung leben), ist die Anzahl der Coaches in den osteuropäischen Staaten verschwindend gering: Obwohl hier 20 Prozent der europäischen Bevölkerung leben, arbeiten nur drei bis vier Prozent der europäischen Coaches in diesen Ländern.
Weitgehend akzeptiert und in der Breite im Einsatz ist Coaching bislang nur in Norwegen, Schweden, Finnland, Irland, Großbritannien, Dänemark, Deutschland, Belgien, der Schweiz, Italien, Frankreich, Spanien und Portugal. Dementsprechend steckt die Dienstleistung in diesen Ländern in der Regel in der Phase des Wachstums. Besonders weit entwickelt ist der Markt in Norwegen. Laut Umfrage ist dort bereits der Zustand der Marktreife erreicht. Auch der niederländische Markt bewegt sich stark in diese Richtung. In den meisten östlichen – und auch einigen südlichen Ländern (etwa Griechenland) – ist dagegen gerade einmal die Einführungsphase erreicht. In Ländern wie Russland und Mazedonien gar nur die Entwicklungsphase. Was allerdings überall gelte, so Bresser: „Coaching ist in ganz Europa im Aufwärtstrend.“
Eines allerdings hat den Berater an den Ergebnissen seiner Studie eher negativ überrascht: Dass nämlich der Weg zur Professionalisierung von Coaching in Europa insgesamt noch erstaunlich weit ist. „Allein die Tatsache, dass es in diversen EU-Staaten bisher noch keinen Coaching-Berufsverband gibt, und dass in nur sieben EU-Staaten die Nutzung von Supervision durch Coaches weit verbreitet ist, ist bemerkenswert“, so Bresser. Eindeutig auf dem Weg zur Profession zu werden (gekennzeichnet durch Verbände, Akkreditierungen und berufs-ethische Grundsätze) ist Coaching bislang nur in elf EU-Staaten, nämlich in Irland, Großbritannien, Norwegen, Schweden, Deutschland, Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal und der Schweiz.
Europäischer Coaching-Stil: Zwischen den USA und Asien
Bresser hat in seiner Studie allerdings nicht nur nach Zahlen und Marktentwicklungen gefragt, sondern auch qualitative Unterschiede ins Visier genommen – beispielsweise, wie direktiv bzw. nondirektiv der jeweilige Beratungsansatz in den einzelnen Ländern ist, also wie sehr die Coaches dazu tendieren, konkrete Ratschläge zu geben. Auch diesbezüglich ergibt sich ein buntes und teilweise überraschendes Bild. Nicht direktiv ist das Coaching-Verständnis z.B. nicht nur in Großbritannien, Belgien, Dänemark, Island, Frankreich und Finnland, sondern auch in der Türkei, in Bulgarien, Rumänien und der Ukraine. Direktiv ist es unterdessen nicht nur in Ländern wie Lettland, der Slowakei, Griechenland und – teilweise – Russland, sondern auch in Portugal und Irland. Staaten wie Deutschland, aber auch die Niederlande, Norwegen und Schweden liegen irgendwo dazwischen. Von einem einheitlichen Coaching-Verständnis ist Europa also weit entfernt. Vielmehr ist ein Mix vorherrschend – und zwar zwischen und innerhalb der einzelnen Staaten. „Damit liegt der Kontinent zwischen den USA – wo Coaching sehr stark non-direktiv ist – und dem asiatischen Raum, wo Coaching sehr direktiv ist“, konstatiert Bresser.
Der englischsprachige European Coaching Survey 2007/2008 steht im Internet zum kostenlosen Download bereit.