Der neue Leiter der internen IT-Abteilung Client & Support eines Geräteherstellers schaute ratlos auf die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung. Die Bewertungen, die er dort erhalten hatte, wichen deutlich von den Ergebnissen der anderen Führungskräfte ab – und noch stärker von seiner Selbsteinschätzung. Was war passiert? Warum hat er so negatives Feedback erhalten? Er suchte die Hilfe eines Coachs, um diese Fragen zu klären.
Erst als die Coachingpartner sich die Firmenkultur genauer anschauten, kamen sie auf eine erfolgversprechende Spur. In der Abteilung war es Usus gewesen, dass die Mitarbeiter mit den Kunden einen Kontakt pflegten, der über eine rein fachliche Unterstützung hinausging. Sie führten mit ihnen intensiven Smalltalk. Diese Gespräche halfen ihnen zum einen, die Anfragen ihrer Kunden einzuschätzen, weil sie dabei etwas über deren Gewohnheiten und Denkweisen erfuhren. Zum anderen genossen sie die Dankbarkeit und Anerkennung, die sie in den Unterhaltungen erhielten.
Als die Führungskraft die Abteilung übernommen hatte, waren ihr die langen Support-Gespräche ihrer Mitarbeiter sofort ein Dorn im Auge gewesen – zumal sie selbst einen eher sparsamen Kommunikationsstil pflegte. Deshalb veränderte sie die Prozesse und die Leitlinien für die Kundenkommunikation so, dass die Gespräche deutlich kürzer ausfielen. Die Beziehungskultur, die sich die Mitarbeiter im Kundenkontakt über Jahre aufgebaut hatten, hatte sie mit diesen Maßnahmen – unbewusst – mit Füßen getreten.
Solche Art kultureller Blindheit kommt in der Businesswelt weitaus häufiger vor als gemeinhin angenommen. Dies liegt vor allem daran, dass der Blick auf kulturelle Besonderheiten ungewohnt ist.
Extras:- Perspektiven des kulturreflexiven Coachings für Führungskräfte und ihre Coachs
- Literaturtipp: Das neue Buch der Autorinnen dieses Fachartikels