Darüber, was eine gerechte Bezahlung ist, gibt es naturgemäß mindestens zwei Meinungen: Was dem Arbeitgeber vielleicht schon viel zu teuer ist, empfinden Mitarbeiter als viel zu wenig. Verschiedene Ansichten und Interessen stehen sich auch in anderen Gerechtigkeitsfragen gegenüber: Ist es zum Beispiel gerecht, dass Wohlhabende in Sozialfonds zahlen, die sie selbst nie in Anspruch nehmen? Ist es gerecht, wenn Banken Risiken auf sich nehmen, für die andere aufkommen müssen? Wer garantiert einen gerechten Umgang von Vorgesetzten mit ihren Mitarbeitern?
Gerechtigkeit ist eines der großen abendländischen Themen, doch in den Systementwürfen der modernen Ökonomik blieb sie lange unterbelichtet. Bis 1971 John Rawls’ Buch über die Fairness erschien, das neue Standards setzte. Die Ausgangsfrage, mit der sich der politische Philosoph aus dem amerikanischen Baltimore darin auseinandersetzt, lautet: 'Wie ist es möglich, dass über die Zeit eine stabile und gerechte Gesellschaft aus freien und gleichen Bürgern existieren kann, obwohl sie durch unvereinbare Konzepte religiöser, philosophischer und moralischer Art unterschieden und geteilt sind?' Wie also kann bei unzählig vielen widersprüchlichen Perspektiven und entgegengesetzten Interessen Gerechtigkeit entstehen? Was ist überhaupt gerecht?
Rawls’ Antwort auf diese Frage ist ungewöhnlich: Aus seiner Sicht kann es keine allgemeine Theorie der Gerechtigkeit geben. Für ihn gibt es nicht die Gerechtigkeit, sondern viele. Allgemein als gerecht akzeptiert werden kann daher allenfalls ein rudimentärer Minimalkonsens aus der Schnittmenge aller Gerechtigkeitsvorstellungen.
Extras:- Infokasten: John Rawls – Leben und Werk
- Literaturtipps: Drei Bücher von und über John Rawls