Jens Kapitzky in Speakers Corner
Jens Kapitzky in Speakers Corner

„Managementmoden wirken – anders als gedacht“

Managementmoden leisten meist nicht, was sie versprechen. Das aber sollte uns nicht dazu verführen, die Modeschöpferinnen und -schöpfer für ihre vollmundigen Versprechungen in Grund und Boden zu verdammen, findet der Organisationsberater Jens Kapitzky. Denn die Wirkung ihrer Konzepte liegt auf anderen, unerwarteten Ebenen.

„Hör mir bloß auf damit! Das hatten wir alles vor 15 Jahren schon mal, nur hieß es damals anders.“ – Viele Menschen reagieren mittlerweile regelrecht allergisch, wenn man ihnen mit einem Ansatz kommt, der für sie verdächtig nach einer Managementmode riecht. Ganz Unrecht haben sie mit ihrem Überdruss nicht. Denn ob Agilität, Selbstorganisation oder Lean Management: Schaut man genauer hin, zeigt sich, dass viele vermeintlich neue Konzepte nicht etwa ihre Geburtsstunde, sondern ihren zweiten Frühling erleben – weil dahinter Prinzipien stecken, die auch in früheren Jahren schon einmal en vogue waren.

Meist ist nicht ganz klar, wieso ein Managementkonzept zu einem bestimmten Zeitpunkt (wieder) in neuem Gewand auf dem Catwalk landet. Aber eine Antwort darauf, was gerade der aktuelle, alles andere überstrahlende Hype ist, ist dafür umso schneller gefunden. Denn den entsprechenden Bestsellern und Fallstudien, den vielen Diskursen in Zeitschriften, Social Media und auf Kongressen entgeht so gut wie niemand.

Längst haben sich angesichts der immer wieder neu aufflammenden Hypes Gewöhnungseffekte eingestellt, auch in den Unternehmen. Reorganisationsbemühungen werden dort häufig vom vielstimmigen Seufzer begleitet, dass wieder mal eine neue „Sau“ durchs Dorf getrieben werde. Der Überdruss kommt nicht von ungefähr. Schließlich hat man in der Vergangenheit oft erleben müssen, dass die „Sau“ schon bald wieder das Zeitliche gesegnet hat: Da wurden Initiativen von der Kommunikationsabteilung gepusht, nur um dann sang- und klanglos im organisationalen Alltag zu verpuffen. Da wurden große Würfe in Town Hall Meetings gefeiert, bloß um anschließend Stück für Stück wieder zurückgebaut zu werden. In einigen Betrieben hinterließ die ein oder andere Mode gewisse Spuren, in anderen nur gut geschüttelte Köpfe.

Doch trotz der ernüchternden Erfahrungen findet stets auch die nächste Mode wieder eine ansehnliche Anhängerschaft, die den Trend zumindest eine Weile mitträgt – oder sich von ihm mittragen lässt. Zu dem bekannten Spiel in Wiederholungsschleife gehört auch, dass nach einiger Zeit schlecht gelaunte Kritiker auf den Plan beziehungsweise an den Rand des Laufstegs treten und an der aktuellen Fashion kein gutes Haar lassen. Die Kritiker verweisen auf die Schwächen des gerade gehypten Ansatzes. Sie betonen, dass es sich um nichts anderes als alten Wein in neuen Schläuchen handele. Und die ganz Abgeklärten unter ihnen fahren noch schwerere – weil grundsätzlichere – argumentative Geschütze gegen den immer wiederkehrenden Trendtrubel auf. Nämlich den Verweis darauf, dass es ohnehin keinen wie auch immer gearteten Ansatz „richtigen“ Organisierens geben könne.

Der Grund: Organisationen sind als soziale Systeme hochkomplex. Was in ihnen formal geregelt ist, entspricht selten eins zu eins dem, was im praktischen Alltag erforderlich ist. Denn Organisationen unterliegen vielfältigen, widersprüchlichen Anforderungen. Sie sind geprägt von Interessengegensätzen. Dass in ihnen einmütig ein zentraler Zweck auf einvernehmliche Weise verfolgt werden könnte, ist eine Illusion. Wäre es so, dann wären Organisationen gar nicht handlungsfähig. Denn wenn sich ihre Mitglieder einzig und allein am formal Festgelegten orientieren würden, könnten sie sich nie den wechselnden und widersprüchlichen Anforderungen der Umwelt anpassen. Ergo kann es – so trumpfen die strengen Modekritiker auf – gar keine einzelne, durchweg tragfähige Form des Organisierens geben. Das ist vollkommen richtig – und trotzdem noch lange kein Grund, Managementmoden und ihren Heilsversprechen eine Generalabsage zu erteilen.

Ja, richtig gelesen! Dass Managementmoden nicht leisten, was sie versprechen, sollte uns nicht dazu verführen, die Modeschöpferinnen und -schöpfer für ihre vollmundigen Versprechungen in Grund und Boden zu verdammen. Oder die vermeintlichen Fashion Victims für ihre naive Leichtgläubigkeit zu verspotten. Stattdessen sollten wir uns fragen: Warum eigentlich sind Managementmoden so schwer aus der Welt zu schaffen, obwohl es doch so leicht ist, sie zu kritisieren?

Eine Antwort auf diese Frage könnte darin liegen, dass Managementmoden für Organisationen und deren Führungskräfte noch ganz andere als die propagierten Funktionen erfüllen. Ein Vorteil des Befolgens populärer Managementkonzepte liegt dabei auf der Hand: Entscheiderinnen und Entscheider werden, wenn sie einen gerade populären Trend aufgreifen, davon entlastet, eigene Impulse für ihre Organisation entwickeln zu müssen. Sie können sich die Anstrengung sparen, einen originären Weg der Veränderung einzuschlagen, der dann womöglich scharf kritisiert wird. Ganz im Gegenteil: In Zeiten, in denen ein Erfolgsrezept gerade auf dem Höhepunkt seiner Popularität ist, legt das externe Umfeld einer Organisation sogar oftmals nahe, das jeweilige Konzept zu adaptieren. Für das Management sind damit etwaige Legitimitätsprobleme, die mit Veränderungsvorhaben einhergehen, vom Tisch, trägt doch der populäre Ansatz per se das Siegel höchster Legitimität. Das macht das „Organisieren von der Stange“ für Managerinnen und Manager zu einer verführerischen – da persönlich entlastenden – Angelegenheit.

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Wir wissen aber auch: Die Mode von der Stange ist in aller Regel nur bedingt als Blaupause einsatzfähig. Selten gibt es einen wirklichen Fahrplan für die Umsetzung. Dies ist auch nicht verwunderlich, denn gerade ihrer Unbestimmtheit haben Managementmoden einen großen Teil ihres Erfolges zu verdanken. Aufgrund ihrer Schwammigkeit sind sie in vielen verschiedenen Organisationen anschlussfähig. Doch diese Schwammigkeit entpuppt sich aus einer funktionalen Perspektive nicht nur als Überlebensvorteil für den Trend, auch diejenigen, die ihn aufgreifen, profitieren davon. Denn die Verschwommenheit der Managementkonzepte ermöglicht es ihnen, im Fahrwasser des aktuellen Trends in ihren Unternehmen kontroverse Themen auf den Tisch zu bringen, die sonst kaum diskutiert werden könnten.

Organisationen sind voll von Kommunikationsschranken und Latenzen, die aus Gründen des Strukturschutzes oder der mikropolitischen Gemengelage aufrechterhalten werden. Nicht selten erfüllt die Latenz – also der Umstand, dass vieles abgedunkelt und verschwiegen wird – eine wichtige Funktion für die Organisation: Sie schützt jene verborgenen, kreativen Praktiken, die dabei helfen, den Laden am Laufen zu halten, wenn das formal Verregelte wieder einmal an seine Grenzen stößt. Beispiel: Da nutzen Mitarbeitende unter dem Radar von Management und IT-Sicherheit bestimmte Tools, um dem Problem beizukommen, dass die offiziellen Kommunikationswege im Unternehmen nur einen sehr zähen, umständlichen Austausch erlauben. Solche im Dunkeln liegenden Praktiken können mögliche Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der Organisation sein. Allerdings nur unter der Voraussetzung, dass sie nicht länger im Dunkeln liegen, sondern dass man über sie spricht.

Genau hier kommt die Managementmode ins Spiel: Das Andocken an Managementmoden nämlich kann Möglichkeiten bieten, bisher Latentes, das man sich kaum traute, mit der Greifzange anzupacken, offiziell zum Thema zu machen. Etwa, indem abweichende Praktiken unter dem Imperativ des „Einfach mal machen!“ als Keimzelle für Innovation gefeiert werden. Die Bezugnahme auf Managementmoden kann auch dabei helfen, schon vorhandene Ideen zur Organisationsgestaltung endlich zum Fliegen zu bringen. Nicht selten sind Verkantungen und Verregelungen organisationaler Strukturen schon lange bekannt. Und dennoch gelingt es nicht immer, sie zu verändern – insbesondere dann, wenn das organisationale Machtgefüge der Veränderung entgegensteht. Der bloße Diskurs über Managementmoden kann zwar noch keine Machtstrukturen ändern. Doch liefert die Mode zumindest einen Anlass, über den Status quo der Organisation zu reflektieren. Und vielleicht gelingt es durch ihre Strahlkraft auch, zusätzliche Verbündete zu mobilisieren, die angestrebten Veränderungen bisher eher indifferent gegenüberstanden.

Man sollte Managementmoden also genauso wenig in Grund und Boden verdammen, wie man ihnen blindlings folgen sollte. Es geht vielmehr darum, eine eigenständige Perspektive ihnen gegenüber zu gewinnen und sie nicht allein über ihren sachlichen Inhalt zu bewerten. Unternehmen, denen dies gelingt, eröffnen sich damit jedenfalls oft unerwartete Entwicklungschancen.

<strong>Jens Kapitzky …</strong>

Jens Kapitzky …

… ist Senior Consultant bei der Unternehmensberatung Metaplan, leitet die Metaplan Academy und ist Mitherausgeber des bei Franz Vahlen 2021 erschienenen Buches „Postbürokratisches Organisieren“. Kontakt: www.metaplan.com

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