Ingo Hamm in Speakers Corner
Ingo Hamm in Speakers Corner

„Der Focus Friday verbessert nichts“

​Endlich mal in Ruhe arbeiten, ohne ständig in Meetings sitzen zu müssen. Endlich mal wegschaffen, was die Woche über so alles liegen geblieben ist. Mit diesen Verheißungen lockt ein neuer Trend in der Arbeitswelt: der Focus Friday. Aber ist solch ein Tag wirklich ein Segen oder doch nur ein Symptom tieferliegender Probleme? Wirtschaftspsychologe Ingo Hamm fürchtet Letzteres.​

„It's just another manic Monday – I wish it was Sunday – Cause that's my fun day.“ Kommen Ihnen diese Lyrics aus den 80er-Jahren bekannt vor? Würde ihr Urheber, Prince, noch leben, er hätte auch der Erfinder eines topaktuellen Chart-Hits namens Focus Friday sein können. Schon vor fast 40 Jahren schien das Musik-Genie die Auswüchse der Arbeitswelt erahnt zu haben, als er mit „Manic Monday“ einer befreundeten Band zu Weltruhm verhalf. Prince wäre mit seiner Arbeitsmoral und dem fordernden Umgang mit seinen Bands wohl ein glaubwürdiger Erfinder moderner Work-Life-Alliterationen gewesen. Was hätte er noch alles groß rausbringen können – Evergreens wie Topic Tuesday, Woke Wednesday oder Slavish Sunday …

Nun ist, auch ohne Prince, der Focus Friday geboren und durch SAP ins Rampenlicht der New-Work-Bühne gestellt worden. Europas größter Softwarekonzern räumt seinen Mitarbeitenden „mehr Freiraum vor dem Wochenende ein“. Konferenzen, ob online oder analog, sollen am Focus Friday nicht stattfinden. Stattdessen könnten am letzten Tag der Arbeitswoche noch dringende Aufgaben vor dem Wochenende erledigt werden, wie es Personalchef Cawa Younosi in einer internen Mitteilung in Worte fasste.

Die Idee des Focus Friday ist im Grunde der „autofreie Sonntag der New-Work-Ära“, wo wir gemütlich mit unserem Fahrrad über die Arbeitsautobahn radeln, ohne den ganzen unterwöchigen Schwerlastverkehr rechts von uns und ohne die lichthupenden Chefs links. Einfach mal Freiraum für ruhiges, entspanntes Arbeiten! Oder will ein Focus Friday doch eher den Ironman-artigen Endspurt vor dem Wochenende fördern, wie Younosis Worte womöglich auch erahnen lassen?

Zweifel, mindestens Fragen sind erlaubt, wenn es um den Focus Friday geht. Vor allem die Frage, ob eine verordnete Arbeitsweise pro Wochentag nicht der Widerspruch schlechthin zum großen Wunsch nach Selbstbestimmung ist. Brauchen wir so viel Struktur und Vorgaben zur Gestaltung unserer Arbeit? Das erinnert doch an die viel gescholtene Verbotskultur des Veggieday: statt mehr Gemüse halt mehr Fokus. Aber eigentlich ist es ein trojanisch eingeführtes Fleisch- bzw. Meeting-Verbot, ohne es beim Namen zu nennen.

Ohne Zweifel beklagen viele Arbeitskräfte der Kategorie „White Collar“ zu viele Meetings, die sie von der eigentlichen Tätigkeit abhalten und die als eine Ursache der zunehmenden Entfremdung von der Arbeit gelten. Aber gerade die Zumutung der Corona-Zeiten und die anschließende Rückkehr in alte Arbeitskontexte haben doch gezeigt, dass wir uns nach Büro, nach Kollegen sehnen. Dass wir den Austausch suchen und es leid sind, über streichholzschachtelgroße Videokacheln einen Teamspirit entwickeln zu sollen. Da erscheint es fast paradox, dass wir den Austausch suchen, aber das Meeting meiden.

Doch Meetings haben einen schlechten Ruf als Zeit- und Nervenfresser. Das allerdings liegt vor allem an ihrer mangelhaften Umsetzung. In vielen Unternehmen sind Meetings der Kristallisationspunkt einer ausufernden Diskussions- und Debattenkultur, in der man nach dem Motto verfährt „Es wurde schon alles gesagt, nur nicht von mir“. Meetings geben sich einen Anstrich von Demokratie – und deswegen gipfelt in ihnen oft auch die misslungene Umsetzung von New Work. Dann nämlich, wenn bei zu vielen Themen zu viele Leute zu viele Prozesse miterfinden oder Dinge infrage stellen, ohne dass dafür Rollen, Ressourcen oder gar Kompetenzen vorhanden wären. Ist man – gemessen an der Meeting-Aversion – vielleicht schlichtweg genervt, dass nicht einfach einmal etwas durchgezogen wird, ohne dass man es zerreden muss? Wenn dem so ist, wäre statt des Focus Friday allerdings eher eine Revolution vonnöten, die man „Minimal Meeting“ taufen sollte: eine Besprechung mit Teilnehmerbegrenzung, Stopp-Uhr, Smartphone-Verbot, Protokoll und verbindlicher Ergebnisnachverfolgung. Das wäre statt eines Focus Friday ein sinnvoller Meeting-Fokus für jeden Tag der Woche, durch mehr Ergebnisverpflichtung und Verantwortungsübernahme.

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Man kann die Erscheinung des Focus Friday aber auch zum Anlass nehmen, noch grundsätzlicher zu fragen: Brauchen wir tatsächlich Meetings zur Sachklärung? Oder wollen wir uns bei diesen Anlässen im Grunde eher sozialen Instinkten hingeben? Etwa um zu sehen, wer mit wem gut kann, wer welche Standpunkte offenlegt, wer wie viel Ellenbogen ausfährt? Vielleicht liegt das Meeting als „Pokerrunde mit Charts“ (statt Spielkarten) schlichtweg in der menschlichen Natur. Aber wenn dem so ist, dann würde man solche Sozialtreffen doch besser gleich in Kantine und Kaffeeküche transferieren. Dort würden sie auf die Pausenzeit angerechnet – und es würde sich vermutlich klarer zeigen, wer bereit und willig ist, dafür Zeit zu investieren.

Ganz nebenbei muss man in puncto Focus Friday auch den Branchenkontext berücksichtigen. So mag ein solcher Tag gut für Coder und andere Desktop-Spezialisten sein, die hoch konzentriert und teils isoliert arbeiten müssen, können, dürfen. Da macht es auch keinen Unterschied, ob der Coder gerade am Firmentisch, am Küchentisch, auf dem Hausboot oder auf Teneriffa sitzt. Aber die meisten Menschen brauchen in ihrem Arbeitsalltag Struktur, Prozesse und Unterstützung durch Abstimmung und Klärung im Kollegenkreis. Wenn dies an einem Focus Friday plötzlich als Ablenkung von der „eigentlichen Arbeit“ gilt, ist ihnen nicht geholfen.

Motivation bei der Arbeit funktioniert nicht über Verbote des Unerwünschten, sondern über die Verbesserung des Erwünschten. Es ist nicht der Veggieday mit dem Vorenthalten von Fleisch, sondern die gesteigerte Attraktivität des Vegetarischen, die Menschen dazu bringen kann, das Fleisch wegzulassen. Dementsprechend ist es nicht der Focus Friday, der grundlegende Probleme der Arbeitswelt aus dem Weg schafft. Er ist höchstens ein Signal dafür, dass offenbar etwas gründlich schiefläuft bei Kooperation und Führung.

Dass sich Mitarbeitende – vielleicht zu Recht – einfach mal Ruhe und Konzentration wünschen, ist womöglich eine normale Reaktion auf neoprekäre Arbeitsumgebungen in Form von schicken Großraum-, äh, Coworking-Büros, die man sich ironischerweise vor Kurzem (nach zweijährigem Mega-Fokus am heimischen Küchentisch) noch herbeigesehnt hat. Und in einigen Betrieben mögen Mitarbeitende auch deswegen einen Überdruss an Meetings empfinden, weil die Führungskultur schlecht ist: Wenn der Sinn der Meetings offenkundig darin besteht, einer Führungskraft die Gelegenheit zu geben, Autorität und Durchgriff live über Insignien und Gesten der Macht zu demonstrieren.

Vielleicht vermengen sich im Focus Friday aber auch zwei weitere Themen, die zweifellos verbessert werden müssen: die Vereinbarkeit von Arbeit mit allem anderen im Leben und der Wunsch nach Sinnfindung, nach persönlicher Erfüllung durch die Tätigkeit an sich. Denn, machen wir uns nichts vor: Die Ungestörtheit von Fokus-Freitagen werden manche Knowledge Worker auch mehr oder weniger in Privatheit umwandeln, also sie der Familie widmen, Einkäufe, Wäsche, Rasenmähen erledigen und dabei mit ruhigem Gewissen sagen können: „Ich hab‘ trotzdem gearbeitet und war ja auch erreichbar.“ Ein Phänomen, so alt wie das Homeoffice selbst, ob man es nun als unlauter betrachtet oder als angesichts der Umstände nötige Ausflucht. Ist der Focus Friday vielleicht auch nur eine verdeckte Scheinlösung für das Problem? Auf jeden Fall bräuchte es eine ehrliche Auseinandersetzung damit, wie viel wir überhaupt arbeiten wollen, ja müssen, und wie viel Freizeit wir uns leisten können. Das ist genauso wie beim autofreien Sonntag oder dem aktuell oft diskutieren Tempo-Limit: Es geht nicht um Spaß oder Spaßverzicht. Es geht darum, wie viele Ressourcen wir haben und wie wir diese einsetzen, damit am Ende dabei etwas Gutes herauskommt.

Bei Blue Collar Workern ist es meist selbstverständlich: Es geht darum, ein Endprodukt hinzubekommen; am Ende des Tages muss die Wand stehen, der Kunde bedient sein. Und genau das ist es auch, was am Ende alle zufrieden und glücklich macht – die Kunden wie auch diejenigen, die für sie arbeiten und hinterher etwas empfinden, das man Werkstolz nennt. Auch angesichts dessen ist der Focus Friday fast ein Hohn. Zumindest dann, wenn er darauf hinausläuft, dass an diesem Tag in aller Ruhe neue Konzeptpapiere geschrieben werden, nur um dann am Montag im Früh-Meeting wieder zerredet zu werden.

<strong>Ingo Hamm …</strong> 

Ingo Hamm … 

… war McKinsey-Berater und arbeitete danach in einem internationalen Konzern. Heute ist er Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Darmstadt und unterstützt als Berater den Wandel in Organisationen. Kontakt: www.ingohamm.com

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