Der moderne Beschäftigte ist ein Tausendsassa: Er ist durchsetzungsstark und gleichzeitig einfühlsam, selbstgesteuert wie teamorientiert, trägt Konflikte souverän aus, wobei er sie durch sein mediatives Geschick vorher natürlich bereits im Keim erstickt hat. Die Liste der Erfolgskriterien im Job, die in Karriereratgebern, Stellenausschreibungen, Assessment-Centern oder Seminaren kontinuierlich kolportiert werden, ist so diffus wie lang.
Sowohl Soziologen als auch Sozialpsychologen gingen lange Zeit davon aus, dass die Menschen solche Vorgaben lediglich als Regieanweisungen nutzen, um ihr Rollenspiel zu perfektionieren. Dass diese sich auch auf die Identität auswirken könnten, stand nicht zur Debatte. Der Grund: 'Die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale, also die, über die sich ein Mensch identifiziert, galten mit dem Erreichen des mittleren Erwachsenenalters als praktisch unveränderlich', erklärt die Psychologie-Professorin Dr. Astrid Schütz von der Universität Chemnitz.
Diese Vorstellung hat sich jedoch gewandelt: 'Die individuelle Identität befindet sich kontinuierlich im Fluss', bringt Schütz die aktuelle Lehrmeinung auf den Punkt. Mittlerweile wird Identitätsfindung als lebenslanger Lernprozess betrachtet, die Beantwortung der Frage 'Wer bin ich?' als dauerhaftes Projekt – womit auch die in der Job-Welt postulierten Persönlichkeitsanforderungen plötzlich in neuem Licht erscheinen. Sie gelten nun als möglicher Störfaktor der Identitätsbildung, was Psychologen bereits mehrfach experimentell bestätigen konnten.
Extras:- Identität, Identitätsentwicklung, Identitätsbildung – Fachbegriffe kurz erklärt
- Literaturtipps: Kurzrezensionen von vier Büchern zum Thema Identität