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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Martin Wehrle aus managerSeminare 299, Februar 2023
Stellen Sie sich vor, ein Teammitglied berichtet ihnen über den Stand eines Projektes. Wissen Sie danach wirklich, was Sache ist? Wie das Projekt läuft? Wie die Zusammenarbeit der Beteiligten funktioniert? Wie das Feeling im und mit dem Prozess ist? Oder ist es nicht wahrscheinlicher, dass Sie maximal einen groben Abriss bekommen, der weitgehend aus Informationen besteht, die Ihnen ohnehin schon bekannt waren?
Die Arbeitswelt wird immer hektischer. Wir alle verkürzen Aussagen, schieben Gefühle beiseite und sind auf Effektivität gebürstet. Dabei gehen nicht nur viele (erst auf den zweiten oder dritten Blick) wichtige Inhalte und inhaltliche Zwischentöne verloren, sondern auch und vor allem Informationen darüber, wie es den Menschen geht. Und dabei ist es gerade der emotionale Zustand, der darüber entscheidet, wie engagiert, konzentriert und kreativ jemand arbeitet.
Was lässt sich also tun, um den Informationsfluss reichhaltiger zu gestalten, oder, konkret, um einen hektischen Report zu vertiefen? Im Coaching greife ich dazu auf die sogenannte Zeitlupen-Methode zurück. Wenn mir jemand in gehetztem Tempo von einer Szene erzählt, etwa einem Meeting, frage ich ihn: „Mal angenommen, ich könnte eine Zeitlupe der Situation sehen, was würde ich dann wahrnehmen?“ Allein die Vorstellung, eine Zeitlupe zu sehen, entschleunigt hektische Erzählende. Nun werden sie gezwungen, genauer hinzuschauen und sich mit den Details zu befassen. Automatisch sprechen sie langsamer. Oft kommen wertvolle Informationen ans Licht, über die eine rasche Erzählung hinweggegangen wäre. Im Führungskontext angewendet, erzählt ein Teammitglied dann etwa nicht nur, dass eine Sitzung „mal wieder schwierig war“, sondern schildert genau, welche Reibungspunkte es gab. Damit entsteht ein konkreteres Bild der Situation.
Der zweite Schritt der entschleunigenden Vertiefung besteht darin, den Fokus auf die Gefühle des Gegenübers zu lenken. Zum Beispiel: „Du hast gesagt, dass die Entwicklungsabteilung den anvisierten Termin infrage gestellt hat. Was hast du in diesem Moment empfunden?“ Es ist verblüffend, wie oft Menschen sich ihrer Gefühle zunächst gar nicht bewusst sind. Aber wenn sie danach suchen, kommt oft Erhellendes ans Licht, etwa: „Ich glaube, ich habe mich geärgert. Denn ich kenne es schon, dass die Entwickler sich querlegen.“ Oder: „Ich habe mich unglaublich gestresst gefühlt, denn es gibt doch schon genug andere Probleme.“ Oder: „Es hat mich traurig gemacht, dass ich mal wieder das alleinige Zugpferd sein muss.“
Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob jemand verärgert, gestresst oder traurig ist. Der Ärger kann zu Konflikten im Team führen. Der Stress kann die Leistungsfähigkeit mindern und Flüchtigkeitsfehler begünstigen. Und die Traurigkeit kann sich bis zu einem Burnout oder einer Depression hochschaukeln. Darum ist es so wichtig, dass Sie die Gefühle Ihrer Teammitglieder kennen – und darüber sprechen, was sich auf konstruktivem Weg unternehmen lässt.
Bei der Anwendung der Zeitlupen-Methode ist es wichtig, darauf zu achten, selber die Entschleunigung zu verkörpern. Sprechen Sie langsam, hören Sie gründlich zu und stellen Sie in aller Ruhe Nachfragen, bis Sie wirklich wissen, was Sache ist. Solche Gespräche sind nicht nur bereichernd in der Sache, sondern stabilisieren das Verhältnis zu anderen Menschen. Denn Zeit ist das kostbarste Gut, das Sie anderen heute schenken können. Jedes Gespräch dieser Art transportiert Wertschätzung.
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