Lernen

Expedition 92

Das Fliegende Klassenzimmer im Cyberspace

'Expedition 92 - Aufbruch in neue Lernwelten' hieß der Kongreß in München, der sich mit dem Untertitel 'Größte Zukunftswerkstatt Europas' schmückte. Dort schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis unsere Schulen und Ausbildungszentren neben Bücherei, Aula und Turnhalle über ein volldigitalisiertes 'fliegendes Klassenzimmer' verfügen: Ein Raum zum Abheben mit pädogogischem Segen. Ein gehirngerechtes Lern-Environment zur Erkundung virtueller Realitäten. Ein fachübergreifendes Labor für alle Sinne, on-line vernetzt mit Datenbanken, Lehrern und Mitschülern aus aller Welt.
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Die Möglichkeiten sind vorhanden und werden nicht zuletzt deshalb genutzt, weil die klassische Form des Lernens über ein Thema - gerader Sitz und Augen stramm am Text - sich erschöpft hat. Stichwort: Büffeln adé. Abgelöst wird es durch ein bewegliches Lernen im Thema und offene Interaktion mit dem Thema. Wenn auf dem Lehrplan 'Dinosaurier' steht, wird nicht wie ehedem ein Schaubild entrollt, sondern dann setzen Schüler und Schülerinnen ihre Cyberspace-Datenhelme auf und tummeln sich in der dreidimensionalen, hochauflösend simulierten Dino-Welt, bis sie sich in der Ökologie des Mesozoikums so gut auskennen wie in einem Videospiel. Stichwort: Learning by doing. Mit ein paar Eingaben am Steuerpult kann, wer will, sogar erfahren, wie es sich anfühlt, selbst ein Dinosaurier zu sein, und mit dicken Schenkeln durch vorzeitliche Dschungel zu stampfen. Stichwort: Learning by being. Nach der großen Pause geht es weiter mit der Lerneinheit 'Mittelalter'. Die Schüler werden flugs in dasselbe versetzt, um - vielleicht als virtuelle Minnesänger oder Burgfräulein - dem Kaiser Barbarossa über die Schulter zu schauen. Stichwort: digital, aber historisch. Nächste Stunde Chemieunterricht, gleicher Ort, neue Software. Jetzt schieben die Schüler in einer lebensgroßen Simulation Wasserstoff- und Sauerstoffatome herum, bis daraus ein Wassermolekül wird. Stichwort: Ich bin ganz in meinem Element! So könnte die Zukunft der elektronischen Lernmedien aussehen. Vielleicht. Zeit, sich an die graue Vorzeit, an die Ahnen zu erinnern.

'Heute gibt's einen Schulfilm!' Schon die Ankündigung versprach ein Erlebnis von besonderem Reiz. Das Klassenzimmer wurde verdunkelt, was verschärfte Albereien auf den Bänken ermöglichte, der Lehrer blühte auf, weil er sich an gefahrvoll ratternden Projektoren bewähren durfte, und die Schüler konnten sich mit etwas Fantasie der Vorstellung hingeben, sie säßen im Kino, fast wie im echten Leben. Daß statt edlem Kampf und süßen Küssen zwischen Cäsar und Cleopatra die Pollensammlung der Arbeitsbienen über die Leinwand flimmerte, beziehungsweise der Kampf des Försters gegen den Borkenkäfer, strikt in schwarz weiß, war bedauerlich, aber hinnehmbar. Stimmungsmäßig lag eine solche Veranstaltung doch weit über dem Normalmaß einer frontal unterrichteten Biologiestunde…
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