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DGFP Kongress 2015

Digitaler Traum und digitales Trauma

Berlin, hippe Locations, ein brandaktuelles Thema: Die Deutsche Gesellschaft für Personalführung hatte für ihren Kongress 'zur digitalen Transformation von Unternehmen' alle Register gezogen. Doch die Veranstaltung Ende Februar 2015 zeigte: Für Personaler ist die Digitalisierung immer noch mehr Trauma als Traum.

'Das Thema ist komplex, und wir haben wenig Zeit.' Es waren apodiktische Worte, mit denen Gerhard Rübling die Teilnehmer des DGFP-Kongresses am Morgen des zweiten Veranstaltungstages auf das Programm einstimmte. Man konnte den Vorstandsvorsitzenden der Personalerorganisation gut wörtlich nehmen: Eineinhalb Tage sind nicht viel, um die aufgeworfenen Themen aus dem Programmheft zu diskutieren – angefangen von der Informatisierung der Fertigungstechnik (Stichworte: Industrie 4.0, 3-D-Drucker) über Algorithmen, die menschliche Entscheidungsprozesse verkürzen oder gar ersetzen, bis hin zu digitalisierten Wissensarbeits- und Kollaborationsprozessen.

Rüblings Worte waren allerdings auch im übertragenen Sinne unmissverständlich: Die deutsche Wirtschaft steht unter Druck. Sie muss ihre Geschäfts- und Arbeitsprozesse digitalisieren, um kundenorientierter und schneller arbeiten zu können und damit auf volatilen Märkten Bestand zu haben. 'Deutschland muss versuchen, wieder den Anschluss zu bekommen', sagte der DGFP-Chef. Offensichtlich teilten die Kongressbesucher diesen Eindruck. Jedenfalls hatte die Veranstaltung mit 400 Besuchern wieder deutlich mehr Teilnehmer als im vergangenen Jahr beim Thema Globalisierung.

Besser keine Digitaltherapie für die Personaler

Dass die Brisanz des Themas erkannt worden war, hieß allerdings nicht, dass alle froh waren, sich damit beschäftigen zu dürfen. 'Man hat ja eigentlich keine Chance, da nicht mitzumachen', 'Wir sind eher getrieben, als dass wir treiben', waren Töne, die im Publikum wie auf dem Podium zu vernehmen waren. Vor allem im Auftakt machte der Kongress nur wenig Lust auf die digitalisierte Zukunft. So sprach zum Start am ersten Kongressabend in der Factory, dem kultigen Gebäude aus der Industrie-1.0-Ära, Anitra Eggler die erste Keynote. Bekannt geworden durch Bücher wie 'Facebook macht blöd' und 'E-Mail macht dumm' wurde die selbst ernannte Digitaltherapeutin nicht müde, die Auswüchse einer digitalen Lebenswelt zu beschreiben. Mitarbeiter, die unproduktiv vor dem Rechner sitzen, weil sie auf das Aufpoppen der nächsten Mail warten, Paare, die zusammen im Restaurant sitzen und statt sich zu unterhalten, ein Foto vom Essen posten. Wären wir heute 75 Jahre alt, so rechnete sie vor, hätten wir acht Jahre mit dem Handy verbracht, sechs Jahre im Internet und gar acht Monate nur mit dem Löschen von Mails. Demgegenüber stehen ganze 14 Tage mit Küssen. Egglers Ausführungen ließen keinen Zweifel: Es gibt zwei Welten, eine digitale, die ist böse, eine analoge, die ist gut.

HR hinkt noch hinterher

Ein etwas unglücklicher Auftakt also für einen Kongress, der sich das Ziel gesetzt hatte, den bislang eher skeptischen Blick der HR-Szene auf die Digitalisierung zu verändern. Die Personaler be­­trachteten das Thema bislang viel zu sehr unter Gefahrengesichtspunkten, rügte etwa Jörg Rumpf, Vice President Leadership Transformation der Hay Group GmbH. Die Folge: 'HR hinkt hinterher und droht den Anschluss zu verlieren.'

Tatsächlich drohte auch dem Kongress zunächst, den Anschluss ans eigene Thema zu verlieren. Vom beinahe atemlosen Parforceritt durch digitale Vorzeigeunternehmen bis hin zum weiten Feld der Sorgen und Risiken reichten die ersten Diskussionen am zweiten Veranstaltungstag im hippen Berliner E-Werk. Big Data, ein in der Öffentlichkeit ohnehin hoch umstrittenes Thema, stand auf der Agenda: Können Algorithmen Managemententscheidungen wirklich optimieren? Die Diskutanten zeigten sich skeptisch. Schließlich gelang dem Netzaktivisten und Journalisten Markus Beckedahl eine wohlwollende Zusammenfassung: 'Big Data kann dann positiv genutzt werden, wenn Transparenz statt Vertuschung herrscht.' Freilich müssten die Unternehmen dafür wissen, was sie mit den Daten, die sie sammeln, anfangen wollen. Und freilich müssten sie über die Verwendung offen informieren.

Beispiele für die positive Nutzung von Big Data im Unternehmen nannte später am Tag noch Google-Personalvorstand Frank Kohl-Boas: Mit den Krankheitsdaten von Mitarbeitern könnte man zum Beispiel feststellen, unter welchen Führungs- und Arbeitsbedingungen besonders viele erkranken. Und so erfüllte sich im Laufe des Tages die Losung, die DGFP-Geschäftsführerin Katharina Heuer ausgegeben hatte: 'Wir sollten stärker die Chancen sehen, und nicht nur die Risiken diskutieren.'

Mit der Digitalisierung gegen das Demografie-Gap

Die inhaltliche Wende des Kongresses gelang mit Wilhelm Bauer. Nach bereits einigen Diskussionsrunden, die zwar unterhaltsam Meinungen transportierten, aber an inhaltlichem Tiefgang vermissen ließen, sprach der Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation der Universität Stuttgart, eine ebenso aufrüttelnde wie unaufgeregte Keynote. 'Computer machen die Arbeit. Was machen wir?', fragte er rhetorisch in die Runde und nährte damit die Befürchtungen, dass aufgrund der Automatisierung von Arbeitsprozessen in den kommenden Jahren womöglich 40 Prozent aller Jobs wegbrechen. 'Vor allem Jobs im mittleren Qualifikationsbereich, etwa in der Facharbeit und Sachbearbeitung', erläuterte Bauer. Doch er sah keinen Grund zur Beunruhigung: 'Dafür werden auch viele neue Jobs entstehen', betonte der Forscher. Die Digitalisierung könnte sogar helfen, das Gap zu schließen, das durch die in Rente gehenden Baby-Boomer entsteht, so der Wissenschaftler, Bezug nehmend auf eine Aussage des VW-Personalvorstands Horst Neumann. Der HR-Gilde riet Bauer zu 'weniger Schiss' und 'mehr Mut, Dinge auszuprobieren'.

Sein Rat hatte einen wissenschaftlichen Hintergrund. Denn Studien zeigen, so Bauer, dass vor allem diejenigen, die bereits mit digitalen Technologien vertraut sind, deren Wert zu schätzen wissen. Auf dem Kongress stellte Hans Peter Klös eine solche vor. Der Geschäftsführer des Instituts der Deutschen Wirtschaft präsentierte Ergebnisse einer Erhebung unter 1.400 deutschen Betrieben. Das Auffälligste daran: Zwar hat bislang erst ein Drittel der Firmen digital aufgerüstet, aber genau dieses Drittel ist auch hoch optimistisch hinsichtlich des Nutzens, den ihm die Digitalisierung bringt. 'Wer sich auf den Weg macht, sieht die Chancen', lautete denn auch Klös’ Appell.

Digitale Transformation bedeutet soziale Transformation

Dass es für das HR-Management höchste Zeit ist, sich auf den Weg zu machen, war u.a. die Meinung von Frank Kohl-Boas. Der Head of Human Resources von Google beschwor seine Kollegen eindringlich: 'Sie müssen das digitale Gen in die Unternehmens-DNA einbauen.' Denn die Digitalisierung von Geschäfts- und Arbeitsprozessen ist nicht nur ein technisches, sondern vielmehr auch ein soziales Thema. 'Sie wird ohne eine soziale Transformation nicht gelingen', zeigte sich DGFP-Vorstandschef Rübling überzeugt.

Wie diese Transformation aussehen kann, erfuhren die Teilnehmer in einer Talkrunde, die von Stephan Grabmeier moderiert wurde. 'Unternehmen brauchen ein neues Betriebssystem', formulierte der Experte für digitale Unternehmenskulturentwicklung und forderte dazu auf, die bisherige Trennung unseres Managementsystems in Denkende und Handelnde aufzugeben. Firmen müssten vielmehr Möglichkeiten für die Mitarbeiter schaffen, sich jenseits von Top-down-Strukturen zu vernetzen und kollektiv-partizipativ jenseits hierarchischer Vorgaben zusammenzuarbeiten.

Dass es bereits Unternehmen gibt, die diesen Weg beschreiten, zeigte der Kongress ebenfalls. Christina Schlichting von VW berichtete etwa vom Münchener Data Lab des Konzerns, einem Inkubator, in dem VW-Mitarbeiter, aber auch Vertreter von Forschungseinrichtungen und anderen Betrieben interdisziplinär mittels eines Social Collaboration Tools zusammenarbeiten. Rüdiger Schönbohm von Bosch präsentierte ein Enterprise-2.0-Projekt, bei dem sich die Mitarbeiter im Konzern vernetzen und in Tausenden Communitys jenseits ihrer Abteilungssilos an Projekten zusammenarbeiten können.

Führung als 'lustvoller Kontrollverlust'

Für HR gibt es also reichlich Arbeit. Etwa die Qualifikation der Mitarbeiter in der emanzipierten Nutzung von digitalen Medien und Big Data. Die Unterstützung des Managements bei der Herausbildung einer neuen Führungskultur. Die Veränderung von Be­­wertungs- und Feedback-Strukturen bei flexibel arbeitenden Mitarbeitern. Sabine Josch, Personaldirektorin beim Versandhändler Otto, beschrieb Führung in der digitalen Welt etwa als 'lustvollen Kontrollverlust'.

Klar wurde beim Kongress aber auch: Die neuen Formen von Führung und Zusammenarbeit werden die alten, bisher praktizierten nicht ersetzen, nur ergänzen. 'Unternehmen müssen Wege finden, zwischen beiden Welten hin- und herzuwechseln', resümierte Stephan Grabmeier: der hierarchischen Welt der Exekution und der kreativen Welt der Kollaboration. Zwischen der analogen Welt der persönlichen Kontakte und der digitalen Welt der Mensch-Maschine-Beziehungen.

Reibungslos wird der Wandel nicht vonstatten gehen. Dass HR-Manager den Wandel gestalten können, ohne anzuecken, glaubte Sirka Laudon ohnehin nicht. Die Leiterin Personalentwicklung bei Axel Springer, einem Medienkonzern, der die Digitalisierung einschließlich Kulturwandel im eigenen Haus bereits weit vorangetrieben hat, räumte auf mit vielen Mythen, die in der Personalerwelt herumgeistern. Allen voran mit dem Mythos, dass Wandel ganz viel Zeit braucht. Das saß. Denn, um noch einmal DGFP-Chef Rübling zu zitieren: Wir haben nur wenig Zeit.
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