Vor einem Jahrzehnt wurden sie als Revolution in der Managerausbildung verkauft. Wie jeder Hype flachte allerdings auch der um die neu gegründeten Corporate Universities ab. Viele CUs schafften es nicht, ihre hochgesteckten Ziele zu erreichen. Doch es gibt auch Positivbeispiele. Annette Gebauer hat sich in einer Studie auf die Suche nach Ursachen für Gedeihen oder Verkümmern der Firmenunis gemacht.
Frau Gebauer, als Corporate Universities in Deutschland vor gut zehn Jahren in Mode kamen, wurden sie als Nonplusultra der Managerweiterbildung gepriesen. Aus heutiger Sicht: zu Recht?Annette Gebauer: Ein solcher Hype ist nie gerechtfertigt. Es scheint dann immer so, als könnten mit einer einzigen, scheinbar optimalen Lösung zig Probleme auf einen Schlag gelöst werden. Dies ist natürlich unrealistisch. Besonders wenn alle Unternehmen über einen Kamm geschoren werden. Auch die Corporate-University-Idee versprach Erfolg für jedes Unternehmen, ganz ungeachtet seiner Geschichte, seiner Traditionen, seiner Kultur. Gerade diese Faktoren beeinflussen aber, wie sich ein Unternehmen mit Neuem beschäftigt, also wie es lernt.
In Ihrer Untersuchung stellen Sie fest, dass es zwei unterschiedliche Einführungsstrategien von Corporate Universities gibt. Welche Strategie hat sich auf lange Sicht bewährt, welche als wenig Erfolg versprechend erwiesen?Gebauer: Viele Unternehmen starteten mit einem zentral-intentionalen Vorgehen, wie es von der Managementliteratur empfohlen wurde. Man orientierte sich an Benchmarks und verfolgte einen hohen strategischen Anspruch. Dazu muss man wissen: Anders als die US-amerikanischen Vorbild-CUs, wollten deutsche Corporate Universities nicht nur die Strategieumsetzung durch gezieltes Mitarbeitertraining und eine strategisch-ausgerichtete Managemententwicklung unterstützen. Sie wollten vielmehr selbst Impulse liefern, um den Prozess der Strategieentwicklung zu gestalten und die Lernfähigkeit des Unternehmens nachhaltig zu erhöhen. Die CU-Idee in Deutschland ging damit weit über Fragen der Managemententwicklung oder Mitarbeiterqualifizierung hinaus. Es ging um die Veränderung der Kommunikationsstrukturen, die eng mit Lernprozessen verzahnt werden sollten.
Ein sinnvolles Anliegen, oder?Gebauer: Aus theoretischer Sicht und langfristig betrachtet schon. Praktisch aber ist dieser Anspruch nicht von heute auf morgen zu realisieren. Die Entwicklungsmechanismen einer Organisation, also die Art und Weise, wie sie neue Impulse mittels Entscheidungen verarbeitet, sind Schritt für Schritt entstanden und lassen sich auf dem Reißbrett weder planen noch brechen. Dies mussten Corporate Universities, die zentral-intentional implementiert wurden, erst schmerzlich erfahren. Meine Rekonstruktion der Entwicklungsverläufe zeigt, dass gerade Corporate Universities, die ganz nach Lehrbuchmeinung mit einem hohen strategischen Anspruch starteten, schnell mit Brüchen zu kämpfen hatten. So führte zum Beispiel der Verlust des Sponsors im Vorstand oder massive Widerstände aus den dezentralen Bereiche zur organisationalen Niederstufung der Corporate University oder zu radikalen Zielkorrekturen, die aus dem strategischen Partner irgendwann einen bloßen Dienst-leister machten. Am Ende stabilisierte dieses Einführungsvorgehen eher vorhandene Entwicklungsmuster als neue einzuführen.
Es hat sich also als geschickter erwiesen, zunächst tiefer zu stapeln?Gebauer: Besser fuhren offenbar tatsächlich jene Unternehmen, die bei der Einführung ihrer Corporate University ein offen-organisches Vorgehen wählten. Das bedeutet: Sie starteten klein, mit einem guten Gespür dafür, was man der eigenen Organisation zumuten kann und was anschlussfähig ist. Diese Corporate Universities entwickelten sich in der Regel erfolgreicher. Auch die Unternehmen, die zu-nächst mit einer zentral-intentionalen Einführungsstrategie starteten, lernten oft aus ihren Anfangsschwierigkeiten und änderten ihr Verhalten. Langsam reift das Bewusstsein für die eigene Systemevolution. Man hat erkannt: Der Anspruch einer CU muss zur jeweiligen Organisationsrealität passen. Eine Corporate University muss ein Kunststück vollbringen: Einerseits muss sie da ansetzen, wo die Organisation gerade steht - zum Beispiel bei einer hierarchischen, kontrollorientierten Führungskultur. Gleichzeitig muss sie etwas dafür tun, um Alternativen zu diesem Muster aufzuzeigen, die das etablierte Entwicklungsmuster stören. Sie muss in der Organisation eine diagnostische Funktion erfüllen und sich ins Spiel bringen, ohne selbst zum Spielball zu werden.
Wie gelingt der Corporate University das? Gebauer: Die CU darf sich weder als Erfüllungsgehilfe des Topmanagements noch als Dienstleister der Geschäftsbereiche verstehen. Sie sollte eine neutrale Position im Spannungsfeld zwischen zentralen und dezentralen Interessen einnehmen, um diagnostisch wirken zu können. Sie muss ein Multiplikatorennetzwerk aufbauen, um sich unabhängig von einzelnen einflussreichen Personen zu machen. Außerdem ist Kontinuität in Sachen Führung und Finanzierung ein wichtiger Faktor, weil eine Corporate University Zeit zum Reifen braucht. Viele CUs suchen deshalb den Weg der organisationalen Unabhängigkeit. So gründeten EON oder die ENBW ihre Akademien als eigenständige GmbH aus. Interessant ist auch der Weg von Novartis: Die CU macht sich unabhängig von unternehmerischen Konjunkturschwankungen, indem sie sich durch eine Stiftung finanziert.
Gehen Sie davon aus, dass das Modell der Corporate University eine Zukunft hat?Gebauer: Nach einer Zeit der Frustration und dem dazu gehörenden Wundenlecken erfahren CUs bzw. die Einheiten, die aus den CUs hervorgegangen sind und heute unter anderem Label operieren (wie zum Beispiel bei der Deutschen Bank), heute aus meiner Sicht wieder einen Auftrieb und werden vom Management stärker gefordert denn je. Und nach wie vor gründen Unternehmen CUs, wie zum Beispiel jüngst die ThyssenKrupp Academy. Und auch nicht mehr nur die großen Konzerne interessieren sich für die Idee, sondern auch größere mittelständische Unternehmen beginnen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Diese jungen Einheiten haben natürlich den Vorteil, dass sie von den Pioniererfahrungen lernen können. Aus diesem Grund starten wir am Management Zentrum Witten gemeinsam mit Professor Dr. Rudolf Wimmer unter dem Label 'Denkfabrik Corporate Learning' Werkstätten zum Thema Corporate Learning. In diesen können Corporate-University-Verantwortliche ihre Erfahrungen teilen und diese vor dem Hintergrund eines systemischen Organisations- und Interventionsverständnisses auswerten. Entwicklungsverantwortliche aus Unternehmen sollen so ein tragfähigeres Selbstverständnis entwickeln.
Studie: Einführung von Corporate Universities
Studienziel: Ein kritischer Blick auf die Entwicklungsverläufe von Firmenunis bzw. strategisch angelegten Lernarchitekturen, die in vielen Großunternehmen seit Ende der 90er Jahre eingerichtet worden sind, um deren Selbsterneuerungsfähigkeit zu steigern.
Studiendesign: Qualitative Untersuchung über zweieinhalb Jahre hinweg; Rekonstruktion der Einführungs- und Entwicklungsverläufe zahlreicher CUs großer, international operierender DAX-Unternehmen, gestützt auf 20 offene Leitfadeninterviews sowie vier halbjährliche Gruppendiskussionen mit bis zu 24 verantwortlichen Corporate-University-Leitern. Als weitere empirische Quelle kamen zwei mehrmonatige Beratungsprojekte hinzu.
Ergebnis: Es kristallisierte sich heraus, dass es zwei Einführungsstrategien gab und gibt, die zu unterschiedlichen Entwicklungsverläufen führen: die - in der Regel weniger erfolgreiche - zentral-intentionale und die organisch-offene Einführungsstrategie.