Für alle Fragen rund um unsere Webseite, unsere Medien und Abonnements finden Sie hier den passenden Ansprechpartner:
Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Armin Poggendorf aus managerSeminare 302, Mai 2023
Es gehört zu den Kennzeichen des neuen, agilen Arbeitens, dass hier alle „auf Augenhöhe“ miteinander agieren. Die Zeiten der Über- und Unterordnung sind demnach vorbei. Doch diese Sichtweise lässt eine Konstante außer Acht, die in sozialen Konstellationen immer eine Rolle spielt, auch dort, wo offiziell die totale Gleichheit ausgerufen wird. Die Rede ist von Rangunterschieden.
Rangunterschiede? Das klingt nach alter, angestaubter Arbeitswelt, nach steilen Hierarchien und einem verkrusteten Machtgefälle. Es klingt derart gestrig, dass man es sogar in hierarchischen Kontexten heutzutage gern euphemistisch umschreibt: Wenn dort eine Führungskraft einen neuen Posten antritt, findet man in Pressemitteilungen und Rundmails häufig wohlklingende Formulierungen wie diese: „In seiner Funktion berichtet Herr Müller an Frau Oberdorfer, Bereichsleiterin Einkauf.“ Sogar in Stellenanzeigen ist zu lesen: „Sie berichten an den Leiter der Abteilung Entwicklung.“ Man könnte glauben, dass in deutschen Firmen heute ungeheuer viel berichtet wird – und dass sich die Manager oben ganz schön viel anhören müssen. Doch dass Herr Müller an Frau Oberdorfer „berichten“ soll, heißt natürlich einfach nur: Er ist Frau Oberdorfer unterstellt. Nur mag das heute niemand mehr so deutlich sagen. Dass manche in der hierarchischen Rangordnung eines Unternehmens oben und andere unten stehen, ist zwar immer noch Fakt. Es wird aber gern verschleiert, weil es nicht mehr in den Zeitgeist passt. Rangunterschiede sind in unserer demokratischen Gesellschaft weitgehend tabu, deshalb die kunstvolle Umschreibung „berichten“ für „unterstellt sein“ – selbst dort, wo es offiziell noch eine strikte Hierarchie gibt.
Lässt man in Arbeitskontexten mit flachen Hierarchien das Wort Rangunterschiede fallen, verursacht man bei den Beteiligten erst recht Schnappatmung. Denn dort will man häufig gar nicht erst wahrhaben, dass es solche Unterschiede geben könnte. Schließlich folgt man, wie gesagt, dem Ideal der Gleichrangigkeit aller. Allenfalls wird eingeräumt, dass sich in Teams mit flachen Hierarchien – wenn es wirklich schlecht läuft – die besonders Lauten durchsetzen, die dann die Leiseren, Introvertierten in den Hintergrund drängen. Dafür werden meist Mängel in der Umsetzung der neuen Arbeitsprinzipien verantwortlich gemacht. Dass die Mitglieder jeder sozialen Gruppe – so egalitär sie sich auch aufstellt – grundsätzlich miteinander um ihren Status rangeln, wird dagegen ausgeblendet.
Dabei müsste man es eigentlich besser wissen. Denn selbst in den alten, hierarchischen Kontexten (in denen doch die offizielle Struktur glasklar vorzugeben scheint, wer wem was zu sagen hat) gab und gibt es unter der Oberfläche Statuskämpfe, die sich an ganz anderen Kriterien orientieren als dem offiziellen Organigramm. Ein wichtiges Ordnungsprinzip, das überall anzutreffen ist – egal, wie hierarchisch oder egalitär es dort zugeht –, ist zum Beispiel das des Dienstalters: Wer schon länger Mitglied im Team ist, hat demnach Vorrang vor denen, die gerade erst hinzugestoßen sind, oder glaubt zumindest, dass es so sein sollte. Ein anderes Kriterium ist das der Kompetenz: Wer sachlich und fachlich die meiste Ahnung hat, führt demnach an statt aus, gibt vor statt nach. Je nach Sachlage und Situation können ganz unterschiedliche Rangordnungskriterien zum Tragen kommen. Neben der hierarchischen Ordnung und der Ordnung nach Dienstalter, Lebensalter, Kompetenz und Erfahrung kann zum Beispiel auch die Ordnung gemäß persönlichem Einsatz eine Rolle spielen. Das heißt: Wer sich stärker einbringt, wer mehr beiträgt, mehr Zeit, Energie, Wissen, Können oder Kreativität investiert, hat im Team (oder zumindest im eigenen Bewusstsein) Vorrang vor jenen, die sich weniger einbringen. Auch die Leistung kann ein Ordnungsprinzip sein. Meist zählt weniger, wie engagiert sich jemand einsetzt, als vielmehr das, was dabei am Ende herauskommt.
Teammitglieder bekommen auch deswegen einen höheren oder niederen Rang zugewiesen (beziehungsweise reklamieren einen höheren Rang für sich), weil sie einem bestimmten größeren System (Geschlecht, Religion, ethnische Gruppe …) angehören. Das mag politisch keineswegs korrekt sein, kann aber unterschwellig die Machtverhältnisse beeinflussen. Darüber hinaus kann in einer sozialen Konstellation auch die Ordnung gemäß Eigentum eine Rolle spielen: Wer für eine Organisation das Kapital zur Verfügung stellt, dem verschafft allein dieser Umstand einen besonderen Rang; er oder sie kann sogar Experten vom Platz verweisen. Auch die Ordnung gemäß familiärer Herkunft kann inoffiziell einen höheren Rang verleihen. Dies geschieht zum Beispiel, wenn im Familienbetrieb Nachkommen mit anderen Mitarbeitenden in einer vergleichbaren Stellung arbeiten („Sohn des Chefs“). Viele Beispiele aus flach-hierarchischen Unternehmen zeigen zudem, dass Mitarbeitende einem Firmenchef, der sich neuerdings als „Gleicher unter Gleichen“ verstanden wissen will, dennoch oft hartnäckig einen besonderen Rang zuordnen: Implizit wiegt das Wort des Chefs, der nicht mehr Chef sein will, in Abstimmungsprozessen immer noch schwerer als das von Kollege Müller oder Kollegin Meier.
Jedes einzelne der genannten Ordnungskriterien würde kein Problem darstellen, wenn alle in einem Team das gleiche Kriterium als maßgeblich anerkennen würden. Das ist aber selten der Fall. Stattdessen entstehen Rangeleien und Statuskämpfe daraus, dass die Teammitglieder den Ordnungskriterien eine unterschiedlich hohe Bedeutung geben. Dadurch kommt es zu sogenannten Überkreuzdominanzen. Dazu ein Beispiel: Zwei Teammitglieder liegen im Clinch miteinander, wer von ihnen ein attraktives Projekt leiten soll. Das eine Teammitglied hat sich über lange Zeit höchst zuverlässig in die Teamarbeit eingebracht, alle wissen das. Von dem anderen kann man dies nicht gerade behaupten, aber es ist im Projektbereich besonders kompetent. Beide Teammitglieder leiten aus den Kriterien, die sie persönlich als vorrangig betrachten (persönlicher Einsatz versus Kompetenz), ihren eigenen Dominanzanspruch ab.
Formale Egalität schützt keineswegs vor einem solchen Gerangel darum, wer jeweils vorgibt und wer nachgibt, wer anführt und wer ausführt. Auch in einem Team, das laut Organisationsstruktur aus lauter Gleichrangigen besteht, wird immer eine informelle Struktur entstehen. Also eine soziale Ordnung, die nirgendwo schriftlich fixiert ist, die aber dennoch bestimmt, wie das Geben und Nehmen, das Fordern und Liefern in der Gruppe organisiert wird.
Diesen Umstand auszublenden, ist ein grober Fehler. Es ist viel besser, anzuerkennen, dass es Rangfolgen gibt, und zu lernen, diese im eigenen Team zu erkennen. Dann nämlich lässt sich damit auf produktive Weise umgehen: Erstens, indem man sich gegenseitig Anerkennung zollt. Und zweitens, indem man offen darüber redet, was in Bezug auf eine bestimmte Situation gerade vernünftigerweise mehr zählen sollte. Bei einer wichtigen zu treffenden Entscheidung zum Beispiel: der Umstand, Kapitalgeber zu sein? Oder der Umstand, eine hohe Kompetenz im fraglichen Entscheidungsfeld zu haben?
Die Person, die das Kapital hat, wird die Kompetenz einer Expertin oder eines Experten allerdings viel leichter anerkennen können, wenn man ihr grundsätzlich in ihrer Funktion als Kapitalgeber oder Kapitalgeberin Respekt zollt. Es mag ein wenig schwülstig klingen, aber: Man muss sich tatsächlich gegenseitig voreinander verbeugen, um dann sachlich entscheiden zu können, welches Kriterium im spezifischen Kontext (!) mehr zählen sollte. Dies darf auch in flach-hierarchischen Kontexten nicht vergessen werden.
Sie möchten regelmäßig Beiträge des Magazins lesen?
Für bereits 10 EUR können Sie die Mitgliedschaft von managerSeminare einen Monat lang ausführlich testen und von vielen weiteren Vorteilen profitieren.