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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Dr. Andreas Syska aus managerSeminare 279, Juni 2021
Mit einer Mischung aus Amüsement und Erschrecken sehe ich, wie derzeit viele vermeintliche Digitalisierungsexperten auf einer imaginären Tribüne sitzen und den digitalen Wandel wie eine Sportveranstaltung beobachten. Manche schließen Wetten darauf ab, wer Sieger oder Verlierer sein wird, oder machen Spielanalysen. Andere wiederum rufen gute Vorschläge auf das Spielfeld oder bieten sich als Trainer an. Dabei haben sie nicht verstanden, dass sie selbst Teil des Spiels sind und unterschätzen die Auswirkungen des digitalen Wandels massiv. Denn es geht nicht um die Digitalisierung des Bestehenden, es geht um seine fundamentale Umwälzung. Zu denen, die noch nichts verstanden haben, gehört „HR“. HR steht für Human Resources und labelt Menschen somit als Rohstoffquelle. Genau dieses HR schreibt derzeit eifrig Qualifikationspläne, weil es glaubt, Dirigent des digitalen Wandels zu sein. Dabei ist es dessen erstes Opfer.
HR will wissen, wo und wann Arbeit stattfindet – die Digitalisierung aber beendet die räumliche und zeitliche Begrenzung von Arbeit. HR braucht die Unterscheidung zwischen eigenen Mitarbeitern und denen der anderen – die Digitalisierung jedoch verwischt den Unterschied zwischen intern und extern; der Betrieb im klassischen Sinn wird flüchtigen Netzwerken weichen. HR als stabilisierendes Element starrer Organisationen kann damit nicht umgehen und verliert somit seine Existenzgrundlage. Um diese zu retten, reklamiert es unter dem Brand „Digital Leadership“ die Deutungshoheit über das Digitale, bringt in Wahrheit damit aber nur altbekannte Führungsweisheiten in den Kontext der Digitalisierung. Oder es verlegt sich darauf, den Nutzen der Digitalisierung darin zu sehen, die Bewerberauswahl durch Künstliche Intelligenz oder Bots durchführen zu lassen. Noch ein Indiz dafür, dass HR nichts verstanden hat. Schon das Wort „Recruiting“ ist Ausweis für rückwärtsgewandtes Denken. Rekrutiert werden Befehlsempfänger oder solche, die es werden sollen. Aber nicht die Menschen, die wir zukünftig brauchen. Zumindest dann, wenn wir eine Digitalisierung wollen, die nützlich für den Menschen ist, nicht umgekehrt.
Wenn es für HR ein Trost sein sollte: Andere haben die wahre Bedeutung der Digitalisierung auch noch nicht verstanden. Wo es keine Betriebe mehr gibt, gibt es natürlich auch keine Betriebsräte mehr. Die Digitalisierung bedeutet deren Ende und damit das der Gewerkschaften, da deren Art der Interessenvertretung auf der Präsenzkultur des 19. Jahrhunderts basiert. Nicht, dass Interessenvertretung zukünftig überflüssig wäre, wer aber den hoffnungslosen Versuch unternimmt, die Realität des Digitalen so lange zu verbiegen, bis sie zum eigenen Vertretungsmodell passt, dessen Zeit ist abgelaufen. Wenn zudem dank Blockchain digitale Zahlungsströme in Echtzeit erfasst und gespeichert werden, braucht es auch niemanden mehr, der kontiert – also den Buchhalter. Es braucht niemanden mehr, der das Kontierte addiert, sprich: den Controller. Erst recht braucht es niemanden, der abschließend kontrolliert, ob richtig kontiert und addiert wurde, also den Wirtschaftsprüfer. Es braucht auch niemanden mehr, der kauft und verkauft, da Maschinen Rechtssubjekte sein werden und eigenständig Verträge abschließen dürfen. Schlechte Zeiten also für Verkäufer, Einkäufer, Wirtschaftsjuristen. Was sagt HR eigentlich hierzu?
Die Digitalisierung wird das Bestehende umwälzen. Ihre Fans jedoch argumentieren nur im Kontext des Bestehenden – und HR lässt sich bereitwillig zu deren Handlanger machen. Einem Handlanger, der nicht müde wird, zu betonen, dass bei all dem doch der Mensch im Mittelpunkt stünde. Aber das tut er nicht. Im Kontext der Digitalisierung wird der Mensch als etwas Defizitäres begriffen. Als etwas, das an die Digitalisierung anzupassen ist. So wird er in Kurse geschubst, um dort seinen Digitalführerschein zu machen. Man nennt es Bildung und missbraucht somit diesen Begriff. Das Argument, der digitale Wandel würde nur dann gelingen, wenn alle codieren können, ist Unsinn. Oder ist der Wandel zu einer Industriegesellschaft auch nur deshalb gelungen, weil alle eine Werkzeugmacherlehre gemacht haben? Trotzdem wird den Menschen – auf die Herausforderungen der Digitalisierung verweisend – dauernd gesagt, wie sie arbeiten sollen. Keiner fragt sie, wie sie eigentlich arbeiten wollen. Was sagt HR eigentlich hierzu?
Viele Unternehmen haben sehr große Fortschritte darin gemacht, die Kreativität und die Begeisterungsfähigkeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu aktivieren. Ein wichtiger Schritt dahin war die Überwindung desjenigen Teils des Taylorismus, der die Trennung von Denkenden und Ausführenden forderte. Heute gilt der Mensch als der Produktionsfaktor, der die beiden anderen Produktionsfaktoren – Maschine und Material – beherrscht. Kein Unternehmen, das diesen Weg gegangen ist, käme im Traum auf die Idee, das Rad zurückzudrehen. Wohl aber die Protagonisten der Digitalisierung: Sie unterteilen die Welt wieder in Denkende und Ausführende. Denn Mitarbeiter werden nicht eingeladen, an der Gestaltung des Systems „Digitalisierung“ mitzuwirken. Dies bleibt einer kleinen Gruppe selbsternannter Experten vorbehalten. Das ist ein Rückfall in die Vergangenheit.
In Fabriken wird es besonders deutlich: Algorithmen und das Internet der Dinge (IoT) sorgen dafür, dass Menschen nicht mehr von anderen Menschen ihre Arbeit automatisch zugewiesen wird, sondern von Maschinen oder gar vom Material. Und diese Instanzen erfassen dann auch gleich die Erfüllung der Arbeit automatisch. Die Hierarchie der Produktionsfaktoren ist in der digitalisierten Welt auf den Kopf gestellt, mit dem Material an der Spitze, gefolgt von der Maschine und dem Menschen ganz unten. Der Taylorismus mit seinem Nicht-denken-Dürfen ist wieder da. Weil er aber im digitalen Gewandt daherkommt, wirkt er so unwiderstehlich. Was sagt HR eigentlich hierzu?
Wenn wir nicht aufpassen, haben wir bald zwei Arten von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen: diejenigen, die Maschinen codieren, und diejenigen, die die Befehle dieser Maschinen zu erfüllen haben. In den Fabrikhallen werden Mitarbeiter auf digitales „Schwesternklingeln“ reagieren müssen, um den technischen Systemen zu dienen. Nicht viel anders im Service, der oftmals nicht mehr geleistet, sondern nur noch inszeniert wird: Mitarbeiter werden dazu degradiert, Systeme mit Daten zu füttern und Ergebnisse von Rechenprozessen dem Kunden vorzulesen.
Management wiederum reduziert sich darauf, die Performance der Menschen anhand von KPIs zu beurteilen, die in Echtzeit auf den Computer oder das mobile Endgerät gespielt werden. Mitarbeiterführung wird ersetzt durch Management by Flachbildschirm. Mit anderen Worten: Die Digitalisierung ermöglicht den Führungsschwachen und Führungsunwilligen die lang ersehnte Flucht vor ihren eigenen Mitarbeitern. Wie groß muss da die Erleichterung bei denen sein, die sich mit neuen Techniken der Führung, der Kommunikation und der Ideenfindung, also den ganzen „Räucherstäbchenrunden“, nie haben anfreunden wollen. Begeistert sind auch diejenigen, die Betriebsführung mit der Gestaltung von technischen Systemen verwechseln und es lieber mit Technik als mit Menschen zu tun haben. Was sagt HR eigentlich hierzu?
Vermutlich ist die Digitalisierung die größte Errungenschaft der Menschheit seit Erfindung der Schrift. Sie kann Wegbereiter für die Bildung einer Arbeitswelt und Gesellschaft sein, die wir uns immer erträumt haben. Dies alles kommt aber nicht einfach auf uns zu. Es ist Ergebnis unserer Taten. Unsere Taten wiederum sind das Ergebnis unserer Pläne. Und unsere Pläne sind das Ergebnis unserer Visionen und unserer inneren Haltung. Es geht nicht darum, den Menschen zu sagen, was sie tun müssen, damit sie fit für die Digitalisierung sind. Vielmehr müssen wir der Digitalisierung sagen, was sie zu leisten hat, damit sie den Menschen nützt.
Und deshalb sollte HR hierzu endlich etwas sagen.
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