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Übersicht AnsprechpartnerBeitrag von Kirsten Schroeter und Alexander Redlich aus managerSeminare 309, Dezember 2023
Kurzbeschreibung: Actstorming als Weg, das eigene Handlungsrepertoire zu erweitern
Abgrenzung: Was Actstorming vom klassischen Brainstorming unterscheidet
Einsatzfelder: Wem die Methode wann weiterhilft
Ablauf am Beispielfall: Über welche Schritte Actstorming in der kollegialen Beratung seine Wirkung entfaltet
Von Fehlerfreundlichkeit bis Klarheit: Die wichtigsten Prinzipien für den erfolgreichen Einsatz der Methode
Limits: Welche Risiken man beim Einsatz von Actstorming kennen sollte
Actstorming ist eine spezielle Form des Brainstormings. Die Methode ist darauf ausgerichtet, in einer Gruppe verschiedene Handlungsoptionen für Interaktionssituationen zu erdenken und diese vor Ort auszuprobieren. Das heißt: Die Beteiligten überlegen, welche Äußerungen und Handlungen in einer spezifischen sozialen Situation geeignet wären, das Geschehen konstruktiv zu beeinflussen. Was zum Beispiel kann man in einem Verkaufsgespräch sagen, wenn eine Kundin den Preis drücken will? Wie sollte man sich als Führungskraft in einem schwierigen Mitarbeitendengespräch verhalten, wenn das Gegenüber plötzlich anfängt zu weinen? Wie könnte man vorgehen, wenn man es in einem Führungsmeeting mit heftigem Widerstand der Kollegen und Kolleginnen gegen einen Vorschlag zu tun bekommt? Statt Ideen in der Gruppe lediglich verbal zu sammeln, werden die Vorschläge von den Ideengebern und -geberinnen beim Actstorming rollenspielähnlich in kurzen Sequenzen vor der Gruppe vorgespielt und dadurch anschaulich illustriert.
Das Verfahren erlaubt es der Person, die den Problemfall eingebracht hat und die in das kurze Rollenspiel integriert wird (aber auch den Beobachtenden), am Modell neue Kommunikationsformen, Handlungsstrategien und Haltungen kennenzulernen. Actstorming dient somit dazu, das persönliche Handlungsrepertoire für spezifische Situationen zu bereichern und zu verfeinern. Entweder arbeitet man damit eine vergangene Situation auf, um ähnliche Situationen das nächste Mal besser bewältigen zu können. Oder man bearbeitet eine bevorstehende Situation, von der man annimmt, dass diese schwierig werden könnte.
Der wesentliche Mehrwert im Vergleich zum klassischen Brainstorming liegt beim Actstorming in der Reichhaltigkeit und Konkretheit der gefundenen Möglichkeiten. Anders als im Brainstorming hören die Anwesenden nicht nur theoretisch, was eine Person sagen und tun würde. Sie hören vielmehr, was sie wörtlich in der Situation sagt. Sie sehen die Körperhaltung, die Mimik und die Blickrichtung und nehmen den Tonfall, die Lautstärke und das Sprechtempo wahr. Zudem erleben sie durch die verbalen und nonverbalen Reaktionen des Gegenübers, an dem die Verhaltensvariante erprobt wird, umgehend, welche Resonanz die Intervention auslösen könnte. Durch diese Konkretheit steigt – entsprechend der Theorie zum „Lernen am Modell“ nach Albert Bandura – die Wahrscheinlichkeit, dass die Teilnehmenden diese oder eine ähnliche Intervention tatsächlich in ihr Handlungsrepertoire übernehmen.
Die Methode Actstorming eignet sich beispielsweise, um im Rahmen eines Führungskräftetrainings, einer kollegialen Beratung oder einer Gruppensupervision als kritisch erlebte Situationen nachzubearbeiten oder sich auf schwierige – zum Beispiel konfliktreiche – Interaktionen vorzubereiten. Die erlebten oder vorhergesehenen schwierigen Momente werden „auf die Bühne geholt“, um das professionelle Know-how aller anwesenden Gruppenmitglieder zu nutzen.
Actstorming kann darüber hinaus auch im Kontext von Train-the-Trainer- und Train-the-Coach-Weiterbildungen sowie bei Mediationsaus- und -fortbildungen eingesetzt werden. Dort dient die Methode beispielsweise der Vertiefung und Bereicherung des in (ausgiebigeren vorherigen) Rollenspielen Erfahrenen und Gelernten und erlaubt die Nachbearbeitung von als besonders kritisch erlebten Situationen. Was eine angehende Mediatorin im vorherigen Rollenspiel möglicherweise noch als überwältigende „Ach-du-Schreck-Situation“ wahrgenommen hat, kann per Actstorming im Nachhinein in lebendig-spielerischer Weise aus verschiedenen Perspektiven bewältigt werden.
Auch im Mediationsprozess selbst ist die Methode hilfreich. Dort eignet sich Actstorming insbesondere bei der Lösungsaushandlung – bietet es doch die Möglichkeit, sich abzeichnende Vereinbarungen, die geänderte zukünftige Verhaltensweisen Einzelner oder aller Beteiligten betreffen, auszutesten.
Actstorming eignet sich für Seminar- und Workshop-Gruppen bis zu 12 Personen. Die Methode braucht ausreichend Raum und Zeit, sowohl für die sorgfältige Auswahl der Ausgangssituation(en), die man bearbeiten möchte, als auch für die Entwicklung von Ideen und deren spielerische Erprobung. Für den im Folgenden beschriebenen Einsatz im Rahmen einer kollegialen Beratung mit üblicherweise bis zu zehn Teilnehmenden sind mindestens zwei Stunden anzusetzen, je nach Anzahl und Schwierigkeitsgrad der durchgespielten Situationen auch mehr.
Technisch gesehen profitiert Actstorming sehr von einem ausreichend großen Raum, der Platz dafür bietet, eine „Spielbühne“ zu gestalten, die sich von einem normalen Stuhlkreis eines Workshops oder Seminars absetzt. Im Prinzip braucht es aber nicht mehr als ein paar Stühle und gegebenenfalls Karten, auf denen Ausgangsfragen notiert werden, und eine Pinnwand, an der die Person, die moderiert, auch die verschiedenen Lösungsvorschläge visualisieren kann.
Eine zentrale Voraussetzung für den stimmigen Einsatz von Actstorming ist, dass die Person, die eine herausfordernde Situation als Anliegen einbringt, wirklich ausschließlich an Handlungsmöglichkeiten für diese Situation interessiert ist. Dafür ist es erforderlich, dass sie innerlich weitgehend mit sich und der Situation im Reinen ist. Ist Letzteres nicht der Fall, eignet sich Actstorming aufgrund seiner Verallgemeinerung („Wie kann man in so einer Situation vorgehen?“) eben gerade nicht. Dann gilt es vielmehr, sich methodisch mit den subjektiven Aspekten des Anliegens zu befassen. Insofern bedarf es in der Gruppe beziehungsweise beim Moderator eines guten Fingerspitzengefühls hinsichtlich der inneren Verfassung und Interessenlage der jeweiligen Person, die einen Fall eingeben möchte. Gegebenenfalls kann dies so erfragt werden: „Wenn wir in der kommenden halben Stunde gewinnbringend zu deinen konkreten Fragen arbeiten, was ist dir dabei vorrangig wichtig?“
Darüber hinaus bedarf es bei der Durchführung eines Actstormings derselben Fähigkeiten wie bei der fachgerechten Durchführung eines klassischen Brainstormings: erstens, klare Strukturgebung durch die moderierende Person und deren Ermutigung zum Ers(p)innen und Ausprobieren von möglichst vielen kreativen Herangehensweisen. Zweitens: Sichern eines möglichst bewertungsfreien Raums beim Ausprobieren sowie Überbrücken von (ersten) „kreativen Durststrecken“ in der Gruppe. Gegebenenfalls kann es sinnvoll sein, als moderierende Person initial selbst eine eher abwegig erscheinende Intervention einzubringen, um damit – neben der gezeigten Erweiterung des Handlungsspielraums – quasi nonverbal an die Experimentierfreude aller Teilnehmenden zu appellieren.
Wichtig ist außerdem, im Verlauf darauf zu achten, dass die gespielten Interaktionssequenzen kurz gehalten werden. Es soll kein langer Dialog entstehen. Die moderierende Person sollte stattdessen maximal eine (!) Sequenz von Aktion und Reaktion gestatten, um der Wirkung nachzuspüren. Zum einen senkt dies die Hemmschwelle der Teilnehmenden, selbst eine Idee anzuspielen. Zum anderen unterstreicht es, dass es bisweilen nur einer oder weniger Interventionen bedarf (und manchmal sogar „nur“ einer kleinen Pause), um einen entscheidenden Unterschied zu machen. Dauert eine Rollenspielsequenz im Actstorming länger, wird es dagegen – insbesondere für diejenigen, die zuschauen – immer schwieriger, genau den modellhaften Aspekt für sich daraus mitzunehmen, der relevant ist. Die Frage der „Taktgebung“ ist insofern eine wesentliche Facette für die Dynamik, die das Actstorming insgesamt entwickeln kann.
Schritt 1: In unserem Beispielfall einer kollegialen Beratung bestimmt die Gruppe eine Person, die die Moderation übernimmt. Idealerweise handelt es sich dabei um jemanden, der entsprechende Vorerfahrungen hat, beziehungsweise Grundkenntnisse im Moderieren von kollegialen Beratungsgruppen mitbringt. Die erste Aufgabe für die Kolleginnen und Kollegen besteht dann darin, schwierige Kommunikationssituationen zu sammeln, die sie gern in der Gruppe bearbeiten würden. Die Situationen werden auf Karten notiert, dabei möglichst konkret auf den Punkt gebracht, und an eine Pinnwand geheftet.
Schritt 2: Es erfolgt eine Auswahl der kritischen Situationen, die die Gruppe beim gegenwärtigen Treffen bearbeiten möchte. In unserem Beispiel einigt man sich darauf, an einer kniffligen Situation zu arbeiten, die eine Kollegin eingebracht hat: Sie hatte ein Gespräch mit ihrem Mitarbeiter namens Otto, in dem sie dessen sorgfältige und gewissenhafte Arbeit gelobt, ihn aber auch darauf hingewiesen hat, dass es Kritik seitens der Kolleginnen und Kollegen gibt, die Otto oft als wenig hilfsbereit erleben. Der Mitarbeiter habe daraufhin aber einfach nur geschwiegen. Die Führungskollegin, die den Fall eingebracht hat, wüsste gern, wie man mit solch einer Situation umgehen könnte und erhofft sich von den Kolleginnen und Kollegen entsprechende Ideen.
Als klare Ausgangsfrage hat sie formuliert: „Wie kann ich in einem Mitarbeitendengespräch vorgehen, wenn mein Gegenüber auf Kritik mit Schweigen reagiert?“
Bei einem Actstorming geht es darum, das eigene Handlungspektrum zu erweitern. Was tun, was sagen, um eine soziale Situation positiv zu beeinflussen? Mit Hilfe der Intelligenz, Erfahrung und Kreativität der Gruppe lassen sich (etwa in einem Führungskräftetraining oder einer kollegialen Beratung) verschiedene Optionen erarbeiten und vor Ort ausprobieren. Wie genau das funktioniert, demonstriert der folgende Beispielfall.
2. Die Kolleginnen und Kollegen überlegen sich zu zweit Ideen für eine günstige Führungskommunikation.
3. Anschließend spielen sie diese nacheinander an Stelle von F auf dem Stuhl von F vor. F reagiert dabei in der Rolle von X. Die moderierende Person (M) visualisiert die Kommunikationsvorschläge an der Pinnwand.
Einer Bewertung enthält man sich. Vielmehr wählt die Person, die den Fall eingegeben hat, später die Option aus, die am besten zu ihr, ihrem jeweiligen realen Gegenüber und der Situation passt.
Schritt 3: Im folgenden Schritt fordert die Moderatorin die Gruppenmitglieder auf, sich in Zweierteams zusammenzutun, um innerhalb von fünf Minuten erste Ideen für Handlungsoptionen zu entwickeln: „Überlegt einmal, wie ihr als Führungskraft diese Szene bewältigen könntet. Auch riskante oder abwegige Ideen sind ausdrücklich erwünscht. Bereitet euch darauf vor, eure favorisierte Alternative den anderen auf dem Stuhl vorne vorzuspielen. Gebt der Intervention gern einen Namen und schreibt sie auf eine Karte.“ Der Zwischenschritt unter vier Augen soll Mut zur Kreativität machen.
Schritt 4: Nach dem Zwiegespräch in den Tandems kommt man wieder im größeren Kreis zusammen. Nun wird es konkret: Die Fallgeberin schlüpft in die Rolle ihres eigenen schweigsamen Mitarbeiters Otto. Sie setzt sich also als „Otto“ auf einen vorne platzierten Stuhl. Auf dem Stuhl ihr gegenüber nehmen die Kollegen und Kolleginnen Platz, die nacheinander ihren jeweiligen Interaktionsvorschlag präsentieren. Das heißt: Die Fallgeberin in der Otto-Rolle spielt die Szene immer wieder aufs Neue an, woraufhin der Interaktionsvorschlag folgt. Die Kollegen und Kolleginnen zeigen also vor der Gruppe, was sie in der Rolle der Führungskraft in der Situation tun und wortwörtlich sagen würden. Im vorliegenden Fall kann dies zum Beispiel sein:
Wichtig ist, dass die Optionen hintereinander ohne jedwede Kommentierung und Bewertung durchprobiert werden. Die Moderatorin notiert sie zum Zweck der übersichtlichen Visualisierung auf Karten, die sie an eine Pinnwand heftet.
Schritt 5: Das Actstorming zum Thema „Schweigender Otto“ ist nach Vorführen des letzten Interventionsvorschlages beendet. An dieser Stelle fragt die Moderation die Fallgeberin in der Rolle von Otto: „Wie ist es dir mit den Handlungsvariationen gegangen?“ Möglicherweise antwortet „Otto“ nun: „Also, das Gegen-Schweigen fand ich ganz furchtbar“. Oder „Otto“ sagt: „Sehr positiv habe ich empfunden, dass die Führungskraft mich gefragt hat, ob sie selbst konkreter in ihren Aussagen werden soll.“ Gegebenenfalls kann auch die gesamte Gruppe nun ihre Wahrnehmungen, Eindrücke und Empfindungen mitteilen. Dieses Sharing gehört allerdings nicht mehr zur eigentlichen Methode Actstorming.
Besonders wichtig ist, dass am Schluss nicht etwa eine Handlungsoption als die „beste“ oder gar einzig richtige ausgewählt wird – weder von der Gruppe noch der Person, die den Fall eingebracht hat. Denn die „beste“ Verhaltensoption gibt es nicht. Erfolg versprechend sind vielmehr die Lösungen, die
Die Entscheidung, was passt, bleibt letztlich beim Fallgeber.
In diesem Text, der ebenfalls aus der Rubrik „Methoden für Manager“ stammt, geht es um eine weitere Erweiterung der kollegialen Beratung: Systemische Fragetechniken werden genutzt, um die Wirkung des Ansatzes zur gemeinsamen Problemlösung unter Kollegen zu steigern.
Rowohlt 2003, 14 Euro.
Der Autor erklärt anhand von Beispielen die sechs Phasen der kollegialen Beratung und führt in verschiedene Methoden ein, die eine Gruppe Kollegen und Kolleginnen je nach Problem und Erfahrungsstand nutzen kann.
Ein Actstorming braucht nicht nur ausreichend Raum und Zeit, es sollte auch bestimmten Prinzipien folgen. Dabei haben sich vor allem diese als hilfreich erwiesen:
Eine Gefahr beim Actstorming besteht darin, dass die Teilnehmenden anfangen, zu psychologisieren. Das ist dann der Fall, wenn beispielsweise Äußerungen wie „Otto, könnte es sein, dass du auch schon in der Schule niemals etwas gesagt hast und gehemmt bist?“ als Handlungs- und Kommunikationsoption ins Spiel gebracht werden. Leider ist zu beobachten, dass die Tendenz, auch als Laie tiefenpsychologische Deutungen vorzunehmen, in den vergangenen 20 Jahren zugenommen hat. Deswegen muss die Person, die das Actstorming moderiert, an solchen Stellen intervenieren und klarmachen: Es geht nicht um psychologischen Tiefgang, im Gegenteil, Psychologisieren ist strikt verboten.
Außerdem ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass der echte Mitarbeiter Otto natürlich trotzdem immer noch anders empfinden und anders auf eine Intervention reagieren kann als die Person, die im Actstorming in dessen Rolle schlüpft – oder die Kollegen und Kolleginnen, die das Geschehen beobachten.
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