Weiterbildung ist ein Exportgut - auch wenn deutsche Anbieter das noch nicht verstanden haben.
iMove, die deutsche Arbeitsstelle zum internationalen Marketing in der Berufsbildung, versucht daher mit speziellen Länderstudien hiesigen Trainingsanbietern das Ausland als Markt näher zu bringen. Mit dieser Ausgabe stellt Training aktuell die Herausforderungen für einen Export in die baltischen Staaten vor. Tenor: Es ist schwierig, aber nicht unmöglich.
Estland, Lettland und Litauen sind von strategischer Bedeutung für die wirtschaftlichen Kontakte nach Norden und Osten in Europa. Alle drei Länder sind politisch wie wirtschaftlich stabil. Eine gute Voraussetzung also für hiesige Weiterbildungsanbieter, ihre Fühler in Richtung dieser Märkte auszustrecken. Das betonen zumindest die vor kurzem von iMove veröffentlichten drei neuen Länderstudien zu den Republiken Estland, Lettland und Litauen. Mit diesen Expertisen will die Bonner Arbeitsstelle zur Unterstützung des internationalen Marketings in der Berufsbildung am Bildungsexport interessierte Firmen auf ihrem Weg in die neuen Märkte unterstützen. So analysieren die Studien nicht nur den Weiterbildungsbedarf in den drei Ländern, sondern geben auch Handlungsempfehlungen zur Kooperation mit Partnern der baltischen Staaten.
Kooperationen mit einheimischen Bildungsträgern sind ratsam
Ein schneller wirtschaftlicher Erfolg ist laut der Studien aber nicht zu erwarten. Der Grund: Um erfolgreich zu sein, müssten deutsche Weiterbildungsanbieter zunächst versuchen, mit den Bildungsträgern im Land eine gemeinsame Basis für eine strategisch ausgerichtete Zusammenarbeit zu finden. Bevor gemeinsame Projekte begonnen werden können, ist Vertrauen nötig - und das erfordert Zeit.
iMove empfiehlt, solche Bildungsträger als Partner zu gewinnen, die sich auf Lerndienstleistungen für kleine und mittelständische Unternehmen konzentrieren. Denn in den baltischen Staaten werden noch Weiterbildungs- einrichtungen benötigt, die Betrieben beim Aufbau betrieblicher Lernstrukturen helfen können, und das betrifft vornehmlich KMU. Darüber hinaus sind Lerndienstleister gefragt, die beim Aufbau regionaler Lernstrukturen unterstützend tätig sind und solche, die einheimischen Einrichtungen dabei helfen, europäisch vergleichbare Bildungsmodule zu erarbeiten.
Prozessorientiertes Lernen ist im Baltikum noch weitgehend unbekannt
Bevor Bildungsangebote ausgearbeitet werden, scheint es iMove zweckmäßig, sich mit den staatlichen Regelungen und den Besonderheiten des Marktes bekannt zu machen. Gemeinsam haben die baltischen Staaten, dass sie sich im Transformationsprozess von der Plan- zur Marktwirtschaft befinden und die Lernkultur dadurch derzeit im Wandel ist. Nun sind Kompetenzen erforderlich, die sich von den im bisherigen Bildungssystem erlernten Qualifikationen deutlich unterscheiden. Beispielsweise haben sowohl die Letten als auch die Litauer und die Estländer kaum Erfahrungen, wie das Lernen in Prozessen funktioniert. Deutsche Weiterbildungsanbieter könnten hier laut iMove Unterstützung leisten. Ein weiteres Betätigungsfeld könnte darin bestehen, das pädagogische Konzept des Erfahrungslernens zu vermitteln.
Estland: technologieorientierte Weiterbildung steht im Fokus
Darüber hinaus gibt es naturgemäß länderspezifische Besonderheiten. So orientiert sich der estnische Weiterbildungsmarkt derzeit stark am Nationalen Entwicklungsplan des europäischen Sozialfonds. Dieser sieht u.a. vor, dass die Entwicklung der Human Resources mit Zuschüssen bedacht wird. Ihren gegenwärtigen Schwerpunkt setzt die Weiterbildungspolitik in Estland auf die technologieorientierte Weiterbildung. Insbesondere Weiterbildungsangebote in den Bereichen Biotechnologie, Informations- und Kommunikationstechnologien, Werkstoffe sowie Umwelttechniken werden öffentlich subventioniert.
Laut Studie ist zudem ein Markt für deutsche Weiterbildungsanbieter in den Branchen zu vermuten, die als zukunftsfähig für Estland gelten: der Tourismus samt dem Gastronomie- und Hotelwesen, die Holzbe- und -verarbeitung sowie die Möbelindustrie, die Metallverarbeitung und der Maschinenbau, die Baubranche, das Transportwesen und die Logistik sowie die Lebensmittelbranche.
Innerhalb der Unternehmen bezieht sich der Weiterbildungsbedarf laut einer Bedarfserhebung der Arbeitgeberverbände in Estland in erster Linie auf das mittlere Management und das Top-Management. Diese benötigen Kenntnisse über Umweltstandards und Qualitätsmanagementsysteme sowie Know-how zu Regelungen für Unternehmer- und Arbeitnehmerfreizügigkeit. Gefragt zudem: Modelle zur Verbesserung der Chancengleichheit von weiblichen und männlichen Beschäftigten.
Aufwendige Akkreditierungs- und Lizenzierungsverfahren
Erschwerend für deutsche Weiterbildner, die sich in Estland engagieren wollen, ist die Tatsache, dass in der Republik bereits feste wirtschaftliche Beziehungen zu den skandinavischen Ländern bestehen. Zudem stehen die zahlreichen einheimischen Bildungsanbieter selbst in engem Wettbewerb. Zu beachten ist ferner das Akkreditierungs- und Lizenzierungsverfahren für die Bildungsunternehmen, die sich an den Ausschreibungen beteiligen dürfen. Noch umfangreicher und schwieriger als in Estland ist die Lizenzierung der Lehrprogramme und die Akkreditierung der Weiterbildungsanbieter in Lettland. Ohne die Untersetzung der Lehrprogramme mit den geforderten Berufsstandards laufen Weiterbildungsangebote am lettischen Markt buchstäblich ins Leere. Deutschen Weiterbildungsakquisiteuren empfiehlt iMove daher, sich mit den Grundmechanismen des Anerkennungsverfahrens, das dem Berufsbildungszentrum PIC unterliegt, vertraut zu machen.
Lettland: Kooperationsbedarf für Weiterbildungsmethodik
Wer sich jedoch von dem aufwendigen Anerkennungsverfahren nicht abschrecken lässt, hat mit den Themen Qualitätssicherungssysteme, Telemarketing, Projektmanagement und Bildungsmanagement Chancen, sich im Bereich der beruflichen Qualifizierung in Lettland zu positionieren. Zudem besteht im Rahmen von Weiterbildungsmethodik Kooperationsbedarf. Interesse wird u.a. signalisiert an der Einführung von selbstorganisiertem Lernen und von Mentoring in Weiterbildungsprozessen.
In Litauen kommen deutsche Weiterbildner fast schon zu spät
In Litauen indes ist es für deutsche Weiterbildner fast schon zu spät. Andere europäische Länder sind seit Jahren in Litauen aktiv und haben so bereits einen Wettbewerbsvorsprung. Ein ähnlich aufwendiges Zertifizierungsprocedere für Träger von Qualifizierungsmaßnahmen wie in Lettland und in Estland - vorgenommen durch die Litauische Behörde für Arbeitsmarkt und Qualifizierung mit Hauptsitz in Vilnius - stellt eine weitere Zugangshürde dar. Laut iMove ist ein Markt für deutsche Weiterbildungsanbieter dennoch erkennbar. Weiterbildungs-, Kooperations- und Unterstützungsbedarf herrsche u.a. bei der handwerksorientierten Aus- und Weiterbildung, bei der Unterstützung von landwirtschaftlichen Klein- und Kleinstbetrieben und bei der Regionalentwicklung. Förderpriorität haben dabei Qualifizierungsangebote, die auf den Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit gerichtet sind. Die Länderstudien lassen sich kostenlos als PDF-Datei unter www.imove-germany.de downloaden.