Reflexion

Trainingsspitze
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Goodbye, Social Media?

Ohne Social Media scheint für selbstständige Weiterbildungsprofessionals im Marketing nichts zu gehen. So hört man es an jeder Ecke. Völliger Quatsch – meint Positionierungs-Experte Sascha Theobald. Wer mit den Social Media hadert, sollte ernsthaft in Erwägung ziehen, sich von Facebook und Co. zu verabschieden.

Vor einer ganzen Weile habe ich einer Kollegin erzählt, dass ich mich darauf vorbereite, mich aus den Social Media zurückzuziehen. Sie konnte es kaum glauben. Auch wir hatten uns über Twitter kennengelernt, und gerade dort war ich lange Zeit gerne aktiv. Doch die sozialen Netzwerke entwickelten sich für mich in eine unschöne Richtung. Ich musste mich immer mehr überwinden, reinzuschauen und teilzunehmen.

Und ich stellte fest: Viele meiner Kundinnen und Kunden hadern ebenfalls mit den Social Media. Manche von ihnen weisen schon zu Beginn der Zusammenarbeit darauf hin, dass sie keine Lust darauf haben. Andere wollen einzelne soziale Netzwerke verlassen, sind sich aber unsicher, ob sie sich das als Selbstständige leisten können.

Schließlich haben sie immer wieder gehört, wie wichtig Facebook und Co. sind, um neue Kundschaft zu gewinnen und erfolgreich zu werden. Allein auf Facebook können im deutschsprachigen Raum rund 40 Millionen Menschen erreicht werden. Und das kostenlos! Alles potenzielle Kundinnen und Kunden. Lange Zeit das Argument für ein Engagement in den Social Networks. Und bis heute sitzt das in den Köpfen – obwohl wir es besser wissen.

Reichweiten werden in allen Netzwerken stark beschränkt

Ja, diese 40 Millionen Menschen können theoretisch auf Facebook erreicht werden. Aber schauen wir mal in die Realität: Die organischen Reichweiten sind in allen Networks drastisch gesunken. Sie werden u.a. deswegen stark beschränkt, damit Selbstständige und Unternehmen bezahlte Werbung schalten, um ihre Zielgruppe zu erreichen.

Das macht auch eine Analyse von Fanpage Karma deutlich: Dem Anbieter von Social-Media-Marketing-Lösungen zufolge haben 80 Prozent der Instagram-Profile 2021 im Schnitt rund 43 Prozent ihrer Reichweite eingebüßt. Bäm! Die Studienautoren kommen zu dem Schluss, dass dies Ergebnis grundlegender Veränderungen auf der Plattform ist und nicht etwa an den Posts selbst liegt.

Auf Facebook und Co. werden Inhalte gefördert, die emotionalisieren, polarisieren oder auf andere Weise Reaktionen provozieren. Fake News, laute Parolen und wüste Schimpfereien – aber auch Tschakka-Sprüche und Guru-Content – werden vom Algorithmus gepusht und haben daher bessere Karten als ruhige, sachliche Informationen. Bodenständige Wissensarbeiterinnen und -arbeiter sowie leise Menschen, die diese Spielchen nicht mitmachen wollen, ziehen den Kürzeren.

Fake News, laute Parolen und wüste Schimpfereien – aber auch Tschakka-Sprüche und Guru-Content – werden vom Algorithmus gepusht und haben in den Social Media daher bessere Karten als ruhige, sachliche Informationen.

Aufmerksamkeit bekommt somit, wer laut ist – so wie die unzähligen Selbstständigen und Unternehmen, die die Social Media nur als Marktplatz benutzen, um ihre Dienstleistungen und Produkte zu verkaufen. Auf Linkedin und Co. nennt sich das „Social Selling“. Vordergründig wird vorgegeben, Beziehungen zu Menschen aufzubauen und eine Kommunikation von Mensch zu Mensch zu etablieren. Eigentlich eine gute Sache. Das Cluetrain-Manifest lässt grüßen.

Pseudo-emotionale Manipulation statt „Social Selling“

In der Zwischenzeit hat das „Social Selling“ aber absurde Züge angenommen. Es wird versucht, pseudo-emotional zu manipulieren, es wird Aufmerksamkeit erbettelt. Kurzum: Statt ehrlich zu kommunizieren und echte Beziehungen aufzubauen, wird platt und ungeschickt verkauft – unter einem pseudo-menschelnden Deckmantel.

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Dazu verbreiten sich Belanglosigkeiten: der morgendliche Kaffee, der Hund ist so „cute“, K1 (das älteste Kind) hat Schnupfen. Es geht darum, möglichst viel Output zu generieren und private Anekdoten mit der großen Masse zu teilen. Daneben fühlt sich jeder und jede dazu berufen, alles zu kommentieren und zu bewerten.

Das Netzwerken wird so zum Stammtisch 2.0 mit Diskussionen, Verurteilungen und Hetze. Eine Weile mag das interessant sein, irgendwann ist es nur noch zu viel. Und seien wir ehrlich: Das meiste von dem, was wir dort sehen, ist nach einer Stunde wieder vergessen. Und das stört uns auch nicht, weil es nicht wirklich wichtig ist.

Das Netzwerken wird zum Stammtisch 2.0 mit Diskussionen, Verurteilungen und Hetze.

Stattdessen wird unser Hirn auf den schnellen Kick trainiert und verlernt, sich zu konzentrieren. Das verändert uns und unsere Arbeit. Denn für Wissensarbeiterinnen und -arbeiter ist es elementar, konzentriert zu arbeiten. Nur so lässt sich Herausragendes schaffen und das eigene Potenzial nutzen. Das ist der wesentliche Stellhebel für die Qualität der Arbeit und die Ergebnisse, die wir mit unseren Kundinnen und Kunden erzielen. Aber auch dafür, wie wir unser Marketing betreiben und wie man über uns spricht.

Dabei sollten wir auch nicht vergessen, dass soziale Netzwerke in der Regel nicht dazu da sind, Menschen zusammenzubringen, die Welt besser zu machen oder Selbstständige zu stärken. Hinter den meisten steht ein Unternehmen, das Geld verdienen will und tut, was es dazu braucht. Wenn wir nicht nur das eigene wirtschaftliche Interesse betrachten, sollte daher jeder und jede auch für sich überlegen, ob er/sie Teil eines solchen Systems sein und durch die eigenen Daten und Inhalte Konzerne wie Meta mit ihrem Gebaren unterstützen will.

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Social Media können sich schon auch lohnen

Zugegeben – das klang bis hierhin alles recht negativ. Dabei geht es mir gar nicht darum, die Social Media schlechtzureden. Social Media Marketing kann funktionieren. Es kann ein guter Deal sein. Es kann Freude machen – sofern man konsequent „Ja“ zu diesem Weg sagt, Ressourcen einplant, eine solide Strategie aufsetzt, interessante Inhalte bereitstellt und zu einer lebendigen Kommunikation beiträgt, oder kurz: „all-in“ geht.

Die Social Media sind kein Pflichtprogramm. Wenn Weiterbildungsprofis keine Lust auf diese Art von Kommunikation haben, sollten sie ernsthaft überlegen, es bleiben zu lassen.

Aber: Die Social Media sind eben auch kein Pflichtprogramm. Wenn Trainer, Beraterinnen und Coachs keine Lust auf diese Art der Kommunikation haben, sollten sie ernsthaft überlegen, es bleiben zu lassen. Denn zwei Dinge sind klar: Es ist Quatsch, dass Selbstständige in den Social Media aktiv sein müssen. Und es ohne Strategie mal ein wenig nebenher zu probieren, funktioniert nicht. Das ist Zeitverschwendung und lenkt Trainerinnen, Berater und Coachs von ihrem Weg, ihrem Potenzial und echter Wertschöpfung ab – etwa davon, Fachbeiträge, Bücher oder Evergreen Content auf der eigenen Website zu veröffentlichen.

Der Autor: Sascha Theobald ist seit 2005 als Fachmann für Positionierung und Kommunikation selbstständig. Er unterstützt Selbstständige dabei, sich klar zu positionieren, selbstbestimmt zu arbeiten und ihr Potenzial zu nutzen. Seit 2011 betreibt er sein eigenes Blog unter www.sascha-theobald.de.

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