Als Misfit bezeichne ich die Nichtpassung einer Methode im Training. Etwas passt nicht zusammen. Zum Beispiel Teilnehmer und Methode, Trainer und Methode oder Inhalt und Methode. Von einem solchen Misfit will ich berichten: Ich erhielt den Auftrag, im Kundenservice eines mittelständischen Pharmaunternehmens mit etwa 100 Mitarbeitern Teamtrainings durchzuführen. Im Verlauf der vergangenen sechs Jahre war es bereits das dritte Mal, dass ich in diesem Unternehmen Teamentwicklungsworkshops durchführte. In den vorangegangenen Teamtrainings gab es für mich als Trainer ehrlich gesagt keine Medaillen zu gewinnen. Die Teams waren in Wahrheit eher räumlich zugeordnete Arbeitsgruppen, in denen jeder relativ eigenverantwortlich den gleichen Job macht. Das Miteinander war weitgehend unauffällig, die Leistung gut, schwierige Situationen im Team eher die Ausnahme. Mein Auftrag reduzierte sich auf eine Art Reiseleitung. Zwei kurzweilige, arbeitsfreie Tage gestalten und im besten Fall bewusst machen, warum die Zusammenarbeit so gut klappt. Nun gut, Drachen töten kann man nicht an jedem Tag.
Dass sich die Ausgangssituation dieses Mal dermaßen krass geändert hatte, war mir im Vorfeld nicht klar: Grüppchenbildung, Feedback über Dritte, Zurückhalten von Informationen, Hilfsverweigerungen, Mobbing – das reine Chaos!
Ein echter Klassiker der Teamentwicklung ist die Teamuhr mit ihren Phasen Forming, Storming, Norming und Performing aus Tuckmans Modell. In diesem Team stand die Uhr zurzeit ganz dick auf Storming. Mir lachte das Trainerherz: Es gab etwas zu tun! Dieses Team brauchte diesen Workshop, und meine Arbeit bot die Chance, wirklich einen Unterschied zu machen und Menschen zu unterstützen, wieder mehr Zufriedenheit, Motivation und Erfolg im Job zu haben. Juchei!
Wir nahmen uns zunächst einmal ausreichend Zeit, um wahrzunehmen und zu reflektieren, was im Moment eigentlich alles passiert, welches die Intentionen der Handelnden sind und welche Wirkungen dadurch bei den Beteiligten entstehen. Mein Job bestand darin, die Teilnehmer behutsam zu öffnen, Beiträge wertzuschätzen, unterschiedliche Perspektiven aufzuzeigen und einzuordnen – ohne an dieser Stelle bereits Lösungen anzubieten oder einzufordern.
Im nächsten Schritt stellten wir uns die Frage, was denn nützlich wäre, um zukünftig wieder reibungsfrei miteinander klarzukommen, und erarbeiteten bereits Spielregeln für die künftige Zusammenarbeit im Team. Alles lief nach Plan. Nein, sogar besser! Denn Teilnehmer, die eben noch wütend mit Vorwürfen aufeinander eingedroschen hatten, feilten jetzt konstruktiv in Zweierteams an der Formulierung von Maßnahmen für die Zusammenarbeit. Ich musste wohl ein Held sein!
Draußen strahlte die Sonne. Es war ein Bilderbuchsommertag in den Alpen, nahe der Grenze zu Österreich. Die majestätischen Berge thronten über einem satten Grün, und draußen duftete es nach frisch gemähtem Gras. Kein Wunder also, dass zwei Teilnehmer am Nachmittag fragten, ob wir nicht eine kleine Wanderung zu einer Hütte etwa 30 Minuten entfernt unternehmen könnten, um das Wetter an diesem herrlichen Tag noch zu nutzen.
War es Selbstgefälligkeit oder Unachtsamkeit?Vielleicht war es das selbstgefällige Gefühl, gerade in Drachenblut gebadet zu haben, vielleicht ein kurzer Moment der Unachtsamkeit oder der eigene Wunsch, beim Wandern das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden – ich weiß es nicht. Auf jeden Fall stellte ich die Frage ohne professionelle Abwägung ungefiltert in den Raum – zur Abstimmung! Ich weiß nicht, welche Erfahrungen Sie in Ihrer Laufbahn mit demokratischen Meinungsbildungen in Trainings haben. Meine sind schlecht. Selbstverständlich gibt es zahlreiche Situationen, in denen es nützlich, notwendig oder heilsam sein kann, der Gruppe die Verantwortung für Gestaltungsprozesse zu geben. Meistens aber – und so auch in diesem Fall – ist es das Rezept für eine lupenreine Lose-lose-Situation.
Nach einer lähmenden Diskussion entschied sich die Mehrheit für die Wanderung, eine Minderheit fragte sich, ob wir vor dem Hintergrund der kritischen Teamphase die Zeit dafür tatsächlich erübrigen könnten, und zwei Teilnehmer stellen den Antrag, sich stattdessen kurz ausklinken zu dürfen. Plötzlich waren sie wieder da: dieselben Grüppchen wie am Beginn des Workshops … Arrgghhh!
Aber die Geschichte geht noch weiter. Leider. Denn kaum hatten wir den Wanderweg erreicht, begann für Meike, eine Teilnehmerin, eine echte Strapaze: Der Weg ging bergauf, wurde zunehmend steiler. Und Meike hatte eine Körpermasse hochzustemmen, die wohl mindestens dreimal so groß war wie die der anderen. Sie gab alles und blieb doch immer weiter zurück. Anfänglich nahmen einige noch Rücksicht, aber der Tross zog sich immer weiter auseinander. Ich machte mich derweil auf, die Gipfelstürmer einzufangen, um auf eine alternative Route ohne Steigung umzuschwenken. Doch zu spät: Meike machte sich Vorwürfe, wollte die Hütte unbedingt im Team erreichen, suchte Ausflucht in den falschen Schuhen, wurde zunächst wütend auf sich selbst und dann so traurig, dass sie anfing zu weinen. Gäbe es so was wie einen Trainerführerschein, wäre ich meinen Lappen jetzt wohl los.
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den letzten Fall der 'Trainerhölle' in Training aktuell 09/2014.