Ein Unternehmen wollte eine mehrstufige interne Trainerausbildung durchführen. Der Prozess für die Auftragsvergabe dieser Entwicklungsmaßnahme war sehr intensiv. Nach der Auftragsklärung und der Abgabe des Angebots wurden mehrere Institute zum Probetraining und zur Präsentation ihrer Ideen eingeladen.
Es war ein toller Moment, als ich den Anruf bekam, dass das Unternehmen mein Angebot ausgewählt hatte. Juhu, eine richtig tolle Mission für mich! Denn die Trainer, die ausgebildet werden sollten, hatten keine leichte Aufgabe vor sich. Es wurden gerade viele Mitarbeiter entlassen, damit das Unternehmen langfristig marktkonform aufgestellt sein würde. Eine solche Zeit zu begleiten – und zwar so, dass einerseits die entlassenen Mitarbeiter ohne Groll und mit einem starken Selbstwertgefühl die Suche nach einer neuen Stelle antreten und andererseits die bleibenden Mitarbeiter ohne Schuldgefühle und mit Zuversicht und Lust an ihre neuen Aufgaben herangehen können – ist für Trainer eine große Aufgabe, die viel Sozialkompetenz und professionelles Know-how braucht.
Aufgrund dieser Situation hatten wir, also die Zuschauer der Auswahlrunde und ich, bereits diskutiert, wie wir die Bedeutung von Nähe und Distanz in der Trainerarbeit einschätzten. Die verständliche Angst der Entscheider war, dass sich die Trainer auf die Seite der Mitarbeiter schlagen und das Unternehmen nicht adäquat vertreten würden. Zudem hatten einige wichtige Personen im Unternehmen eine Art Phobie vor bestimmten Mediengestaltungen und Raumausstattungen entwickelt. Die in Trainings weitverbreiteten Wölkchen, Herzchen, bunten Tücher und Bälle waren zuvor sehr häufig in Seminaren aufgetaucht, ohne dass sich den Entscheidungsträgern ihr Sinn und Nutzen erschlossen hätte. Daher bekam ich den Auftrag, bitte keine Herzchen zu malen und auf Distanz in der Zusammenarbeit zu achten.
Das mit den Herzchen war für mich in Ordnung. Nähe aber ist mir stets wichtig. Ich erläuterte meine Vorstellung einer Balance zwischen Nähe und Distanz: die Idee, als Trainer beides zu können und je nach Situation das eine oder das andere mehr zu leben. Sowohl das Unternehmen zu verstehen und seine Beweggründe zu vertreten, als auch die Mitarbeiter zu verstehen und sie abzuholen aus dem Frust, der Wut, der Angst oder der Traurigkeit. Also nicht 'entweder–oder', sondern 'und'. Damit waren die Zuhörer der Präsentation einverstanden. Zudem versprach ich, dass es keine Herzchen geben würde.
Der erste Teil der Weiterbildung, ein dreitägiges Seminar, fand mit einem erfahrenen Trainer des Unternehmens als Beobachter statt. Mein Begrüßungs-Chart war herzfrei (wenn auch nicht herzlos), ansonsten erklang wie immer Musik, und es lagen Bücher zum Thema aus. Beim Material hatte ich sehr genau darauf geachtet, dass jedes Stück im Seminar eine Rolle spielen würde, damit sich der Sinn dieser bunten Ausstattung erklärte.
Die drei Tage machten mir sehr viel Spaß. Relativ früh schlug jemand aus der Gruppe vor, einander per Du anzusprechen, was ich gern aufgriff. Wir arbeiteten intensiv an den Themen, die Stimmung war offen und konstruktiv, gleichzeitig angenehm kritisch und diskussionsbereit. Ich war sehr zufrieden mit diesem Auftakt – und die Teilnehmer auch. Als alle gegangen waren, wandte ich mich an den Beobachter, mit dem ich in den drei Tagen wenig sprechen konnte, da er in den Pausen und am Ende des Tages immer sehr schnell verschwunden war. Er sagte nur, dass wir jetzt einen Termin hätten.
Ich wurde vor den Kadi geführtWie vor den Kadi wurde ich vor vier Mitarbeiter des Unternehmens geführt. Drei der Anwesenden kannte ich bereits aus dem Auswahlprozess, eine Dame war mir unbekannt. Bis heute erscheint mir das dann folgende Gespräch surreal. Die Dame, die ich bisher nicht kannte, stellte sich als diejenige heraus, die den obersten Hut im Prozess des Trainereinkaufs aufhatte. Mitte vierzig, gut aussehend, elegant und teuer gekleidet, ergriff sie das Wort: 'Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie sich mit der Gruppe duzen. Das geht gar nicht!'
Wir hatten uns gerade zum ersten Mal gesehen, und das waren ihre Begrüßungsworte. Es folgten viele weitere 'Geht-gar-nichts'. Musik – geht gar nicht. Bunte Bälle – geht gar nicht. Gute Stimmung mit gefühlter Nähe zu den Teilnehmern – geht gar nicht. Mein Hinterfragen ('Wofür stehen die bunten Bälle aus Ihrer Sicht?', 'Was genau stört Sie an der Du-Ansprache?') führte letztlich zu dem Punkt: Nähe zu den Teilnehmern geht gar nicht.
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Im PDF finden Sie außerdem: Reaktionen auf den Fall aus der Trainerhölle aus Training aktuell 8/2014