Von Martin Lehner, 165 S., Haupt, Bern 2006, ISBN 978-3-258-07077-3, 24,90 Euro.
Welcher Trainer oder Coach kennt das nicht: Der Lernstoff ist immens, die Zeit knapp, und am Ende bleibt nichts anderes übrig als zu sagen: 'Tut mir Leid, ich habe nicht alles geschafft'.
Die Crux ist dabei nach Ansicht von Martin Lehner, Professor für Didaktik am Technikum Wien, nicht die Stoffmenge sondern der Vollständigkeitsanspruch des Lehrenden. Häufig denke dieser nämlich: Alles, was er weiß, sei wichtig und er müsse möglichst viel von seinem Wissen weitergeben. Wer so denkt, sitzt in der Vollständigkeitsfalle, sagt Lehner. Auswege aus dieser zeigt er in seinem aktuellen Buch auf.
Grundsätzlich rät der Autor den Dozenten, bei der Auswahl des Lernstoffs nach der Devise 'Weniger ist mehr' zu handeln. Die Kunst bestehe im Weglassen der richtigen Inhalte. Eingesetzt werden können dafür laut Lehner verschiedene Techniken. Beispielsweise die 'Siebe der Reduktion'. Dabei 'schüttelt' der Dozent oder Trainer die Lehrinhalte vor dem Training oder dem Vortrag auf bestimmte Zeiteinheiten 'herunter'. Und zwar indem er sich fragt: Mit welchen Inhalten arbeite ich, wenn ich 15 Minuten für deren Vermittlung Zeit habe? Was bringe ich in zwei Stunden? Und was muss ins zweitägige Seminar?
Eine andere Möglichkeit zur Reduktion der Stoffmenge ist die 'Track One - Track Two Methode' zur Erstellung von Lernmaterialien. Als 'Track One' gekennzeichnete Passagen im Skript sagen dem Studierenden: Das ist besonders wichtig! 'Track Two' bedeutet: ergänzender Stoff zum individuellen Lernen.
Wer ganz wenig Zeit für Vermittlung eines Sachverhaltes hat, kann die Extremreduktion wählen. Diese ist nach Aussage Lehners der 'didaktische Ironman'. Die große Herausforderung: Komplexe Inhalte auf wenige zentrale Aussagen zusammenzudampfen. Wem das gelingt, der darf sich zurecht Experte auf einem Gebiet nennen.
Schließlich widmet sich Lehner noch der Hirnforschung. 'Denn, wie jeder Koch sich mit der Funktion des Magens auskennt', argumentiert der Professor, 'sollte ein Lehrender auch etwas vom Organ des Lehrens, dem Gehirn verstehen'. Er sollte sich also zum Beispiel darüber klar sein, dass das Arbeitsgedächtnis eine begrenzte Kapazität hat und Informationen unterschiedlich verarbeitet werden.
Das Buch ist unterhaltsam geschrieben und gewürzt mit ironischen Kommentaren an die eigenen Kollegen, wie 'Wer will schon von sich behaupten, er verfüge nur über begrenzte Mengen bedeutsamen Wissens'. Eine teilweise sehr bildhafte Sprache erhöht den Lesespaß zusätzlich. Kostprobe: 'Wer seiner Liebsten Blumen mitbringen möchte, pflückt auch nicht den ganzen Garten, sondern wählt eine Handvoll der schönsten aus.' Besonders nützlich sind die vertiefenden Aufgaben zu den vorgestellten Techniken der Reduktion. In diesen fordert der Didaktiker den Leser zur kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Lehrmaterial auf.
Fazit: Wer als Lehrender in der Vollständigkeitsfalle sitzt, dem sei dieses Buch empfohlen.