Während die Politik eine Kultur des lebenslangen Lernens proklamiert, gehen die Beteiligungsquoten an Weiterbildungsmaßnahmen zurück. In dem Buch 'Lernwiderstände - Anlässe für Vermittlung und Beratung' gehen die Gewerkschaften ver.di, IG Metall und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) dieser unerfreulichen Entwicklung auf den Grund. Als Mitherausgeber konnten sie den Lernexperten Peter Faulstich gewinnen. Neben dem Inhaber des Lehrstuhls für Erwachsenenbildung an der Universität Hamburg melden sich in dem Kompendium sechs weitere Wissenschaftler zu Wort sowie eine Reihe von Vorstandsmitgliedern der Gewerkschaften wie Mechthild Bayer von ver.di, die zweite Herausgeberin des Buches. Mithin nehmen in dem Buch(bildungs-)politische Forderungen viel Platz ein.
Um Lernbarrieren in der deutschen Gesellschaft aufzuspüren, darf man nach Meinung Faulstichs nicht in Ursache- Wirkungsmodellen denken, wie es behavioristische oder kognitive Lernmodelle vorgeben. Vielmehr sollte man sich fragen, ob eine Person Lernmöglichkeiten für das eigene (berufliche) Fortkommen als sinnvoll einschätzt. Dabei kommt man nach Ansicht der Buchautoren nicht um die Betrachtung des sozialen Milieus herum, also der Werte, Interessen und Lebensziele, die einer gesellschaftlichen Gruppe gemein sind. In kleinbürgerlich-ständischen Gruppen herrscht z.B. aufgrund eines statusbezogenen Denkens und einer ausgeprägten Sicherheitsorientierung eine allgemeine Skepsis gegenüber Veränderungen, führt Faulstichs Universitätskollege, Helmut Bremer, aus. Mitglieder dieses Milieus bezeichnet der Pädagoge daher als eher reserviert gegenüber einem 'Dazulernen-Müssen'. Im Milieu der praktischen Intelligenz wiederum - quasi der unteren Mittelschicht - herrscht laut Bremer Sachorientierung vor. Erkennen Mitglieder dieses Milieus keinen handfesten Nutzen von Weiterbildungen, werden sie diese auch nicht besuchen.
Über die Grenzen der Milieus hinweg sieht Stephanie Odenwald die von der Politik initiierte 'Heroisierung der eigenverantwortlichen Weiterbildung' als eine der zentralen Ursachen für Lernwiderstände. Die Begründung der Gewerkschafterin von der GEW in Frankfurt: Die Menschen fühlen sich im Dschungel der Weiterbildungslandschaft allein gelassen, finden sich nicht zurecht und sind schließlich frustriert, dass sie der gesellschaftlich Erwartung des lebenslangen Lernens nicht gerecht werden können. Daher sollte, so Odenwalds Forderung, die Politik mehr Mittel für Beratung und die Vermittlung von Aus- und Weiterbildung bereitstellen. Dieses Postulat nach mehr Beratung in der Weiterbildung ist sicher berechtigt, über andere Forderungen in den Beiträgen der Gewerkschafter lässt sich trefflich streiten.
Fazit: Wer sich über gesellschaftliche Hintergründe von Lernwiderständen informieren möchte, ist mit diesem Buch gut beraten. Erfahrene Weiterbildner können aus den theoretischen Überlegungen vielleicht auch die ein oder andere Handlungsanleitung für den Umgang mit Widerständen im Seminar ableiten.
Von Peter Faulstich und Mechthild Bayer (Hrsg.), 206 S., brosch., VSA, Hamburg 2006, ISBN 3-89965-150-2, 12,80 Euro.