Jeder Lernende ist anders: Er unterscheidet sich durch Geschlecht, Motivation, Lernstil und -erfahrung von seinen Mitlernenden. Viele Wissenschaftler sind überzeugt, diese Diversität mithilfe adaptiver Lernsysteme kompensieren zu können, - z.B., indem Inhalte abhängig von bekannten lernrelevanten Merkmalen des Einzelnen selektiert und präsentiert werden.
Mit diesem aktuell häufig diskutierten Ansatz geht Rolf Schulmeister kritisch ins Gericht: Seiner Meinung nach sind adaptive Systeme 'keine Lösung für irgendetwas'. Zwar wisse man, dass Lernende unterschiedlich sind, es sei jedoch nicht bewiesen, dass ihnen Wissen aus diesem Grund unterschiedlich präsentiert werden muss, lautet eine seiner Begründungen. Der Professor für Hochschuldidaktik empfiehlt die Arbeit mit offenen Lernsituationen, sprich: hochinteraktiven Lernumgebungen, in denen Lernenden hohe Freiheitsgrade im Umgang mit Lernobjekten eingeräumt werden - beispielsweise durch Konzepte des entdeckenden oder problemorientierten Lernens.
Die Auseinandersetzung mit adaptiven Lernsystemen ist nur einer von vielen Punkten, die Schulmeister in seinem Buch 'Einsichten und Aussichten' - nomen est omen - diskutiert. Kritik übt er auch an den US-amerikanischen Hochschulen bzw. deren Image als E-Learning-Vorreiter: Die beeindruckende Zahl von rund 20 Prozent der amerikanischen Studierenden, die laut Department of Education Fernstudierende sind, entlarvt er als unhaltbar. Als 'enrollment' im Fernstudium werde nämlich nicht der individuelle Studierende, sondern die einzelne Einschreibung oder Kursbuchung gezählt, so Schulmeister. Außerdem würden viele Online-Kurse von klassischen Präsenzstudierenden gebucht - und nicht vom neuen Typ des virtuellen Studierenden.
Schulmeister liefert in seinem neuen Buch aber nicht nur Diskussionsstoff für E-Learning-Experten. Auch Einsteiger in die Materie kommen auf ihre Kosten: Anhand zahlreicher Praxisbeispiele stellt er Vor- und Nachteile von Chat und Diskussionsforen heraus und zeigt, wie mithilfe von E-Learning räumliche und zeitliche Schranken beim Lehren und Lernen überwunden werden können - z.B. durch Vorlesungsaufzeichnungen, virtuelle Labore oder Exkursionen. Schließlich gibt Schulmeister Dozenten einfache Rezepte und Konzepte an die Hand, um das technologiegestützte Lernen in ihre Arbeit einzubinden.
Fazit: Einen roten Faden sucht man in 'Einsichten und Aussichten' vergeblich, aber gerade die Mischung aus Meinung und praxisorientiertem Input macht das Buch zu einer spannenden Lektüre.
Von Rolf Schulmeister, 360 S., brosch., Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2006, ISBN 3-486-58003-5, 49,80 Euro.