Was bringt die berufliche Weiterbildung im kommenden Jahr? Wohin entwickelt sich der Markt, welche Trends zeichnen sich bei den Weiterbildungsthemen ab? Training aktuell hat verschiedene Bildungsexperten nach ihren persöhnlichen Prognosen für das Jahr 2006 gefragt.
Dr. Hans Böhm, Geschäftsführer DGFP Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V., Düsseldorf
'In der Weiterbildungsszene wird es eine weitere Marktbereinigung geben: Anbieter, die nicht in der Lage sind, bedarfsgerechte Inhalte in bester Qualität zu liefern, werden es immer schwerer haben, und etliche werden vom Markt verschwinden. Denn: Die Unternehmen sparen weiterhin - auch an der Weiterbildung. Das ist bedauerlich, aber nicht nur schlecht: Es wird viel genauer überlegt und treffsicherer entschieden, welche Weiterbildungsmaßnahmen wirklich gebraucht werden.
Auch wird das Bildungscontrolling (Planung, Entscheidung und Erfolgskontrolle) noch professioneller werden. Der Trend zu unternehmensspezifisch optimierten Inhouse-Seminaren und -workshops wird sich ferner fortsetzen. Aber auch offene Seminare in Top-Qualität bleiben Erfolg versprechend, denn viele Unternehmen erkennen, dass gerade das gemeinsame Lernen und Diskutieren mit Kollegen aus anderen Unternehmen den Lernerfolg unterstützen kann.
Bezüglich der Weiterbildungsinhalte wird der Schwerpunkt des Bildungsbedarfs auch 2006 eindeutig auf den 'hard fact'-Themen liegen, die direkt im Arbeitsprozess anwendbare Kompetenzen vermitteln wie (Personal-) Controlling und (Arbeits-) Recht. Die 'weichen', meist kulturprägenden, Bildungsinhalte bleiben weiterhin massiv unterschätzt. Wir machen aber erhebliche Fortschritte, ihren wirtschaftlichen Nutzen zu erklären und messbar zu machen. Insgesamt wird die Wichtigkeit von ausgeprägter Sozialkompetenz und klaren Werten einer starken Unternehmenskultur immer besser erkannt, denn hier liegen die wirksamsten Möglichkeiten einer erfolgsträchtigen Differenzierung im Wettbewerb. Nicht zuletzt schärfen die zahlreichen Wirtschaftsskandale das Bewusstsein für ethisch einwandfreies Handeln.'
Renate Richter, Präsidentin DVWO Dachverband der Weiterbildungsorganisationen e.V., Präsidentin ETDF European Training and Development Federation
'Deutschlands Wirtschaft ist Exportweltmeister. Daher müssen Deutschlands Weiterbildner im Jahr 2006 verstärkt internationale Kompetenzen entwickeln und zukunftsfähige Kunden-Konzepte entwerfen. Zudem führt die demographische Entwicklung zu einem erheblichen Fachkräftemangel. Nicht zuletzt der Regierungs-Koalitionsvertrag nennt hierzu Trend-Themen für Trainer: Lernen am Arbeitsplatz, ältere Arbeitnehmer beruflich aktiv und auf einen aktuellen Wissensstand halten, generationenübergreifende Weiterbildungskonzepte anwenden, bildungsferne Zielgruppen einbinden, Lernberatung anbieten.'
Sünne Eichler, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Management Circle AG, Eschborn/Ts.
'Den absoluten Trend im Weiterbildungsbereich gibt es nicht. Sowohl die 'harten' Themen wie Prozessoptimierung als auch 'weiche' Inhalte wie Mitarbeiterführung werden nachgefragt. Grundsätzlich gilt aber: Will man das Thema Weiterbildung in Unternehmen voranbringen, bedarf es hoher Qualität und anspruchsvoller, bedarfsgerechter Bildungsangebote. Darüber hinaus ist ein verstärkter Wunsch nach zertifizierten Weiterbildungen zu beobachten. Unternehmen richten sich verstärkt an Bildungspartner, die ihnen das komplette Leistungsspektrum qualifizierter und auch zertifizierter Weiterbildung anbieten.'
Dr. Gudrun Fey, geschäftsführende Gesellschafterin von study & train, Stuttgart
'Die Qualitätsanforderungen an Seminare und Trainer steigen weiter. Einzeltrainer werden es zunehmend schwer haben, bei großen Firmen Aufträge zu bekommen, weil diese immer mehr mit Trainingsinstituten zusammenarbeiten, um effizienter zu werden. Auf der anderen Seite gibt es immer noch ein Überangebot an Trainern, so dass Trainerhonorare weiter sinken bzw. in großen Unternehmen mehr Trainings mit Inhouse-Trainern durchgeführt werden. Außerdem beschäftigen die Firmen bevorzugt externe Trainer, die in der Nähe wohnen, um Reisekosten zu sparen.
Darüber hinaus werden Coachingaufträge zunehmen, da insbesondere Führungskräfte schon alle einschlägigen Seminare besucht haben und es nun darum geht, im Rahmen von Coachings spezielle Probleme zu lösen. Da viele Unternehmen das Thema Bildungscontrolling ernst nehmen, müssen Trainer ferner immer stärker und gezielter komplette Trainingsmaßnahmen (mit Vor- und Nachbereitung) anbieten, die die speziellen Bedürfnisse dieser Unternehmen berücksichtigen.Durch die verstärkte Internationalisierung und projektbezogene Weiterbildung werden sich Unternehmen nicht zuletzt zunehmend an Trainingsinstitute und seltener an Einzeltrainer wenden.'
Daniel F. Pinnow, Geschäftsführer der Akademie für Führungskräfte, Bad Harzburg
'Trainer wie Berater für Führungs- und Nachwuchsführungskräfte befinden sich 2006 in einer bemerkenswerten Lage: Noch steigt die Nachfrage zu verhalten, um schon von einem deutlichen Aufschwung sprechen zu können. Aber viele Unternehmen schütteln die Entwicklungsstarre ab und kurbeln wieder Personal- und Organisationsentwicklungsmaßnahmen an, die sie vor gut zwanzig Monaten manchmal von heute auf morgen 'auf Eis gelegt' hatten. Jetzt wird deutlich, dass der Rotstift oft zu hastig, zu überstürzt und zu unüberlegt angelegt wurde.
Die Herausforderung an die Managementinstitute könnte nicht größer sein: Möglichst schnell an alte Qualifizierungserfolge anschließen, allerdings mit halbiertem Etat und unter verschärften klimatischen Bedingungen - so lautet nicht selten die Devise. Dass die Krise auf dem Weiterbildungsmarkt auch eine spürbare Marktbebereinigung mit sich gebracht hat, wirkt sich für die Unternehmen positiv aus: Die vollmundigen Großsprecher und Heilsverkünder sind vom Markt verschwunden - auch wenn ihre Renaissance leider schon wieder vorhergesagt werden darf.
Führungskräftetrainings werden auch 2006 die Pole-Position unter den Seminarangeboten einnehmen. Insbesondere nach verhaltensorientierten Trainings mit Körperarbeit, Gruppenübungen und Selbsterfahrung besteht eine hohe Nachfrage. Weiterhin großer Nachfrage erfreuen sich Weiterbildungsangebote zum Projektmanagement - mit immer spezielleren und spezifischeren Fragestellungen.'
Karin Wolff, Kultusministerin Hessen
'Wir werden die Herausforderungen der Zukunft nicht ohne ein System des lebensbegleitenden Lernens meistern. Von elementarer Bedeutung ist es dabei, wie wir die bestehenden Weiterbildungsangebote für den Aufbau eines solchen Systems nutzen können. Wir müssen vor allem anstreben, dass die Angebote noch stärker als bisher auf die Bildungsbiografien der Menschen abgestimmt und entsprechende Bildungsoptionen in erreichbarer Nähe zu den Lebens- und Arbeitswelten der Menschen platziert sind.
Nur so können wir die Hürden für den Zugang zu einem entsprechenden Bildungsangebot niedrig halten und uns dem Ideal des lebensbegleitenden und lebenslangen Lernens nähern. In dem kommenden Jahr werden wir einen weiteren Schritt in diese Richtung gehen. Der Aufbau eines Systems des lebensbegleitenden Lernens kann nur durch eine gemeinsame und konzertierte Aktion aller Bildungsakteure - sowohl des Landes als auch der Kommunen und der freien Träger - gelingen. Die Vorlage eines neuen Weiterbildungsgesetzes wird dabei eine wichtige Etappe sein.'
Helmut Seßler, Gründer und Leiter der INtem Trainergruppe Seßler & Partner, Mannheim
'2006 verstärkt sich eine Entwicklung, die wir schon seit längerem beobachten. Deutlich für mich ist, dass das Seminar von der Stange, angeboten als Blockseminar, ein Auslaufmodell ist. Gute Chancen hat der Trainer, der dem Unternehmen individuelle Problemlösungen anbietet.
Die drei Top-Trainingsthemen werden nach meiner Einschätzung sein: die klassische Kundenorientierung, Key Account Management und die direkte Akquisition, also Akquisitionstraining. Wir müssen aber vor allem der Tatsache Aufmerksamkeit schenken, dass die Unternehmen wirkungsvolle Trainings haben wollen. Umsetzbarkeit, Evaluierung, Messbarkeit, Nachhaltigkeit - diese Kriterien muss jedes Training erfüllen. In den USA werden über 20 Prozent der Trainingsmaßnahmen über den Return of Investment verkauft, bei uns dürfte die Zahl deutlich darunter liegen.
Ich glaube, das nächste Jahr wird unter dem Motto stehen: Wie bekommen wir die Messbarkeit in die Trainings? Wie können wir dem Kunden zeigen, dass die Weiterbildung Erfolg hatte - und zwar den Erfolg, den das Unternehmen beim Einkauf der Maßnahme beabsichtigt hat? Eine Online-Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages unter 900 Unternehmen hat ergeben, dass zwar 90 Prozent der Unternehmen in die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren wollen - jedes zweite befragte Unternehmen wird dies aber nur tun, wenn sich die Erfolge der Maßnahmen relativ schnell einstellen. Trainingserfolge müssen messbar sein, anders geht es nicht.'
Holger Petersen, Präsident des BDVT - Berufsverband der Verkaufsförderer und Trainer e.V.
'Der Trainingsmarkt ist nach wie vor dadurch bestimmt, dass Unternehmen ihre betriebliche Weiterbildung auf das Notwendigste reduzieren. 'Nice to have'-Veranstaltungen waren einmal. Zudem wird der Nachweis der Wirksamkeit durchgeführter Seminare, Trainings und Workshops immer nachhaltiger gefordert. Höchste Zeit also, dass sich Weiterbildungsanbieter auf ziel- und erfolgsorientierte Konzepte konzentrieren, die eine Umsetzung quasi 'garantieren'.
Ein Schwerpunkt im Training wird im kommenden Jahr auf Themen liegen, die sich durch Reorganisation und Personalabbau in den Unternehmen ergeben. Außerdem ist eine Renaissance des Verkaufs als wichtigem Bereich der betrieblichen Leistungserbringung zu beobachten: In den Stellenanzeigen werden wieder qualifizierte Verkäufer gesucht.'
Prof. Dr. Reinhold Weiß, ständiger Vertreter des Präsidenten beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Bonn
'Die Jahre des Wachstum scheinen in der Weiterbildung erst einmal vorbei zu sein. Aktuelle Daten und Umfragen belegen, dass die Teilnehmerzahlen in der Weiterbildung rückläufig sind. Entsprechend verzeichnen viele Bildungsanbieter stagnierende oder sinkende Umsätze. Dies gilt vor allem für die offenen Seminare und für die öffentlich oder durch die Bundesagentur für Arbeit geförderten Maßnahmen.
Das kommende Jahr verheißt mit einem prognostiziertem Wirtschaftswachstum von einem Prozent und weiter rückläufigen Ausgaben der BA für Weiterbildung kein Ende dieser Entwicklung. Als vergleichsweise stabil erscheint nur der Bereich der betrieblichen Weiterbildung. Aber auch hier gilt: Der Euro wird von den Unternehmen zweimal umgedreht. Weiterbildung wird stärker darauf überprüft, ob der Einsatz von finanziellen und zeitlichen Ressourcen durch den erwarteten Nutzen gerechtfertigt ist.
Durch die Integration von Weiterbildung in die Arbeits- und Geschäftsprozesse, durch Ansätze des Bildungscontrolling und durch die Verlagerung von Weiterbildung in die Freizeit wird versucht, Effektivität und Effizienz der Weiterbildung zu erhöhen.'
Dorothea Müller, verdi-Vorstandsmitglied und Fachbereichsleiterin 'Besondere Dienstleistungen, Bildung'
'Fast alle sind in Sachen Weiterbildung positiv gestimmt. Die Chancen dabei zu sein, nehmen allerdings rapide ab. Das gilt insbesondere für die Menschen, die arbeitslos geworden sind. 2001 gab es noch rund 400.000 Teilnehmer, in diesem Jahr werden wir die Grenze von 100.000 unterschreiten. Meine Diagnose: Defizite und gravierende Fehlsteuerungen gelten zurzeit und zugespitzt für den arbeitsamtgeförderten Bereich der Weiterbildung, aber sie gelten nicht nur für diesen.
Wenn wir in Deutschland einen zukünftigen Kompetenzentwicklungspfad nicht verlassen wollen, der auf Qualifikation, Innovation und Chancengleichheit setzt und wenn Weiterbildung in verschiedenen Politikfeldern eine Rolle spielen und Antworten geben soll (ich nenne nur: Fachkräftebedarf, demographische Entwicklung, Lissabon-Strategie, Innovationsoffensive), dann braucht es strukturelle Reformen des Systems. Ohne sie werden die Aufforderungen von EU und OECD, vermehrt lebenslanges Lernen zu fordern, ins Leere laufen.
Der Kern des Handlungsbedarfs konzentriert sich nach meiner Auffassung auf die Frage: Wie kann Weiterbildung als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe neu gestaltet werden? Welche Rolle können der Staat, die Tarifvertragsparteien, die Betriebe und Individuen übernehmen und welche Rahmenbedingungen sind dafür notwendig? Wie muss ein öffentlicher Ordnungsrahmen aussehen, der die unterschiedlichen Akteure und Verantwortlichkeiten in einem Gesamtkonzept zusammenführt mit einem Recht auf Weiterbildung und mehr Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für alle Beteiligten?
Für Bildungsanbieter heißt das: Das Jahr 2006 wird wohl nicht viel anders als 2005 verlaufen. Erfolgreich wird derjenige sein, dem es gelingt, Weiterbildung flexibel, just-in-time und in enger Verbindung zu den Geschäftsprozessen der Kunden zu entwickeln. Zugleich eröffnet diese Entwicklung neue Chancen für Beratung und Coaching, für die Entwicklung von Selbstlernmaterialien und für modularisierte Angebote.'
Dr. Lutz Bellmann und Manfred Antoni, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB), Nürnberg
'Betriebliche Weiterbildung wird auch in Zukunft überall dort an Bedeutung gewinnen, wo betriebliche organisatorische Änderungen erfolgen. Das ist der Fall bei Veränderungen der Beziehungen zu Kunden und Lieferanten, der Veränderung der Abteilungsgrenzen, der Verlagerung von Verantwortung auf niedrigere hierarchische Ebenen, der Errichtung von neuen Einheiten mit eigener Ergebnisermittlung und der Einführung von Gruppenarbeit.
Die Integration von Weiterbildung in den Prozess der Arbeit wird dabei immer wichtiger. Implizites Wissen sowie Sozial- und Methodenkompetenz stehen im Vordergrund. Es geht nicht nur um das Erlernen, sondern auch um das Einüben neuen Wissens und neuer Fertigkeiten.
Bei den von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Weiterbildungen mit dem Ziel eines beruflichen Abschlusses zeichnen sich eine allgemein sinkende Teilnehmerzahl, aber auch eine gestiegene durchschnittliche Teilnahmedauer ab. Unter diesen Weiterbildungsmaßnahmen hat in den vergangenen Jahren aufgrund der demographischen Entwicklung und eines hohen Arbeitskräftebedarfs gerade die Qualifizierung in Pflegeberufen eine große Bedeutung erreicht. Hier ist auch in Zukunft von einem wachsenden Weiterbildungsbedarf auszugehen.'