Death to the instructor! Long lives the learner! So lautete der Tenor der Online Educa 2006, die vom 30. November bis 1. Dezember 2.048 Besucher nach Berlin lockte. Die meisten der über 300 Präsentationen und Workshops standen im Zeichen der momentan allgegenwärtigen Schlagworte Web 2.0 und informelles Lernen. Indes: Kampflos wird sich das formelle Lernen nicht geschlagen geben.
'Wissen verändert sich: Es wächst immer rascher und wird zunehmend komplexer. Die Folge: Lernmodelle, die wir über Generationen angewandt haben, werden in Zukunft keine Gültigkeit mehr haben.' George Siemens eröffnete die Online Educa 2006 mit einer Prognose, der sich viele seiner Redner-Kollegen auf der 12. internationalen Konferenz für technologisch gestützte Aus- und Weiterbildung anschließen konnten: 'Kurse und formelle Lernprogramme werden nicht länger gebraucht. Sie machen aus Wissen ein Produkt, aber Wissen ist ein Prozess. Es hat keine feste Form, sondern ist ständig in Bewegung', erklärte Keynote-Sprecher Siemens, Gründer der kanadischen eLearnspace & Complexive Systems Inc.
Deshalb hat seiner Ansicht nach auch der traditionelle Trainer ausgedient: 'Die Grenze zwischen Lerner und Lehrer verschwimmt: Der Lerner braucht keinen Experten mehr, der für ihn Wissen produziert, das er dann passiv konsumiert. Er entscheidet selbst, was er wann und wie lernt, und nutzt Netzwerke, um dieses Wissen zu generieren.'
Die Stunde des informellen Lernens
Auch Jay Cross, seines Zeichens Experte für informelles Lernen aus den Vereinigten Staaten, zeigte sich in Berlin überzeugt: 'Angesichts der außerordentlichen Geschwindigkeit, mit der sich unsere Welt verändert, bröckelt formelles Lernen.' Der Keynote-Sprecher und Chef-Wissenschaftler der Internet Time Group empfiehlt Unternehmen daher, ihre Mitarbeiter verstärkt zu vernetzen - sei es durch unternehmensweite Yellow Pages oder durch Sofas. 'Informelles Lernen ist die gewaltigste Lerntechnologie, die wir kennen', lautete die Einschätzung des Amerikaners auf der Online Educa. 'Organisationen können es sich nicht leisten, diese Technologie zu übergehen.'
LMS go Web 2.0
Dass die Entwicklung zum informellen Lernen nicht ohne Folgen für das 'E' in E-Learning bleibt, war die Botschaft von Michael Kerres. 'Früher waren Lernplattformen Inseln im Internet', so der Professor für Mediendidaktik an der Universität Duisburg-Essen im Track 'Social Software'. 'Sie stellten Lernressourcen und Tools bereit, schotteten den Lernenden aber gleichzeitig vom Internet ab.'
Im Zuge von E-Learning 2.0 müssten sich Lernplattformen indes zu persönlichen Lern- und Arbeitsumgebungen weiterentwickeln, die durchlässig in Richtung WWW sind. 'Zwar sollten sie nach wie vor Lernmaterialien zur Verfügung stellen. Gleichzeitig sollten sie dem Lernenden aber die Möglichkeit geben, auf Content und Netzwerke außerhalb der Plattform zuzugreifen, während Inhalte, die von den Lernenden erstellt werden, auch außerhalb der Plattform zugänglich sind.' Möglich ist dies in Kerres' Augen durch die Integration von Web 2.0-Technologien - einen Schritt, den Plattform-Anbieter wie IMC und Blackboard bereits gemacht haben.
Eine Übersicht über die Bandbreite dieser Technologien, die lernerzentriertes und kollaboratives Lernen ermöglichen, stellten Kai Heddergott und Dr. Lutz Goertz ebenfalls im 'Social Software'-Track vor. Zwar seien Wikis & Co. aktuell in aller Munde, so die Vertreter des MMB Instituts für Medien- und Kompetenzforschung, aber angesichts der Fülle an Tools fehle es an Übersicht. Um eine Linie in dieses Chaos zu bringen, ordneten sie die Werkzeuge anhand von zwei Charakteristika: dem Grad der Partizipation der Nutzer und der Funktion der Software - von der Bereitstellung von Inhalten über sozialen Austausch bis hin zu Unterhaltung.
Informelles Lernen im Betrieb - Beispiel IBM
Wie mithilfe dieser Tools informelles Lernen in Organisationen gefördert und unterstützt werden kann, stellte Dr. Yael Ravin unter Beweis. In der Session 'Informal Learning' gewährte die Leiterin des IBM Center for Advanced Learning in den USA Einblicke in die Praxis des Technologieunternehmens: Neben einer Social-Tagging-Software, mit deren Hilfe die Mitarbeiter interessante Internetseiten und Infoquellen für ihre Kollegen sichtbar machen können, setzt IBM auch auf eine dynamische Lernumgebung. 'Wenn unsere Mitarbeiter just-in-time-Informationen brauchen, geben sie in einer Suchmaske ein, um welches Thema es sich handelt, wie viel Zeit ihnen zur Verfügung steht und welche Art von Informationen sie bevorzugen', erklärte Ravin. 'Daraufhin wird ihnen aus einem Repository ein entsprechendes Lernmodul zur Verfügung gestellt, das sie durcharbeiten und nach ihren Vorstellungen umgestalten können - z. B. im Hinblick auf den chronologischen Aufbau.'
Formelles (E-)Lernen hat weiterhin seinen Platz
Trotz des großen Engagements in Sachen informelles Lernen will IBM aber auch weiterhin an Kursen und Zertifikats-Lehrgängen für seine Mitarbeiter festhalten. Ravin betonte: 'Es gibt auch in Zukunft einen Platz für formelles Lernen: Schließlich wollen wir mit professionell ausgebildeten Ingenieuren arbeiten.'
Eine Ansicht, die auch Christian Völkl teilte. Der Berater der E&E Information Consultants in Berlin fasste im Track 'Informal and formal Learning at the workplace' zusammen: 'Formelles Lernen sollte die Grundlage für zukünftige Performance bilden, indem es die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter aufbaut.' Informelles Lernen dagegen solle die Unzulänglichkeiten der formellen Wissensaneignung ausgleichen und der suboptimalen Gestaltung von Prozessen und Arbeitsplätzen Rechnung tragen. Oder, wie es Christian Buric von Beck et. al. Services im gleichen Track formulierte: 'The combination of informal and formal learning is the clue.'