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Narrative Interviews beschleunigen Coachingprozesse

High Profiling Coaching verbindet Coaching mit Verfahren der qualitativen Sozialforschung, wodurch sich die für ein Coaching notwendige Präsenzzeit verkürzt. Ab sofort können sich Coachs für die Anwendung der Methode lizenzieren lassen.

Eigentlich ist eine neunfache Mutter aus einem brasilianischen Slum schuld daran, dass es High Profiling Coaching gibt. Ihr ist Dr. Martin Hertkorn bei den Recherchen für seine Soziologie-Promotion über religiöse Bewegungen in Brasilien vor über zehn Jahren begegnet. Das Gespräch mit ihr hat den Sozialwissenschaftler so beeindruckt, dass er die Frau eigentlich gern ausführlicher gecoacht hätte.

Grundidee: Wissenschaftliche Methoden für Menschen

Damals konnte er sich diesen Wunsch nicht erfüllen, das Anliegen, für Menschen und nicht für die Wissenschaft zu arbeiten, aber hat ihn nicht losgelassen. So wurde er zum Coach und setzt heute in seinem Institut für angewandte qualitative Sozialforschung (INQUA), Berlin, die Methoden seiner Promotionszeit in der Beratung ein: Sein Ansatz High Profiling Coaching stellt dem eigentlichen Face-to-Face-Coaching ein Interview voran, in dem der Coachee seine Lebensgeschichte erzählt und diese anschließend texthermeneutisch ausgewertet wird.

Das Interview: Ein Monolog

Das Interview, mit dem das Coaching beginnt, folgt den Regeln des narrativen Interviews nach Fritz Schütz und erfordert eine völlige Zurückhaltung des Coachs. Er stellt keine Fragen, hört nur aufmerksam zu. Der Coachee spricht derweil frei über sein Leben und wählt dabei selbst aus, was er erzählt und in welcher Reihenfolge. Seine Erzählung, die in der Regel 50 bis 90 Minuten dauert, wird aufgenommen und Wort für Wort transkribiert.

Die Auswertung: Hypothesen zum Nachdenken

Aus diesem Material wird dann ein Kompetenzprofil des Coachees erstellt – das Kernstück des High Profiling Coaching. Dafür werden zu­nächst die objektiven Daten von den wertenden Aussagen getrennt und chronologisch sortiert. Im zweiten Schritt folgt die Sequenzanalyse. Hier unterteilen Hertkorn und sein Team die Erzählung in Sinnabschnitte (Sequenzen) und analysieren, wie der Coachee darin seine eigenen Daten interpretiert. Das heißt, sie bewerten, wie er von seinem Leben erzählt, welche Worte und Textformen er wählt, welche Emotionen mitschwingen, wo er ausführlich wird, wo wortkarg.

Zu jedem Fakt und jeder Sequenz bilden die Wissenschaftler dann mehrere Hypothesen. Beispiel: Die Tatsache, dass der Coachee als erster von drei Söhnen geboren wurde, wird mit der folgenden Hypothese versehen: 'Erstgeborene werden mehr zur Übernahme von Verantwortung angehalten als ihre Geschwister und sind deshalb selbstbewusster und verantwortungsvoller.' Am Ende umfasst das Kompetenzprofil rund 200 Hypothesen. 'Diese Hypothesen sind reine Interpretationsangebote', betont Hertkorn. Allerdings verdichten sich manche im Laufe der Auswertung zu klaren Hinweisen, so der Coach. So deutet vielleicht nicht nur die oben genannte Geschwisterfolge auf ein hohes Verantwortungsbewusstsein des Coachees hin, sondern auch sein frühes Engagement im Sportverein oder die Tatsache, dass er im Interview häufig seine Brüder erwähnt. Solche Häufungen werden in der Analyse gesondert erwähnt.

Der Coachee erhält sowohl die Transkription als auch das Kompetenzprofil. Die Lektüre der Hypothesen, die sich einerseits verdichten, oft aber auch widersprechen, soll ihn dazu anregen, sich selbst zu reflektieren, bevor er sich mit seinem Coach zum zweiten Mal trifft.

Vorteil: Beschleunigte Beratung

Bei diesem zweiten Treffen sind Coaching-Anlass und Vorgeschichte also bereits geklärt, weswegen sich der Beratungsprozess verkürzt. Coach und Coachee können direkt in die Entwicklung von Verhaltensalternativen einsteigen. Denn: 'Zu diesem Zeitpunkt hat der Coachee längst begriffen, wo sein Problem liegt', ist der Berliner Coach überzeugt. Zudem stärkt das Vorgehen laut Hertkorn das Vertrauen zwischen Coach und Coachee: 'Der Coachee fühlt sich verstanden und respektiert – schließlich sagt er nur, was er sagen will.'

Ab sofort können sich auch andere Coachs in der Methode schulen lassen. Eine High-Profiling-Lizenz ist zu haben für 1.600 Euro.

Autor(en): (Sylvia Lipkowski)
Quelle: Training aktuell 10/09, Oktober 2009
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