'Ich will nach Hause'. Kopfschüttelnd beugt sich der Lokaljournalist im Presseraum der Dortmunder Westfalen-Halle über seinen Kaffee. Er kann nicht glauben, was er soeben erlebt: 11.000 Menschen, die sich am frühen Samstagmorgen aus dem Bett gequält haben, um kostenpflichtig an einer neunstündigen Verkaufsveranstaltung teilzunehmen... Erneutes Kopfschütteln: 'So habe ich mir den Motivationstag 2000 nicht vorgestellt.'
Im Inneren der Westfalen-Halle verabschiedet sich gerade Mister Motivation - so nennt sich der Erfolgstrainer Jürgen Höller gerne selbst - mit dem ihm gebührenden Getöse: laute Musik, Nebelschwaden, Tanz auf der Bühne, Feuerwerk. Höller mag´s gern amerikanisch.
Vom Niemand zum Millionär
Zwei Stunden lang haben die Anwesenden - vom Arbeitslosen und Studenten über den Verkäufer und Strukturvertriebler bis hin zum Unternehmer - seiner Lebensgeschichte gelauscht. Wer sie noch nicht kennt: Er kommt aus bescheidenen Verhältnissen (nur einmal in der Woche gab es Fleisch, die Häuser in der Nachbarschaft waren größer, sein Vater war Arbeiter...). Höller war gerade einmal sieben Jahre alt, als er sich entschloss, reich zu werden. 'Euch werde ich es zeigen, ich werde Millionär', schwor er damals. Wir sehen ein Foto von Klein-Jürgen mit Schultüte auf der Leinwand. Dann sehen wir Fotos von Höllers Familie, Vater Horst, Mutter Heidi im 60er Jahre-Wohnzimmer. Millionär Höller stellt sich indes auf der Bühne in Position: ein Arm zurück, einer vor, der zurückliegende schießt nach vorn, und er schreit sein berühmtes Yahoo, das eigentlich wie Jau klingt. 'Aller Erfolg beginnt mit dem Entschluss 'ich will'...'
Höller setzt auf emotionale Nähe: Er spricht die Teilnehmer wie auch die Leser seines neuen Buches 'Jenseits der Grenzen' mit 'Du' an. Jeder wird sich irgendwo in Höllers Erfolgsstory wiederfinden: Der kleine Höller, wie er und der Fette beim Schulsport immer die letzten waren, die in eine Mannschaft gewählt wurden... Der 19-jährige Höller, der ein Fitness-Studio kaufte und sich anschließend mit weiteren Unternehmen verzettelte... Und jetzt der erfolgreiche Höller, der 'seinen Traum lebt, statt sein Leben zu träumen', der die Fäuste ballt und schreit 'Ich werde nie, nie, niemals aufgeben...'
Höllers Lebensgeschichte soll den Anwesenden Mut machen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. 'Den ersten Schritt habt Ihr getan: Ihr seid hier.' Jetzt gilt es, so Höller weiter, Bücher zu lesen von Leuten wie Dale Carnegie (oder auch Jürgen Höller) und Seminare zu besuchen (von Erfolgstrainern wie beispielsweise Jürgen Höller). Dann werden auch die Hinterbänkler, die für 99 Mark den Motivationstag miterleben, bald zu den VIPs gehören, jenen Menschen, die für einen Platz in der ersten Reihe 799 Mark ausgeben. Sie können es sich leisten, sie sind bereits auf dem Weg des Erfolges... So weit zur Verkaufsstrategie des Erfolgsmannes.
Die Höller´sche Darbietung, die nahezu ohne nutzwertigen Inhalt auskommt, endet mit dem inzwischen bekannten Moniereisen-Verbiegen.
Der kleine Unterschied zu Arnold
Während sich Höller nun zu Signierstunden und Presseinterviews zurückzieht, übernimmt Carsten Maschmeyer. Das Thema des Vorstandsvorsitzenden von Finanzdienstler AWD: Erfolgsdenken. Er appelliert an die richtige Geisteshaltung: 'Wir können alle alles. Wir haben keinen Preis eingebrannt.' Und weiter: 'Akzeptieren Sie keine Grenzen. Außergewöhnliche Maßnahmen machen außergewöhnliche Menschen.' Im Gegensatz zu Höller ist Maschmeyer rhetorisch brillant: Jede Geschichte, jedes Beispiel, jeder Spruch sitzt. Kostprobe: 'Was unterscheidet Sie von Arnold Schwarzenegger? Er hat mehr Muskeln? - Nein, er hat wie Sie 610 Muskeln, aber er hat sie benutzt.' Oder: 'Wissen Sie, warum Verheiratete dicker sind als Unverheiratete? Letzterer kommt nach Hause, guckt in den Kühlschrank, sieht 'Da ist nix los' und geht ins Schlafzimmer. Der Verheiratete kommt nach Hause, guckt ins Schlafzimmer, sieht 'Da ist nix los' und geht zum Kühlschrank.' Das Publikum dankt ihm seine Kalauer: Ein Lacher jagt den nächsten.
Derweil packt der Lokaljournalist seine Tasche zusammen. Draußen wird ihm ein Flyer in die Hand gedrückt: Erfolgstrainer Anthony Robbins kommt nach Deutschland. Er schüttelt den Kopf: 'Hoffentlich nicht nach Dortmund...'