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Mangel an lebenslangem Lernen macht wettbewerbsunfähig

Fast drei Jahre lang haben fünf Wissenschaftler geforscht, wie sich lebenslanges Lernen fördern und
finanzieren lässt. Der sperrige Begriff 'Erwachsenenbildungsförderungsgesetz' ist wohl der bekannteste Vorschlag der Experten. Inwiefern die Empfehlungen die betriebliche Weiterbildung betreffen, und was auf Bildungsanbieter zukommen könnte, beschreibt unser Korrespondent Bernhard Stelzl.

'Deutsche Unternehmen verstehen Weiterbildung meist nur als kurzfristige Anpassung des Könnens ihrer Beschäftigten an aktuelle Probleme', resümiert Prof. Dr. Dieter Timmermann. Für den Vorsitzenden der unabhängigen Expertenkommission 'Finanzierung Lebenslangen Lernens' ein alarmierender Befund: 'Dieser Mangel an Möglichkeiten lebenslangen Lernens in Unternehmen führt langfristig zu einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit', so der Bildungsökonom bei der Präsentation der Ergebnisse der Expertenkommission Ende Juli 2004 in Berlin. Drei Jahre lang hat der Professor von der Uni Bielefeld mit vier Kollegen nach Möglichkeiten gesucht, lebenslanges Lernen zu fördern und zu finanzieren. Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn gab den Auftrag dazu.

Den Zugang zu Weiterbildung gerechter verteilen

Bei ihrer Bestandsaufnahme fanden die Wissenschaftler heraus, dass Frauen mit Kindern beim Thema Weiterbildung die klaren Verlierer sind. Sie werden kaum in Personalentwicklungskonzepte der Unternehmen integriert, denn oft sind sie in Teilzeit beschäftigt oder können aufgrund fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten nicht wieder ins Berufsleben einsteigen. Auch Bildungsabbrecher und beruflich unqualifizierte Personen bleiben beim lebenslangen Lernen außen vor. Männer mit guter Ausbildung indes werden in der Regel ihr gesamtes Berufsleben lang stark gefördert. 'Wer hat, dem wird gegeben', fasste die Expertengruppe pointiert zusammen. Ihre politische Empfehlung lautet daher, den schwächeren Bevölkerungsgruppen mehr Zugang zu Weiterbildung zu ermöglichen.

Chancen für das Nachholen von Abschlüssen geben

Betont wurde dabei die Bedeutung des Nachholens versäumter Abschlüsse: 'Angebote einer ‚zweiten Chance‘ müssen Schlüsselelemente eines Konzeptes lebenslangen Lernens sein', heißt es im Abschlussbericht. Als Vorbild könnte Schweden dienen, wo es Berufstätigen ermöglicht wird, für eine Weile aus dem Job auszusteigen, um wieder zu lernen. Insgesamt hat jeder Schwede im Berufsleben einen gesetzlichen Anspruch auf 180 Wochen Weiterbildung. Eher bescheiden ist im Vergleich der Vorschlag der Kommission für Deutschland: Durch ein Erwachsenenbildungsförderungsgesetz sollen Personen mit niedrigem Einkommen, die schulische oder berufliche Abschlüsse nachholen wollen, unterstützt werden. Ihnen sollen für Maßnahmekosten und Lebensunterhalt Darlehen und Zuschüsse gewährt werden. Ein weiterer Vorschlag ist staatlich gefördertes Bildungssparen für einkommensschwache Gruppen. Die Bildungssparzulage könnte nach dem Modell der Kommission bei rund 400,- Euro pro Jahr liegen.

Den Mittelstand unterstützen

Ein ungleicher Zugang zu Weiterbildung besteht aber nach Ansicht der Kommission nicht nur zwischen den Geschlechtern und Bevölkerungsgruppen. Auch hinsichtlich der Unternehmensgröße sind Unterschiede auszumachen: Je kleiner die Betriebe, desto geringer sind die Weiterbildungsaktivitäten. So verfügt nur ein Fünftel der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) laut Abschlussbericht über PE-Konzepte - und setzt sie auch um. Für 80 Prozent ist Weiterbildung hingegen ein Fremdwort. 'Viele Arbeitsplätze bieten zu wenige Lernchancen', heißt es im Bericht. Um diese große Hemmschwelle zu überwinden, empfiehlt die Kommission eine 'innovative Arbeitsgestaltung'. Die Wissenschaftler legen den KMU daher nahe, mehr Lernmöglichkeiten als Selbstverständlichkeit in die Arbeitswelt zu integrieren. Gemeint sind damit z.B. Instrumente wie Qualitätszirkel, verstärkte Gruppenarbeit und Job-Rotation. Letzteres auch in der Variante nach dem Job-AQTIV-Gesetz von 2001: Nach dem Gesetz übernimmt ein Arbeitsloser die Aufgaben eines Mitarbeiters, wenn dieser für eine Qualifikationsmaßnahme aus dem Betrieb aussteigt. Laut der Experten hat das mehrere Vorteile: Die Betriebe sparen, weil die Bundesagentur für Arbeit Zuschüsse erbringt, und der Arbeitslose bekommt eine Chance, seine Beschäftigungsfähigkeit auszubauen.

Beim Entwickeln von PE-Konzepten helfen

Eine weitere große Hürde für die Weiterbildung in kleineren Betrieben sieht die Kommission darin, dass die Aufwendungen für die Beschaffung und Bewertung von Informationen über mögliche Weiterbildungsbedarfe, -inhalte und -anbieter zu hoch sind. Sie schlägt deshalb vor, staatlich geförderte Beratungsangebote für KMU bereitzustellen. Zu diesen so genannten 'Personalentwicklungs-Kick-offs' sind die Experten durch den Modellversuch 'Small Firm Development Accounts' aus Großbritannien inspiriert worden. Bei dem Projekt sind kleineren Betrieben die Kosten für einen Berater erstattet worden, der ihnen bei der Erstellung eines Qualifikationsplans und bei der Suche nach geeigneten Kursen zur Hand ging. Darüber hinaus ist den Betrieben die Hälfte der Weiterbildungsaufwendungen erstattet worden.
Die Experten schlagen für die Beratungsleistung maximal 200,- Euro pro Person und 4.000,- Euro pro Betrieb und Jahr vor. Einrichtungen, die Berater entsenden, könnten nach Vorstellung der Experten z.B. Kammern, Weiterbildungsverbände und Volkshochschulen sein. Um die Qualität zu sichern, wird eine Akkreditierung der teilnehmenden Organisationen empfohlen.

Investitionen in Weiterbildung steuerlich begünstigen

Die Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation der Weiterbildung brachte auch so manche Überraschung zu Tage. So sind die Betriebe, obwohl sie gemessen am Zeitaufwand und der Teilnehmerzahl die größten Nachfrager nach Weiterbildung sind, nicht die größten Zahlmeister. 'Der betriebliche Anteil am gesamten Finanzierungsvolumen wird überschätzt, der des Staates und der Individuen unterschätzt', bilanziert die Kommission. Der Grund: Ein erheblicher Teil der individuellen und betrieblichen Aufwendungen wird vom Staat durch Steuervergünstigungen wieder erstattet. Nach Ansicht der Experten können individuelle Anstrengungen zur Weiterbildung staat-licherseits aber noch stärker honoriert werden. Neben einer steuerlichen Entlastung könnte das erwähnte Bildungssparkonto mit gesicherten Ansprüchen die Grundlage für ein monetäres Anreizsystem bilden. Umlage- oder Fondsmodelle wie in Frankreich, bei denen Unternehmen einen bestimmten Prozentsatz der Bruttolohnsumme für Weiterbildung aufwenden müssen, kommen für Deutschland jedoch nicht in Frage, wie die Kommission erläutert: Das nämlich würde eine Erhöhung der Lohnnebenkosten bedeuten. Stattdessen setzt die Kommission auf die Stärkung der Marktmacht der Verbraucher. Die Idee, Bildungsgutscheine auszugeben, findet sie im Prinzip richtig. Es müsse jedoch eine höhere Markttransparenz für die Nachfrager hergestellt werden. Förderlich seien Tätigkeiten der Stiftung Bildungstest ebenso wie die der Akkreditierungsagenturen.

Einen transparenten Markt schaffen

Insgesamt zielt der Bericht auf die Etablierung eines 'tatsächlichen' Weiterbildungsmarktes ab. Bildungsangebote sollen transparent angeboten und der einzelne Bildungsnachfrager soll gestärkt werden. Hierzu wiederum soll der Staat den institutionellen Rahmen und mit fiskalischen Mitteln Bildungsanreize schaffen. Ob die Empfehlungen zügig umgesetzt werden oder ob ein weiteres Reformprojekt mit ungewissem Ausgang angestoßen wurde, hängt vom Politikbetrieb ab. Hier gilt: Je länger mit der Umsetzung gezögert wird, desto schlechter ist dies für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Autor(en): (Bernhard Stelzl)
Quelle: Training aktuell 09/04, September 2004
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