Beim e-Learning hinkt Deutschland den USA noch weit hinterher. Warum das elektronische Lernen in den Vereinigten Staaten so verbreitet ist und wie die Akzeptanz für e-Learning in Deutschland gesteigert werden kann, erläutert Dr. Ellen D. Wagner, Director Global Education Solutions bei Macromedia in San Francisco, im Interview mit Training aktuell .
Die Amerikaner sind im Bereich e-Learning sehr viel reger als die Deutschen. Das zeigt u.a. eine weltweite Studie, bei der die e-Learning-Aktivitäten der 60 größten Volkswirtschaften verglichen wurden. Die USA landete - hinter Schweden und Kanada - auf Platz 3. Deutschland dagegen rangiert nur auf Platz 17. Wo liegen die Ursachen für diesen Unterschied?
Dr. Ellen D. Wagner: In fortschrittlichen 'e-Learning-Ländern' wie Schweden, Kanada und den Vereinigten Staaten sind - als eine wesentliche Bedingung für den Einsatz dieser Lernform - die technologischen Voraussetzungen weiter vorangeschritten als in Deutschland. Dazu zählen zum Beispiel Breitbandvernetzung, PC-Durchdringung und mobile Kommunikations-Nutzung. Diese Länder verfügen zudem über ein starkes Bildungssystem, unterstützen gezielt lebenslanges Lernen und haben ein allgemein hohes Ausbildungsniveau. Aber auch die kulturelle Einstellung spielt eine wichtige Rolle.
Und welche kulturellen Einstellungen der Amerikaner sind für e-Learning prägend?
E. Wagner: In den USA gibt es beispielsweise eine andere Tradition in Bezug auf permanentes 'training on the job' nach der Erstausbildung. Aber es gibt auch erhebliche Unterschiede, was die Rolle der individuellen Initiative in der jeweiligen Kultur angeht. Bei uns in den USA sind sich vermutlich viel mehr Menschen darüber bewusst, dass sie für ihre Aus- und Weiterbildung selbst aktiv werden müssen. Dass e-Learning dabei eine so große Rolle spielt, hat auch mit der Bequemlichkeit vieler Amerikaner zu tun: In einer zunehmend vernetzten Welt wollen die Verbraucher ihre Information bekommen, wan und wo es ihnen am besten passt - also zu Zeiten und zu Bedingungen, die sie selbst festlegen. Und wenn sie dies in allen anderen Bereichen ihres täglichen Lebens erwarten, warum sollten sie dann nicht auch den gleichen Anspruch hinsichtlich ihrer Weiterbildung haben?
Welche Rolle spielt das Bildungswesen bei der Entwicklung dieser mentalen Einstellung?
E. Wagner: Es prägt natürlich sehr stark die Erwartungshaltung. In den Vereinigten Staaten boten schon Ende 2003 bereits 81 Prozent der Universitäten ihren Studenten mindestens einen vollständigen Online-Kurs an, an den öffentlichen Hochschulen waren es sogar 97 Prozent. Diese Bildungseinrichtungen hatten Ende 2003 auch bereits zu knapp der Hälfte mindestens einen kompletten Online-Studiengang im Angebot. Mittlerweile sind diese Zahlen noch höher, und die e-Learning-Euphorie ist in den USA laut aktueller Umfragen immer noch ungebrochen. So denken 57 Prozent der Lehrkräfte, dass digitale Bildungsangebote gegenüber klassischen Formen der Wissensvermittlung qualitativ als gleichwertig anzusehen sind. Für die Zukunft gehen sie sogar von einer Überlegenheit aus. Aber es gibt natürlich auch bei uns in den USA noch eine ganze Menge Dozenten, die e-Learning als Unterrichtsform nicht wirklich akzeptieren und sehr viel Skepsis zeigen.
Was glauben Sie, könnten die Deutschen tun, um für mehr Akzeptanz des e-Learning zu sorgen?
E. Wagner: E-Learning hatte in den vergangenen Jahren vor allem einen Ruf als Methode für das 'Corporate Training'. Erst langsam löst man sich von dieser Sichtweise und fängt an, sich auf umfassende Online-Lernprogramme zu fokussieren. Man muss auch im Hinterkopf behalten, dass e-Learning vor allem eine Strategie ist, um mehr Menschen Zugang zum Wissen zu verschaffen. E-Learning erweitert die Möglichkeiten des formalen und informellen Lernens. Dadurch können mehr Menschen - unabhängig davon, wo sie leben, wo sie arbeiten und was sie tun - am intellektuellen Leben unserer Gesellschaft teilnehmen. Das ist die eine Seite. Die andere ist ein sehr pragmatisches Herangehen. Auch das unterscheidet e-Learning in den USA von entsprechenden Projekten in deutschen Unternehmen. Vor allem muss ein elektronisches Lernangebot - so unsere Erfahrung - bequem zu nutzen sein. Denn die Teilnehmer sind in der Regel viel beschäftigt. Sie arbeiten in ihrem Beruf und haben nur wenig Zeit, selbst wenn es einen dringenden Weiterbildungsbedarf gibt. Deshalb sollte der Zugang zu den Online-Kursen so einfach wie möglich sein. Wenn man zum Beispiel den potenziellen Teilnehmern nur eine e-Mail schickt, in der sie auf eine neue Trainingseinheit im Intranet des Unternehmens hingewiesen werden, ist die Beteiligung meist sehr gering. Besser ist es, in die e-Mail-Einladung einen direkten Link zum Online-Kurs zu integrieren. Dann ist der Teilnehmer mit einem Klick sofort dort. Schon solche Kleinigkeiten, die der Bequemlichkeit dienen, steigern die Akzeptanz und die Teilnehmerzahlen deutlich. Und von diesen Kleinigkeiten gibt es eine Menge, die beim Aufbau eines Online-Trainingsprogramms beachtet werden sollten.
Die USA waren in diesem Jahr das Learntec-Partnerland. Über welche neuen Trends können Sie uns von dort berichten?
E. Wagner: Neben die Vermittlung von grundlegenden Kenntnissen und dem Kompetenzaufbau mit Hilfe elektronischer Medien tritt zunehmend die Notwendigkeit des schnellen Transfers von unternehmenskritischem Wissen an Mitarbeiter, Geschäftspartner und Kunden. Die Erstellung herkömmlicher Web Based Trainings dauert in diesen Fällen meist zu lange und ist zu teuer. Mit Hilfe von Rapid e-Learning können die Fachexperten im Unternehmen auf Basis vorhandener PowerPoint-Vorträge sehr schnell selbst kleine Trainingskurse erstellen und über das Web zur Verfügung stellen. Nach aktuellen Studien entfallen mittlerweile rund die Hälfte der zu lösenden Trainingsaufgaben in den Unternehmen in die Kategorie Rapid e-Learning. Die Marktforscher prognostizieren dieser Methodologie deshalb künftig eine jährliche Wachstumsrate von rund 80 Prozent. Neben diesem aktuellen Trend werden in nicht allzu ferner Zukunft aber auch Web-Video und Mobile Learning eine wichtige Rolle spielen. Denn die wachsende Beliebtheit von mobilen Endgeräten und die Erfahrung mit Computerspielen wirkt sich auch auf das elektronische Lernen aus.