e-Learning erfasst den Nahen Osten. Dieses Bild zeichnete das 'Middle East E-Learning Forum', welches erstmals im Rahmen der Online Educa im Dezember 2004 in Berlin stattfand. Was Weiterbildner beachten müssen, um mit den arabischen Staaten ins Geschäft zu kommen, erfuhr unser Korrespondent Peter Becker.
Die Region zwischen Ägypten und den Golfstaaten scheint sich zu einem gewaltigen Markt für e-Learning zu entwickeln. Diesen Eindruck vermittelte das Middle East E-Learning Forum, das im Rahmen der Online Educa Anfang Dezember 2004 in Berlin stattfand. Allein für die Vereinigten Arabischen Emirate hat die Madar Research Group aus Abu Dhabi ein Anwachsen des e-Learning-Potenzials von 14 auf 56 Millionen US-Dollar in den nächsten vier Jahren errechnet, erfuhren die 130 Besucher des eintägigen Forums, das über Möglichkeiten und Chancen von e-Learning im Nahen Osten informierte. Der Referent Dr. Abdullah Al-Mosa von der Computerfakultät der Al-Imam-Universität, Saudi Arabien, sprach von einer Steigerung um vier Milliarden Dollar für die gesamte Region allein im Jahr 2005.
Stabilisierung der Regionen durch e-Learning
Hinter dem Bildungsboom im Nahen Osten stehen gravierende Veränderungen, die auf die Staaten der Region zukommen: Das Öl wird in absehbarer Zeit geringer, gleichzeitig wächst die Bevölkerung. Die Regierungen haben deshalb zur 'Nationalisierung der Arbeitsmärkte' aufgerufen, was bedeutet, dass die bisher verwöhnten Söhne und Töchter aus den Ölstaaten selber die Jobs besetzen sollen, für die zuvor Fachkräfte aus dem Ausland angeworben wurden.
Ein weiterer Grund für die stark wachsende Nachfrage nach e-Learning erwächst aus der politischen Instabilität in der Region, wie die libanesische Parlamentsabgeordnete Dr. Ghinwa Jallou auf dem Middle East Forum erläuterte. Laut Jallou geht die politische Instabilität auf die unzureichende wirtschaftliche Entwicklung zurück: In weiten Teilen der arabischen Welt gibt es große Armut, hohe Arbeitslosigkeit und weit verbreiteten Analphabetismus. Für die Regierungen zählen Bildung und berufliche Qualifikation zu den wichtigsten Strategien, um die Länder wirtschaftlich voranzubringen und extremistischen Tendenzen wie dem Terrorismus vorzubeugen, so Jallou. Dass e-Learning für Qualifizierungszwecke als probates Mittel angesehen wird, hatte bereits die Arabische Liga zum Weltgipfel der Informationsgesellschaft im Jahr 2003 in Genf verkündet.
Studenten des Nahen Ostens engagieren sich für e-Learning
Der aktuelle Boom für das Lernen via Computer und Netz hat jedoch noch einen weiteren Grund: 'Nach dem 11. September 2001 wollen unsere jungen Leute nicht mehr zum Studieren ins Ausland gehen', berichtete Rajith Nair von Edutech Middle East aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Ihre Vorstellungen über digitales Lernen bringen die Studenten aus dem Nahen Osten übrigens engagiert zum Ausdruck. Das zeigt zumindest der Kongress 'E-ducation Without Borders' vom 19. bis 21. Februar 2005 in Abu Dhabi, VAE. Die nunmehr zum dritten Mal stattfindende Veranstaltung wird von Studenten der Higher Colleges of Technology der Vereinigten Arabischen Emirate organisiert und lädt Studenten sowie Unternehmensvertreter und Forscher aus aller Welt ein, zu diskutieren, wie e-Learning in der Zukunft aussehen sollte.
Gefragt sind vor allem textbasierte digitale Inhalte
Angesichts des wachsenden Interesses der arabischen Welt am digitalen Lernen lautet die Gretchenfrage für die europäischen e-Learning-Anbieter: Nach welchen Inhalten besteht die größte Nachfrage? Dr. Bassem Khafagi von der privaten Al-Nahda University mit Sitz in Kairo, Ägypten, an der übrigens online studiert wird, sieht die besten Chancen derzeit für Themen aus den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Vorwiegend sei man an textbasiertem Content interessiert. Grund dafür sind die noch geringen Übertragungskapazitäten der Kabelnetze vor Ort.
Aber nicht nur im universitären Bereich der Online-Studiengänge besteht laut Khafagis Ausführungen Bedarf an e-Learning-Content. Auch im Rahmen der Weiterbildung von Fachleuten gebe es eine große Nachfrage. Denn in den arabischen Ländern sei es nicht üblich, aus dem Berufsleben für eine Weile auszusteigen, um zum Zwecke
einer Fortbildung wieder an eine Hochschule zurückzukehren. Weiterbildung finde vielmehr - ähnlich wie in Deutschland - berufsbegleitend statt - und dafür ist Online-Lernen bekanntlich bestens geeignet.
'In den Vereinigten Arabischen Emiraten am meisten Erfolg versprechend sind Qualifizierungsangebote im Bereich Banken und Versicherungen, Gesundheit und e-Commerce. Im Oman sind es die Themen Öl und Gas, Wasser- und Energiewirtschaft, Gesundheit und Kosmetik sowie Telekommunikation und Tourismus', weiß Sabine Gummersbach-Majoroh, Leiterin von iMove. Die deutsche Einrichtung hilft am Bildungsexport interessierten Firmen auf ihrem Weg in die neuen Märkte, indem sie z.B. Expertisen über die einzelnen Länder erstellt.
Gute Chancen für Bildungsprodukte 'made in Germany'
Die Chancen für Bildungsprodukte 'made in Germany' sind im Nahen Osten sehr gut, auch wenn der Markt bislang vor allem von britischen Anbietern dominiert wird. Die Stärke des deutschen betrieblichen Lernens, das Gelernte unmittelbar auf die Arbeitsanforderungen zu beziehen, damit es sofort im Job angewendet werden kann, hat sich auch im Nahen Osten herumgesprochen. Wie die Referenten des Middle East E-Learning Forums jedoch betonten, ist eine 'Arabisierung' der Lerninhalte unbedingt notwendig. Das heißt: Die Inhalte der e-Learning-Produkte, die in den arabischen Ländern angeboten werden, müssen an die dortigen Gegebenheiten angepasst werden. 'Einem Lernprogramm für die Vereinigten Arabischen Emirate muss man auch anmerken, dass es für die VAE geschrieben wurde', so ein Teilnehmer des Forums.
Dies bedeutet nicht unbedingt, dass Lernmodule aus Deutschland komplett neu gestaltet werden müssen. Aber auf bestimmte Dinge muss ein Anbieter schon achten: 'Eine Bildergeschichte über die Wirkung eines Kopfschmerzmittels, die links den jammernden Kranken, in der Mitte das Einnehmen der Medizin und rechts den glücklichen Gesunden zeigt, wird in der arabischen Welt missverstanden', sagt Farid Hegazy von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Der Grund: Dort liest man von rechts nach links.