Lang wurde er geplant, endlich fand er statt: der Coaching-Kongress des Coachingverbandes DBVC. Das erwartete inhaltlich hohe Niveau konnte der Deutsche Bundesverband Coaching einlösen. 350 Coaches und Coach-Einkäufer waren Mitte Oktober 2008 nach Potsdam gekommen, um vor allen Dingen dreierlei zu tun: die eigene Rolle zu klären, die Selbstreflexion als Bestandteil ihres Jobs anzunehmen und die eigene Akzeptanz im Organisationskontext zu feiern.
Das wird Preisverleihungen noch einige Zeit nachhängen: die stete Sorge eines Award-Gremiums, ob die zu Ehrenden die Ehre auch annehmen. Das Marcel-Reich-Ranicki-Phänomen, geboren mit dem Deutschen Fernsehpreis, hatte auch das Gremium des Deutschen Coaching-Preises umgetrieben, wie Dominik Bachmair auf dem Coaching-Kongress Mitte Oktober 2008 in Potsdam verriet. Doch die charmante Anspielung des Kongressmoderators auf die Pleite einer Preisverweigerung war rein rhetorischer Art: Die ersten zwei Coaching-Preise sind planmäßig in Potsdam verliehen worden, Coach Gabriele Bollhöfer und Wissenschaftler Bernhard Trager nahmen die Ehrung durch den Deutschen Bundesverband Coaching an. Sie freuten sich sogar offenkundig.
Bollhöfer siegte in der Kategorie Organisation mit einem Coaching-Konzept für die Anwaltssozietät Lovells. Die Jury überzeugte die organisationale Einbettung, das interne Marketing für das Coaching-Angebot genauso wie die Akzeptanz bei den jungen Anwälten und die Wirkung des Coaching-Angebots auf Lovells Arbeitgeberimage. Dazu muss man wissen: Coaching für Anwälte ist noch nicht an der Tagesordnung, eine Klientel, wie sie in einer Anwaltssozietät wie Lovells vorzufinden ist, ist speziell. Die Junganwälte, an die sich das Angebot vordringlich wendet, leben in einer 'Hochleistungskultur', geprägt durch extremen Leistungsdruck und starke zeitliche Belastung. Ihnen Coaching als Hilfestellung zur Entlastung in Phasen erlebter Enge und als Instrument zur Verbesserung der Selbststeuerung nahezubringen, war die Aufgabe, die Bollhöfer mit Bravour gelöst hat. Seit Februar 2007 verantwortet sie bei Lovells das interne Coaching, 70 Prozent der Zielgruppe nahmen bislang an ihrem Programm teil.
Nicht mit einer speziellen Klientel, sondern allgemein mit den Klienten von Coaching, hat sich der Gewinner des Coaching-Preises in der Kategorie 'Wissenschaft' beschäftigt. In seiner Diplomarbeit hat Bernhard Trager mittels einer Literaturanalyse und problemorientierter Interviews die Selbstreflexionsprozesse von Coaching-Kunden untersucht. Eines seiner interessantesten Ergebnisse: Durch das Coaching werden Selbstreflexionsprozesse ausgelöst, die zu Veränderungsprozessen führen. Obwohl die Veränderungen eigentlich positiv sind, werden sie nicht immer vom Umfeld positiv und wohlwollend aufgenommen.
Einladung zur Selbstreflexion
Tragers Prämisse, dass Selbstreflexionsprozesse Kernelement professionellen Coachings sind, bewies der Kongress in Potsdam auch noch in anderer Hinsicht. Er stand unter dem Motto 'Welche Rolle spielt der Coach?' und lud damit zur Selbstreflexion der handelnden Personen, in diesem Fall vordringlich der Einkäufer von Coaching und den Coaches selbst, ein. In hochkarätig besetzten Vorträgen und Workshops konnten sich die 350 Teilnehmer ihre Arbeit, ihr Handeln, ihr Wirken im Zusammenspiel von Organisation und Klient bewusst machen. Auffällig war dabei: Die professionellen Coaches traten deutlich selbstbewusster auf als auf vormaligen Branchentreffs. Sie sind in der Businesswelt angekommen und haben das Image des seelsorgenden, auf-die-Couch-legenden Büro-Psychos abgelegt. Folgerichtig wurde auf dem Kongress auch so mancher Glaubenssatz der praktizierenden Coaches in Frage gestellt, alte Zöpfe wurden abgeschnitten.
Ratschläge von Coaches
Beispiel: der Vortrag von Ulrich Dehner. Der Inhaber des Seminar- und Coachinginstituts Konstanzer Seminare gehört zu den langjährig erfahrenen Coaches, seinen Start nahm er in der Therapie. Dehner räumte in seinem Vortrag 'Wie aktiv darf und sollte der Coach sein?' mit dem Vorurteil auf, dass Coaches keine Ratschläge geben dürfen. Seiner Ansicht nach nämlich ist dieses ein aus der Therapie automatisiert übernommenes Verhalten, das im Coaching jedoch gar nicht immer angesagt ist. Nämlich dann zum Beispiel nicht, wenn Lösungen über den Bezugsrahmen des Coachees hinausgehen.
Im Publikum machte sich nach Dehners Erklärungen Erleichterung breit. Wie sich in der anschließenden Diskussion zeigte, hatten sich viele Coaches schon zu Ratschlägen hinreißen lassen, aber stets dabei ein schlechtes Gewissen mit sich herumgetragen. Eine Erfahrung, die Dehner auch aus der Ausbildung von Jung-Coaches kennt: 'Die Definition von Coaching als Hilfe zur Selbsthilfe kommt von den Auszubildenden immer, ebenso wie der Satz, dass Ratschläge auch Schläge sind', wunderte sich Dehner über den tief verankerten Glaubenssatz.
Ein weiteres Beispiel für einen nicht-tragenden, vermeintlichen Grundsatz im Coaching lieferte Coach Eberhard Hauser. Er räumte mit dem Postulat der Vertraulichkeit des Prozesses auf und plädierte für die Nutzbarmachung des intimen Wissens der Coaches über die Schwachstellen und blinden Flecken der Organisation. Seine Idee: eine sogenannte Coaching-Architektur zu installieren, die die Verantwortungslücke, die derzeit die Wirksamkeit von Coaching mindert, schließt.
Es waren Vorträge wie die zwei erwähnten, die den Kongress zu dem machten, was er sein wollte und sein sollte: ein Fachkongress auf hohem Reflexionsniveau, der unaufgeregt und selbstbewusst die eigene Rolle im Visier hat.