'Wir haben jetzt mehr Fragen als vorher, aber sehr interessante.' Gemünzt hatte Siegfried Greif, Professor von der Universität Osnabrück, diese Worte eigentlich auf die Coaching-Forschung, die sich als junge Disziplin noch vielen Baustellen gegenübersieht. Doch kann die Äußerung, die Greif auf dem Coaching-Kongress gemacht hat, zugleich als Resümee für die gesamte Veranstaltung herangezogen werden, die vom 7. bis 8. November 2003 in Wiesbaden stattfand.
Der Kongress, zu dem die Interessengemeinschaft Coaching (IGC) zusammen mit dem Austrian Coaching Council (ACC) und der Sektion ABO-Psychologie des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) erstmals geladen hatte, war eine Art Bestandsaufnahme. Unter dem Motto 'Zukunft der Branche - Branche der Zukunft' diskutierten 280 Teilnehmer, darunter rund 60 Referenten: Wo stehen wir? Worin zeigt sich unsere Qualität und Wirkung? Und wo steuern wir hin?
Jede Antwort birgt neue Fragen
In den 52 Vorträgen, Workshops und Plenumsdiskussionen zeigte sich: Die Beantwortung einer jeden Frage wirft sofort eine Reihe weiterer Fragen auf. In den Gesprächsrunden zu Themen wie 'Die Beratung von Mächtigen', 'Coaching als Vermeidungsstrategie' oder 'Coaching im Rahmen von Veränderungsprozessen' kam es folglich nicht immer zu Statements, die von allen akzeptiert wurden. Bei der Vielzahl existierender Coaching-Ansätze - Referent Dr. Bernd Runde stieß bei einer Zeitschriften- und Internet-Recherche auf 400 Coaching-Techniken und über 70 verschiedene Konzepte - war Meinungsvielfalt natürlich vorprogrammiert. So wiesen bei der Wiesbadener Standort-Bestimmung vor allem 'Einerseits-Andererseits'-Abwägungen und 'Sowohl-als-Auch'-Lösungen den Weg.
Besonders deutlich wurde die Vielzahl an Fragen und Herausforderungen bei den beiden Brennpunkt-Themen 'Coaching-Evaluation' und 'Qualität der Coaches'. 'Coaching ist eine Antwort auf individuelle Bedürfnisse. Da kann man nicht mit standardisierten Evaluationsbögen kommen', beschrieb z.B. IGC-Initiator Christopher Rauen die Schwierigkeit, allgemeingültige Kriterien zu benennen, anhand derer sich konkrete Coaching-Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit hin prüfen lassen. Selbst der Faktor 'Zufriedenheit' kann nach Meinung des Augsburger Coaches Eberhard Hauser nicht ohne weiteres als Messkriterium zugrunde gelegt werden. 'Auf wessen Zufriedenheit kommt es denn an?', fragte er provokant: 'Verlief das Coaching erfolgreich, wenn der Coachee zufrieden ist? Oder muss vor allem die übergeordnete Führungskraft zufrieden sein?'
Seriöse Coaches versprechen nicht das Blaue vom Himmel
Wohl nicht zuletzt wegen der Schwierigkeit, eindeutige Antworten auf solche Fragen zu finden, verlagerte sich die Diskussion immer wieder weg von der Evaluation auf die erforderliche Kompetenz und Haltung des Coaches. 'Seriöse Coaches haben eine gute Ausbildung, machen erreichbare Leistungsangebote und achten auf Qualität', versuchte Siegfried Greif eine Grenzziehung zu den Coaching-Scharlatanen vorzunehmen, die 'das Blaue vom Himmel versprechen'.
Doch wann hat ein Coach eine 'gute' Ausbildung? Und worin zeigt sich seine Qualität? Insbesondere für Coaching-Einkäufer ist dies offenbar nach wie vor schwer zu erkennen. Einer der Kongress-Teilnehmer äußerte daher deutlich die Forderung nach einem Dachverband Coaching, der Standards definiert, an denen sich der Markt orientieren kann. Für Österreich hat der ACC bereits Merkmale festgeschrieben, auch internationale Coaching-Organisationen haben Kriterienkataloge. Was diesbezüglich auch in Deutschland getan werden könnte, war Gegenstand der Podiumsdiskussion zwischen Prof. Ferdinand Buer, Dr. Walter Spreckelmeyer, Michael Tomaschek und Dr. Ulrike Wolff. Letztere sprach ihr Unbehagen gegenüber ethischen Standards wie denen der European Coaching Association aus, die 'das Ideal eines Gutmenschen zeichnen'. Wichtiger als ein offizieller Kriterienkatalog sei es, dass jeder Coach individuelle moralische Maßstäbe anlege und auch befolge.
Forderung: Qualitätsstandards im Dialog mit Unternehmen entwickeln
Was die Problemlösungsorientierung des Coaches, mithin fachliche Qualitätsfragen angeht, war die Berliner Beraterin indes der Meinung: 'Wir sollten in Dialog mit den Unternehmen treten und Standards aus deren Perspektive aufnehmen.' Noch weiter ging Ferdinand Buer: 'Will Coaching eine echte Profession bleiben, gilt es, Standards zu formulieren, die nicht nur praktisch, sondern auch wissenschaftlich fundiert sind', betonte der Professor von der Uni Münster. Inwieweit Coaches dabei von den Erfahrungen der Supervisoren profitieren könnten, die diesen Schritt in allen deutschsprachigen Ländern bereits vollzogen haben, wurde indes nicht vertieft - erstaunlich, da Buer selbst Supervisor ist. Überhaupt gab es auf dem Kongress relativ wenig Austausch mit Vertretern von benachbarten Beratungsdisziplinen. Aber die Veranstaltung war nun einmal eher eine Branchen-Innenschau.
Als solche aber war sie gelungen. Namhafte Experten wie Dr. Bernd Schmid, Dr. Wolfgang Looss, Dr. Gunther Schmidt und Prof. Gerhard Fatzer sorgten für eine hochkarätige Besetzung und ein breites Themenspektrum. Die Teilnehmer diskutierten sehr engagiert mit und zeigten sich über das Niveau der Vorträge voll des Lobes. So sehen die Initiatoren Grund genug, die Veranstaltung zu wiederholen.
Der nächste Coaching-Kongress soll im November 2005, vermutlich in Frankfurt am Main, stattfinden. 'Dann werden auch noch mehr Nachbardisziplinen mit dabei sein', gibt ACC-Obmann Tomaschek einen Ausblick: 'Nächstes Mal wird beleuchtet, wie und wo Coaching im Rahmen von Organisationsentwicklungsprozessen angesiedelt ist und wie Coaches mit anderen Beteiligten zusammenarbeiten.' Der neue Fokus bedeutet: Bis 2005 sollten die Coaches ihre Bestandsaufnahme abgeschlossen und die wichtigsten Fragen geklärt haben.